Andrij Jermak wird von der Opposition kritisiert.

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Mit der Entlassung des Jugendfreundes und Chefs des Inlandsgeheimdienstes SBU, Iwan Bakanow, verlässt einer der letzten ursprünglichen Verbündeten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dessen Team. Nicht zuletzt die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die Russen so schnell die wichtige südliche Stadt Cherson besetzen, warf Zweifel an Bakanows Behörde auf – als erfolgreicher SBU-Chef wird er nicht in die Geschichte eingehen.

Seine Entlassung bestätigt aber auch die Tendenz der letzten Kriegsmonate, dass jene noch massiver als sonst an Einfluss verlieren, die wie Bakanow 2019 aus der ehemaligen Filmfirma von Selenskyj an die Macht wechselten – nicht zuletzt deshalb, weil sie für diese Situation schlicht nicht reif genug waren. Wer dagegen noch mächtiger wird, ist der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, der weder mit Bakanow noch mit der ebenfalls entlassenen Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa gute Beziehungen pflegte.

Der 50-jährige Jurist Jermak gilt als Fachmann für Urheberrecht, war auch als Filmproduzent tätig und ist nun fast schon eine mythische Figur in der ukrainischen Politik. Obwohl Selenskyj noch aus seiner Zeit als Filmunternehmer und Starschauspieler als starker und strenger Anführer gilt, versucht ein Teil der Opposition, aus Jermak eine Art "graue Eminenz" zu machen, der im Hintergrund die Strippen zieht. Der gebürtige Kiewer bezeichnet sich dagegen lediglich als "Manager Selenskyjs", der nur die vom Präsidenten erteilten Aufgaben erfüllt.

Auf Friedensmission

In der Tat ist es kaum vorstellbar, dass Jermak für Selenskyj die Politik bestimmt. Seine Wichtigkeit für den Präsidenten scheint aber in der Tat enorm hoch zu sein. Nachdem dieser 2019 gewählt wurde, fungierte Jermak zunächst als außenpolitischer Berater. Im Rahmen der zeitweiligen Friedensbemühungen Selenskyjs hinsichtlich des Donbass-Kriegs stand er mit dem stellvertretenden Chef der russischen Präsidialverwaltung Dmitri Kosak in Verbindung.

Das Umfeld von Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko nutzte dies stets als Vorwand, Jermak quasi zu einem "Agenten Russlands" zu stilisieren. Als Jermak 2020 bereits Chef des Präsidentenbüros war, plante die Ukraine, in Minsk befindliche Söldner der russischen Gruppe Wagner per Flugzeug in die Ukraine zu bringen, um sie dort für Verbrechen im Donbass vor Gericht zu stellen. Angeblich bestand Jermak darauf, die Operation zu vertagen, die Söldner wurden dann von den belarussischen Behörden verhaftet und nach Russland ausgeliefert.

Opposition vermutete Leak

Von der Opposition wurde anschließend vermutet, dass Jermak-nahe Personen die Informationen über die geplante Operation geleakt hätten. Was tatsächlich passierte, ist trotz Recherchen von mehreren Seiten schwer festzustellen. Klar ist aber, dass es sich um ein riskantes Manöver handelte, das wohl eine unberechenbare Reaktion des Kreml zur Folge gehabt hätte. Ebenfalls klar ist, dass die Vorwürfe der Nähe zu Russland gegen Jermak durch den russischen Angriffskrieg nicht mehr haltbar sind.

Jermak wird aber auch wegen seines für den Sicherheitsblock zuständigen Stellvertreters Oleh Tatarow kritisiert. Während der Maidan-Revolution war dieser in wichtiger Funktion im Sicherheitsapparat tätig, er kam in einer Ermittlung des Nationalen Antikorruptionsbüros vor, und es wird ihm nachgesagt, die Ernennungen der Chefs der Antikorruptionsorgane gezielt zu torpedieren. Es ist nicht klar, wer nun die Leitung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Inlandsgeheimdienstes übernimmt. Die provisorischen Chefs sollen Medienberichten zufolge aber Tatarow- und Jermak-nah sein.

Gute Nachrichten für die EU

Gleichzeitig soll die Ukraine aber endlich ihren unabhängigen Antikorruptionsstaatsanwalt bekommen, auch ein neuer Leiter des Antikorruptionsbüros soll gewählt werden. Das sind gute Nachrichten für die Ukraine und auch für die EU, der Korruptionsbekämpfung besonders wichtig ist. Der Einfluss des mächtigen Andrij Jermak wird jedoch weiterhin steigen. (Dennis Trubetskoy aus Kiew, 22.7.2022)