Georgia Meloni hat Matteo Salvini (links) und Silvio Berlusconi (rechts) längst als Königin der Rechten in Italien beerbt.

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Die "Repubblica" erschreckte ihre vorwiegend linksliberale Leserschaft Mittwoch mit der Meldung, Giorgia Meloni bereite bereits ihre Ministerliste vor, die sie Staatspräsident Sergio Mattarella nach den Wahlen vorlegen werde.

Die Nachricht mag etwas voreilig sein – aber es besteht kein Zweifel daran, dass die 45-jährige Römerin nun allerbeste Chancen hat, Nachfolgerin von Mario Draghi und damit erste Frau an der Spitze der italienischen Regierung zu werden. Ihre Partei führt mit 20 bis 22 Prozent in allen Umfragen, gleichauf mit oder etwas vor dem sozialdemokratischen PD. Vor allem aber liegen die Fratelli d'Italia deutlich vor ihren Bündnispartnern, Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia.

Königin der Rechten

So sehr das die beiden Machos Salvini und Berlusconi wurmen mag: Giorgia Meloni ist längst die unbestrittene Königin der Rechten in Italien. Die temperamentvolle Politikerin, die im Rechtslager beim Sturz Draghis im Hintergrund die Fäden zog, hat aus ihrer Sicht in den letzten Jahren alles richtig gemacht.

Nach den von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung und der fremdenfeindlichen Lega gewonnenen Parlamentswahlen im Jahr 2018 war sie von Beginn an in die Opposition gegangen. Diese Strategie zog sie bis heute durch – nach der Einsetzung von Draghis Regierung der nationalen Einheit vor 17 Monaten waren die Fratelli d'Italia die einzige verbliebene Oppositionspartei mit Gewicht. Auf diese Weise leitete sie den Unmut aller Rechtswähler, die mit Draghi und den beiden Regierungsparteien Lega und Forza Italia unzufrieden waren, als Wasser auf ihre eigenen politischen Mühlen.

Mussolinis Erbe

Genau hundert Jahre nach Benito Mussolinis Marsch auf Rom und seiner Machtergreifung am 30. Oktober 1922 wird also wahrscheinlich eine Persönlichkeit die Regierung übernehmen, die ihre gesamte politische Karriere im Dunstkreis der verschiedenen postfaschistischen Parteien und Gruppierungen aufgebaut hat. Aufgewachsen im "roten" röimischen Arbeiterquartier Garbatella, war Giorgia Meloni schon im Alter von 15 Jahren der Fronte della Gioventù ("Jugendfront") des Movimento Sociale Italiano (MSI) beigetreten. Später politisierte sie sich in der Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini, der die Postfaschisten auf die Demokratie verpflichtet und regierungsfähig gemacht hatte.

Im Jahr 2008 wurde Meloni unter Silvio Berlusconi im Alter von 31 Jahren Jugend- und Sportministerin. Zu ihren Sympathisanten zählen Duce-Nostalgiker und ehemalige neofaschistische Schläger; bei ihren Wahlkampfauftritten ist regelmäßig der "römische Gruß" zu sehen, der dem Hitlergruß in Nazideutschland entspricht.

Melonis mangelnde Distanz zur Vergangenheit

Meloni selber gibt sich dagegen als moderne und emanzipierte Frau und Mutter, die mit den ewiggestrigen Mussolini-Anhängern wenig gemein hat und mit beiden Füßen auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaats steht. Aber so richtig distanzieren mag sie sich von der Vergangenheit nicht: "Bei den Fratelli d'Italia gibt es keinen Platz für Rassisten, Antisemiten und Neonazis", erklärte sie unlängst. In der Aufzählung der Unerwünschten fehlen nicht zufällig die Faschisten, die eben sehr wohl Platz haben.

Zum Faschismus sagt sie bloß, dieser müsse "im Kontext der Geschichte gesehen werden". Zu den Stärken Melonis zählt eine gewisse politische Gradlinigkeit: Sie ändert, im Unterschied zu ihren Bündnispartnern Salvini und Berlusconi, ihre Positionen nicht mit jeder neuen Umfrage. Dies zeigte sich etwa beim Angriff Russlands auf die Ukraine: Die Trump-Verehrerin Meloni war schon vor dem Krieg eine überzeugte Atlantikerin, und sie blieb es auch, als in Italiens Bevölkerung die ersten Zweifel an den Sanktionen und an den Waffenlieferungen aufkamen.

Programmierte Konflikte – etwa mit der EU

Im Fall eines Wahlsiegs der Rechten sind diesbezüglich Konflikte mit den beiden Putin-Freunden Salvini und Berlusconi unvermeidlich. Konsequent ist Meloni freilich auch bei ihrer chauvinistisch geprägten Rhetorik gegen die EU – in diesem Punkt wird in der künftigen Regierung große Harmonie herrschen. Eine weitere Waffe Melonis ist ihr geschliffenes Mundwerk – auch wenn sie gelegentlich verbissen wirkt und ihre Stimme mitunter einen Tick zu schneidig wird.

Das ist ihr auch in diesen Tagen wieder passiert, nachdem Salvini und Berlusconi Draghi im Senat das Vertrauen entzogen hatten: In ihrer Freude und ihrem Triumph wurde Meloni besserwisserisch – sie habe ja immer gesagt, dass eine Regierung der nationalen Einheit nicht funktionieren könne und nichts auf die Reihe bekomme. "Als wir die Opposition wählten, sagten uns alle: Wir werden in der Gosse landen, und jetzt …" Die Vollendung des Satzes konnte sie sich verkneifen. Sie hätte gelautet: "... und jetzt wartet der Palazzo Chigi, der Sitz des Ministerpräsidenten, auf uns." (Dominik Straub aus Rom, 21.7.2022)