Das Lieferkettengesetz der Europäischen Union soll Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten. Unter Umständen müssen sie dafür auch miteinander kooperieren.

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Im Februar 2022 hat die Europäische Kommission einen ersten Entwurf für eine Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, kurz "Lieferkettenrichtlinie", vorgelegt. Diese definiert für Unternehmen gewisse Mindestanforderungen und Verhaltenspflichten, die von den Mitgliedsstaaten im nationalen Recht umgesetzt werden sollen. Ziel ist die Stärkung der Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungsketten großer Unternehmen. In diesem Sinn erfasst der Richtlinienentwurf europäische Unternehmen, die bestimmte Größenkriterien erfüllen beziehungsweise in besonders risikoträchtigen Bereichen – etwa Textilindustrie, Landwirtschaft und Abbau mineralischer Rohstoffe – tätig sind. Auch Unternehmen aus Drittländern sind erfasst, sofern ihr Umsatz innerhalb der EU bestimmte Schwellen überschreitet.

Die betroffenen Unternehmen sollen verpflichtet werden, Nachhaltigkeit in ihren globalen Wertschöpfungsketten sicherzustellen. Sie sollen unter Berücksichtigung ihrer eigenen Geschäftstätigkeit, aber auch der Tätigkeiten ihrer Tochterunternehmen und ihrer wesentlichen Geschäftspartner potenzielle oder tatsächliche negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt ermitteln und diese gegebenenfalls vermeiden oder abstellen beziehungsweise mindern. Dadurch sollen beispielsweise Kinderarbeit, Arbeitnehmerausbeutung, Umweltverschmutzung oder ein Verlust von Biodiversität verhindert werden. Unternehmen, die gegen die Anforderungen der Richtlinie verstoßen, sollen von den nationalen Aufsichtsbehörden mit Geldbußen bestraft werden können.

Einheitliche Regeln

Mit dem Richtlinienentwurf will die Europäische Kommission eine Fragmentierung nationaler Regelungen betreffend Unternehmensnachhaltigkeit vermeiden und damit Rechtssicherheit für betroffene Unternehmen schaffen. Der Richtlinie zuvorgekommen sind Deutschland und Frankreich. Sie haben bereits nationale Lieferkettengesetze erlassen. Bemerkenswert ist, dass die Richtlinie, die einen Mindeststandard für die Mitgliedsstaaten vorgeben soll, teils deutlich über die Anforderungen dieser bereits bestehenden nationalen Gesetze hinausgeht.

So verlangt die Richtlinie von Unternehmen nicht nur die Setzung eigenständiger Maßnahmen zur Vermeidung beziehungsweise Behebung negativer Auswirkungen, sondern darüber hinaus eine Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen "im Einklang mit dem Unionsrecht, einschließlich des Wettbewerbsrechts", wenn keine anderen Maßnahmen geeignet oder wirksam sind. Unternehmen sollen also unter bestimmten Umständen kooperieren müssen, soweit dies nach europäischem Kartellrecht zulässig ist. Wer Kooperationspartner sein kann, wird durch die Richtlinie nicht vorgegeben. In den Erwägungsgründen ist lediglich beispielhaft angeführt, dass im Fall einer indirekten Lieferbeziehung eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen erforderlich sein kann, das eine direkte Geschäftsbeziehung mit dem Lieferanten unterhält. Denkbar wäre aber auch eine Kooperation mit einem Mitbewerber, um Nachhaltigkeit aufseiten eines gemeinsamen Lieferanten sicherzustellen.

Wie weit muss und darf Zusammenarbeit gehen?

Eine solche Pflicht zur Zusammenarbeit steht allerdings in Widerspruch zum erklärten Ziel der Rechtssicherheit. Denn nicht immer lässt sich für Unternehmen ohne weiteres feststellen, ob eine Zusammenarbeit kartellrechtlich zulässig ist. Insofern unproblematisch – da jedenfalls erlaubt – sind Vereinbarungen, die gar nicht erst dem Kartellverbot unterfallen, weil keine Wettbewerbsparameter wie Preis, Produktvielfalt oder Qualität beeinträchtigt sind. Zu denken ist beispielsweise an die Vereinbarung offener und unverbindlicher Nachhaltigkeitsstandards innerhalb einer Branche. Außerdem gibt es eine weitreichende Ausnahme vom Kartellverbot für Nachhaltigkeitsvereinbarungen im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion.

Kartellrechtlich zulässig sind aber auch Vereinbarungen, die zwar vom Kartellverbot erfasst sind, aber alle Voraussetzungen für eine sogenannte Freistellung erfüllen, nämlich: das Erzielen von Effizienzgewinnen aus der Zusammenarbeit, eine angemessene Beteiligung der Verbraucher an diesen, die Unerlässlichkeit der Wettbewerbsbeschränkungen und die Nichtausschaltung des Wettbewerbs. Ob diese Kriterien erfüllt sind, haben Unternehmen im Einzelfall selbst zu beurteilen. Daraus ergibt sich ein Risikofeld für Unternehmen. Einerseits verpflichtet sie die Lieferkettenrichtlinie zur Zusammenarbeit zur Sicherstellung von Nachhaltigkeit, andererseits verbietet ihnen das Kartellrecht Zusammenarbeit, die den Wettbewerb beschränkt. Somit drohen Geldbußen auf zwei Seiten – sowohl bei einem Zuwenig als auch bei einem Zuviel an Zusammenarbeit. Unternehmen müssen also das richtige Maß für Nachhaltigkeitskooperationen finden und dabei mitunter doch an die Grenze des kartellrechtlich Zulässigen gehen.

Leitlinien als Hilfestellung

Eine Hilfestellung zum Ausloten der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Nachhaltigkeitskooperationen – gleich, ob auf Grundlage der Richtlinie oder aber aus eigener Initiative – könnten Unternehmen demnächst in den Horizontalleitlinien der Europäischen Kommission finden. Diese geben Orientierung zur Frage der Zulässigkeit von Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern. Derzeit unterzieht die Kommission die Leitlinien – deren letzte Fassung stammt aus 2011 – einer Überarbeitung. Die neue Fassung, die als Entwurf bereits vorliegt, wird erstmals auch Ausführungen zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen enthalten. Darin legt die Kommission unter Bezugnahme auf den europäischen Green Deal dar, unter welchen Voraussetzungen Nachhaltigkeitsvereinbarungen die genannten Freistellungskriterien erfüllen, und gibt dazu verschiedene Fallbeispiele.

Besonderes Augenmerk liegt auf dem Kriterium der angemessenen Verbraucherbeteiligung an den entstehenden Effizienzgewinnen. Nach Ansicht der Kommission zu berücksichtigen sind individuelle Verbrauchervorteile, die entweder nutzungsabhängig (zum Beispiel bessere Produktqualität, Senkung des Produktpreises) oder aber nutzungsunabhängig sein können (Bereitschaft der Verbraucher zur Bezahlung höherer Preise für nachhaltig hergestellte Produkte).

Aber auch kollektive Vorteile, die einer größeren Gruppe der Gesellschaft zugutekommen, können beachtenswert sein. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Verbraucher der Produkte Teil der Gruppe der begünstigten Personen sind. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn Käufer emissionsreduzierter Fahrzeuge von einer saubereren Luft profitieren. Hingegen wäre das Kriterium der Verbraucherbeteiligung nicht erfüllt, wenn beispielsweise eine Vereinbarung von Textilherstellern über pestizidfreie Baumwollproduktion zwar Anbaugebiete und Beschäftigte in Asien schützt, aber Verbraucher in Europa nicht begünstigt werden und auch nicht zur Zahlung eines höheren Preises für dieses Plus an Nachhaltigkeit bereit sind.

Wie diese Beispiele zeigen, können die Horizontalleitlinien zwar eine gewisse Hilfestellung bei der Planung von Nachhaltigkeitsvereinbarungen bieten, gewisse Risiken, vor allem in Bezug auf die Frage der Nachweisbarkeit identifizierter Vorteile, verbleiben aber bei den Unternehmen.

Österreichische Nachhaltigkeitsfreistellung

Entgegen dem Ansatz der Europäischen Kommission, die lediglich erklärt, unter welchen Voraussetzungen Nachhaltigkeitsvereinbarungen die allgemeinen Freistellungskriterien erfüllen, wurde im österreichischen Kartellgesetz vergangenes Jahr eine Sonderregel zur Freistellung von Nachhaltigkeitskooperationen geschaffen. Die Regelung legt im Sinne einer gesetzlichen Vermutung fest, dass das Kriterium der angemessenen Verbraucherbeteiligung gegeben ist, wenn Effizienzgewinne aus einer Vereinbarung wesentlich zur ökologischen Nachhaltigkeit oder einer klimaneutralen Wirtschaft beitragen. Eine gesonderte Prüfung der Verbraucherbeteiligung ist somit nicht vorzunehmen.

Der praktische Nutzen dieser Regelung ist aber begrenzt. Zum einen, weil sie auf ökologische Nachhaltigkeit und Klimaschutz beschränkt ist; soziale beziehungsweise menschenrechtliche Aspekte finden keine Berücksichtigung. Zum anderen ist sie nur beachtlich für Sachverhalte, die ausschließlich nach österreichischem und nicht (auch) nach europäischem Kartellrecht zu beurteilen sind. Solche rein nationalen Fälle ohne Zwischenstaatlichkeitselement sind in der Praxis selten. Gerade in Bezug auf die von der Lieferkettenrichtlinie erfassten großen, in der Regel grenzüberschreitend tätigen Unternehmen wird die österreichische Sonderregelung daher kaum Relevanz haben.

Ausblick

Gelangt die Lieferkettenrichtlinie in ihrer derzeitigen Entwurfsform zur Umsetzung, wird sich reichlich Raum für die praktische Anwendung der neuen Horizontalleitlinien auf Nachhaltigkeitskooperationen auftun. Nicht auszuschließen ist, dass Unternehmen angesichts der umfassenden Sorgfaltspflichten aus der Richtlinie und der damit einhergehenden Geldbußenrisiken verstärkt eine vertikale Integration anstreben könnten. So würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Mit Ausübung gesellschaftsrechtlicher Kontrolle fällt die Sicherstellung von Nachhaltigkeit beim Zulieferer deutlich leichter, und kartellrechtliche Risiken werden aufgrund des Konzernprivilegs eliminiert. Allerdings könnten derart integrierte Unternehmen erst recht wieder in den Fokus der Wettbewerbsbehörden rücken – Stichwort Marktbeherrschung. (David Konrath, Franz Hufnagl, 23.7.2022)