Das mediale Interesse am Prozess gegen einen Wiener Anwalt vor dem Bezirksgericht Leopoldstadt ist außerordentlich groß.

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Wien – Bezirksgerichte sind gemeinhin eher nicht der Schauplatz öffentlichkeitswirksamer, clamoroser Fälle und bekommen wenig mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Donnerstagmorgen ist das im Bezirksgericht Wien-Leopoldstadt anders: Richterin Manuela Turcsanyi sieht sich einem Wall von Kameraobjektiven gegenüber, nachdem sie am Richtertisch des Verhandlungssaals A Platz genommen hat.

Der Grund des Auflaufs: Sie verhandelt gegen zwei 46-jährige Männer in der Causa Ibiza-Video. Dem Erstangeklagten, der Wiener Anwalt M., wird vom Staatsanwalt der Missbrauch von Tonaufnahme- oder Abhörgeräten, Verstoß gegen das Datenschutzgesetz sowie der Besitz von 3,7 Gramm Kokain inklusive Verpackung vorgeworfen. Der zweite, ein selbstständiger IT-Techniker, soll versucht haben, im Auftrag seines Freundes Julian Hessenthaler die Tonspur des Ibiza-Videos zu verbessern.

Der Jurist als Journalist

M.s Verteidiger Richard Soyer kündigt im Eingangsplädoyer an, dass sein Mandant Verantwortung übernehmen werde – die Voraussetzung für die angestrebte diversionelle Erledigung, also die vorläufige Einstellung des Verfahrens. Der Argumentationslinie, Anwalt M. sei eigentlich ein Journalist, bleibt Soyer aber treu. Dass er das Video 2017 und 2018 in seiner Kanzlei zwei Personen vorgespielt und für den Film fünf beziehungsweise sechs Millionen Euro gefordert hat, seien "erfolglose Zwischenschritte zur Veröffentlichung" gewesen, sagt Soyer. Denn schließlich sei das Angebot ausgeschlagen worden.

Der Verteidiger zitiert Höchstgerichtsentscheidungen, wonach auch "Bürgerjournalismus" zulässig sei, und weist auf die Bedeutung der im Juli 2017 heimlich in einem Landhaus auf Ibiza gemachten Aufnahmen von Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus und einer angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen hin.

Soyer stellt auch klar: "M. drängt sich nicht in die Öffentlichkeit, er geriert sich nicht als Held." Durch seine Rolle in der Affäre habe er bereits beträchtliche Nachteile in Kauf nehmen müssen – laut Eigenangaben des Erstangeklagten verdient er derzeit 4.800 Euro netto im Monat –, und auch standesinterne Konsequenzen durch die Rechtsanwaltskammer drohen noch.

Knappe Verantwortungsübernahme

Der Ankläger ist skeptisch. "Sie haben gesagt, dass Sie Verantwortung übernehmen. Haben Sie das Gefühl, dass Sie etwas falsch gemacht haben?", will er von M. wissen. "Ja", antwortet dieser knapp. "Werden Sie so etwas wieder tun?" – "Ich hoffe, dass es nicht mehr notwendig ist."

Volkert Sackmann, Privatbeteiligtenvertreter von Johann Gudenus, fordert ebenso wie die Vertreterin von Heinz-Christian Strache 10.000 Euro Schadenersatz vom Erstangeklagten für die "erlittene Unbill". M. lehnt beide Forderungen ab und zettelt kurz einen juristischen Disput über Verjährungsfristen mit dem Privatbeteiligtenvertreter an.

"Sind Sie bereit, irgendeine Schadenswiedergutmachung finanzieller Art zu leisten?", hakt der Staatsanwalt nach. "Nein", lautet wiederum die knappe Antwort. Sackmann kommt zum Schluss, dass von einem "zivilgesellschaftlichen Sozialprojekt" nicht gesprochen werden könne, da M. ja mehrere Millionen Euro für die Filme wollte. "Von einem Sozialprojekt war nie die Rede!", kontert der Erstangeklagte.

Fremdes Kokain in fremder Handtasche

Dass die beiden Portionen Kokain, die in seiner Wohnung gefunden wurden, ihm gehören, bestreitet M. vehement. "Ich nehme keine Drogen!", beteuert er, das Suchtmittel gehöre nicht ihm. Denn zumindest ein Teil sei in einer Damenhandtasche sichergestellt worden, "und ich verwende keine Damenhandtaschen". Die Substanz wurde allerdings auch in einem Schrank entdeckt, "in 1,70 Meter Höhe", merkt die Richterin an. Außerdem werde er von einem Zeugen massiv belastet. "Die Geschichten sind erlogen!", ärgert sich der Erstangeklagte. "Der Zeuge ist mittlerweile verurteilt und sitzt. Ich gehe davon aus, dass er im Dienste irgendwelcher Leute steht, die mir nicht wohlgesonnen sind."

Richterin Turcsanyi schlägt vor, das Suchtmitteldelikt abzutrennen und den Ibiza-Komplex diversionell zu erledigen. Ihr Angebot an M.: 15.000 Euro Geldbuße inklusive 4.000 Euro Verfahrenskosten und eine symbolische Entschädigung von 500 Euro für Heinz-Christian Strache. Da Gudenus ohnehin einen zivilrechtlichen Prozess gegen M. führt, geht er leer aus. Der angeklagte Anwalt und sein Anwalt akzeptieren und versprechen, das Geld bis zum 1. August zu überweisen, die Staatsanwaltschaft gibt keine Erklärung ab. Die Verhandlung gegen den Zweitangeklagten wird für Zeugen auf September vertagt. (Michael Möseneder, 21.7.2022)

Korrektur um 15.40 Uhr: Ein Hörfehler führte zu einer falschen Einkommensangabe – M. verdient 4.800 und nicht 1.800 Euro monatlich. Ich bedauere. (moe)