Die Pipeline Nord Stream 1 endet im deutschen Lubmin bei Greifswald im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.

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Wien/Moskau/Lubmin – Nach der Wartung von Nord Stream 1 ist Donnerstagfrüh die Gaslieferung durch die deutsch-russische Gas-Pipeline wieder angelaufen. Netzdaten zufolge hat der Gasfluss durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 Donnerstagfrüh das angekündigte Niveau erreicht. In der Stunde zwischen 7.00 und 8.00 Uhr wurden nach Daten von der Website der Nord Stream AG mehr als 29 Gigawattstunden geliefert und damit in etwa so viel Gas wie zuvor angekündigt.

Inzwischen geht die deutsche Bundesnetzagentur davon aus, dass die Pipeline am Donnerstag wie vor der zehntägigen Wartung zu etwa 40 Prozent ausgelastet sein wird, das entspräche rund 67 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag.

OMV erhielt wohl vereinbarte Menge Gas

Gegenüber der OMV hat Gazprom hat seine Zusage offenbar eingehalten und am Donnerstag vereinbarungsgemäß geliefert, erklärte die OMV am Donnerstagabend. Damit wurde in etwa die Hälfte der vor dem Ukraine-Krieg vereinbarten Gasmenge zugestellt, dies entspricht der Menge, die auch vor der zehntägigen Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 bei der teilstaatlichen OMV ankam. Während der Nordstream-Wartungspause bekam die OMV nur ein Drittel des bestellten Gases aus Russland.

Ob Gazprom die vereinbarte Menge für den heutigen Tag unterm Strich auch wirklich liefert, lässt sich aber erst morgen um sechs Uhr in der Früh sagen, dann ist der tägliche 24-Stunden-Rythmus abgelaufen, sagte ein Sprecher der OMV.

Umweltministerin will keine Entwarnung geben

Die Wiederaufnahme der Gaslieferungen ist für Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) aber noch kein Grund zur Entwarnung. Russland schüre ganz bewusst Unsicherheit in Europa: "So treibt Putin die Gaspreise", sagte die Ministerin in einer Aussendung am Donnerstag und verwies darauf, dass die Pipeline nur zu rund 40 Prozent ausgelastet sei. Die Situation bleibe weiterhin angespannt, Österreich dürfe sich nicht in falscher Sicherheit wiegen.

Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) bezeichnet die Lage weiterhin als "angespannt".
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Die österreichischen Gasspeicher seien derzeit zu etwa 50 Prozent gefüllt. Trotz der Wartung von Nord Stream 1 sei auch in den vergangenen Tagen Gas eingespeichert worden. Bis vor Beginn der Heizsaison will die Regierung die Speicher zu 80 Prozent füllen. "Die Expertinnen und Experten gehen aktuell davon aus, dass dieses Speicherziel erreichbar ist und die täglichen Einspeicherungen wieder ansteigen werden, nachdem die Gazprom wieder Gas über Nord Stream 1 liefert", so Gewessler.

Und auch der Chef der Regulierungsbehörde E-Control, Wolfgang Urbantschitsch, zeigte sich am Donnerstag zuversichtlich, das österreichische Speicherziel zu erreichen: "Wir gehen nun davon aus, dass wieder mehr Gas in die Speicher hereinkommt", sagte Urbantschitsch im Ö1-"Mittagsjournal". Dennoch warnte auch er: Man müsse die Lage permanent beobachten und könne sich nicht darauf verlassen, dass der Gasfluss aufrecht bleibt.

Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Habeck: "Wir brauchen einen langen Atem"

Der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hat unterdessen ein weiteres Paket zur Energiesicherung angekündigt. Dazu gehören schärfere Vorgaben zur Befüllung der Gasspeicher und eine Aktivierung der Braunkohlereserve, wie Habeck am Donnerstag in Berlin sagte. Weiter geht es um Einsparmaßnahmen in öffentlichen Gebäuden und einen verbindlichen "Heizungscheck". Vorgesehen sind auch Maßnahmen, um in Wohnungen beim Heizen Gas zu sparen.

Die Vorsorge für den Winter müsse verstärkt werden, sagte Habeck. "Wir brauchen einen langen Atem." Hintergrund ist, dass Russland zwar wieder Gas über die Pipeline Nord Stream 1 liefert, aber viel weniger als möglich. Habeck sagte, Russland sei ein "unsicherer Kantonist" bei der Energieversorgung.

Deutschland setzt auf LNG-Terminals

"Mit den reduzierten Gasmengen aus Russland können die angestrebten Füllstände erreicht werden, die Lage auf dem Gasmarkt bleibt aber angespannt", sagte währenddessen fast wortgleich zu Österreichs Energieministerin Gewessler der Vorstand des Verbands Zukunft Gas, Timm Kehler.

Deutschland müsse Energie sparen. Und der Betrieb der ersten LNG-Terminals ("Liquid Natural Gas", also Flüssigerdgas) müsse als Lieferalternative gesichert werden, "damit wir den Winter unter den aktuellen Annahmen gut überstehen".

Zum Jahreswechsel sollen in Wilhelmshaven und Brunsbüttel die ersten Anlandestellen LNG aufnehmen – zunächst auf Spezialschiffen. Kehler glaubt: "Durch Beschaffung über LNG-Terminals wird uns mittelfristig wieder ausreichend Gas zur Verfügung stehen, was dann auch zu einem niedrigeren Preisniveau führen wird."

Deutschland will die Abhängigkeit von russischem Gas durch die Errichtung von LNG-Terminals verringern. Flüssiggas verbraucht nur einen Bruchteil des Volumens von gasförmigem Erdgas. Das Bild zeigt die LNG-Terminals in Rotterdam in den Niederlanden.
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"Auf eine dauerhafte und verlässliche Belieferung aus Russland werden wir nicht mehr bauen können", sagte auch Kerstin Andrae, ihres Zeichens Vorsitzende des deutschen Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Dass aktuell wieder Gas fließe, könne höchstens zu "vorläufiger Beruhigung" beitragen.

Deutsche Ökonomin: Russland ist von Exporten abhängig

Die deutsche Energieökonomin Claudia Kemfert sieht in der wieder angelaufenen Gaslieferung durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 einen Beleg für die russische Abhängigkeit von Gasexporten nach Europa. "Dass Russland wieder Gas liefert – wenn auch gedrosselt –, schafft für den deutschen Gasmarkt Entspannung. Es ist aber auch Ausdruck davon, dass Russland den Bogen nicht überspannen kann", sagte sie.

Die Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigte sich optimistisch: "Wenn es weiterhin gelingt, Gas einzusparen, können wir die Speicher bis zu 90 Prozent zum November füllen. Das Verhalten Russlands zeigt, wie abhängig Russland selbst von den Gasverkäufen nach Europa ist."

Gaspreise gesunken

Nach der Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland sind die Gaspreise nun auch zunächst gefallen. Der europäische Future notierte am Donnerstag 7,7 Prozent leichter bei 149 Euro je Megawattstunde. "Damit ist die Energiekrise natürlich bei weitem nicht gelöst. Aber zumindest kurzfristig ist das Albtraumszenario abgewendet", sagte Portfoliomanager Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners. Zuvor war befürchtet worden, Moskau könne nach der zehntägigen Wartung den Gashahn komplett zulassen und so die Energiekrise weiter verschärfen.

Auswirkungen auf EU-Wirtschaft in nächster Zeit

Die Liefermengen in den kommenden Monaten dürften große Auswirkungen etwa auf die europäischen Volkswirtschaften, aber auch auf Privatkunden haben, da sie sich auch auf die Gaspreise niederschlagen. Sie dürften auch ausschlaggebend dafür sein, wie weit die EU-Länder ihre Gasspeicher noch vor der kalten Jahreszeit auffüllen können und ob es zu einer Mangellage kommt. Kreml-Chef Wladimir Putin hatte in der Nacht auf Mittwoch vor einer Drosselung Ende Juli gewarnt und technische Gründe angeführt.

Peskow sieht Schuld nicht bei Russland

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat am Donnerstag alle Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Gaslieferung, konträr zu den von den Problemen betroffenen Ländern in Europa, mit den westlichen Sanktionen gegen Russland begründet. In einem Gespräch mit Reportern sagte Peskow, Russland bleibe "ein sehr wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Energiesicherheit". (APA, 21.7.2022)