Ryan Gosling ist der Auftragskiller Six, ihm zur Seite steht Ana de Armas (links). Als Agentin Dani hilft sie ihm regelmäßig aus der Patsche.
Netflix

Ryan Gosling ist zurück! Zwischen 2004 und 2018 brachte der blonde Kanadier mit seinem Grinsen sowohl im Arthaus- als auch im Mainstreamkino regelmäßig die Herzen zum Schmelzen, dann verschwand er plötzlich für vier Jahre von der Leinwand. Seit kurzem "trendet" er auf Social Media mit Setfotos aus dem kommenden Barbie-Film. In schauspielerischer Aktion zu sehen ist Gosling aber zuerst noch als muskulöser Auftragskiller in The Gray Man, der 200-Millionen-Dollarproduktion des Streamers Netflix, die – obwohl wie für die große Leinwand gemacht – in Österreich keinen Kinostart bekommt.

Regie führen die Brüder Russo, bekannt aus dem Marvel-Universum. Daraus haben sie ihren Stammschauspieler Chris Evans alias "Captain America" als Bösewicht engagiert: Mit einem "trash stache" (lose übersetzt als Rotzbremse), weißen Chinos, knappem Poloshirt und Mokassins ist sein Lloyd Hansen das ultimative Ekelpaket. Der private Auftragskiller Hansen wird vom skrupellosen Neo-CIA-Chef Carmichael (Rege´-Jean Page aus Bridgerton) engagiert, um Goslings "Six" zu liquidieren, denn diesem ist belastendes Material gegen Carmichael in die Hände gefallen.

Fantastisches Körperkino abseits Hollywood

Hansen knöpft sich zuerst Six’ Mentor Fitzroy (Billy Bob Thornton) vor, der den Sträfling Six einst für die Spezialmission Sierra als Auftragskiller angeworben hat. Fitzroys Achillesferse ist seine Enkeltochter Claire, gespielt von Julia Butters, die in Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood als naseweise Nachwuchsaktrice einen legendären Auftritt hatte. In The Gray Man ist sie das herzkranke Mädchen, das gerettet werden will – eine Rolle, die ihr weniger liegt, auch wenn die ruhigen Szenen mit ihr den wortkargen Auftragskiller ein wenig Emotion zeigen lassen und Erinnerungen an Leon der Profi wecken. Claire und ihr Großvater werden in ein Schloss nach Kroatien entführt und hoffen auf ihre Befreiung durch Six.

Auf ihn hat Hansen allerdings ein sechsstelliges Kopfgeld ausgesetzt, weshalb es sämtliche Killerbanden des Planeten auf ihn abgesehen haben. Zur Seite steht Six Ana de Armas als Agentin Dani, deren Hauptaufgabe es ist, ihm regelmäßig aus der Patsche zu helfen.

In einer Reihe teils gut choreografierter, teils überzogener Actionszenen vor spektakulären Settings müssen sich Dani und Six nun gegen zahlreiche schwerbewaffnete Killer verteidigen. Dass "l’arte dell’assassino" jedoch keineswegs darin besteht, möglichst viel herumzuballern, beweist Avik San (gespielt vom indisch-tamilischen Superstar Dhanush). In einer Schlacht, in der die halbe Prager Innenstadt zerschossen wird, zeigt er nicht nur, dass Körperbeherrschung, Kampfkunst und Ausdauer zum Ziel führen, sondern auch, dass abseits von Hollywood ein fantastisches Körperkino existiert, in dem mit Verve gekämpft, gesungen und getanzt wird.

Österreich – und doch nicht

The Gray Man bleibt hingegen Waffen und Autos als Grundzutaten des Genres treu, was dann doch sehr an eine Mischung aus Bourne, Wick und Bond erinnert. Auch die exotischen Schauplätze – Bangkok, Ulaanbaatar, Prag, Berlin, Wien und Kroatien – locken Mitteleuropäer nicht hinterm Sofa hervor, denn das Schlösschen in Kroatien sieht verdächtig französisch aus und das Hundertwasserhaus, in dem Gosling auf einen kriminellen Nerd trifft, ist sicher nicht das im dritten Bezirk.

Wien wird zwar in dicken Lettern als Schauplatz genannt, gefilmt wurde aber wieder einmal im Koproduktionsland Tschechien. Das Umschiffen des Drehorts Österreich durch internationale Großproduktionen wie The Gray Man soll sich mit dem neuen Investitionspaket in die Filmwirtschaft ändern. Den im Paket erhaltenen Klimabonus hätte der überteuerte Netflix-Knaller allerdings nicht bekommen – dafür setzt er zu sehr auf ziemlich echt aussehende Materialschlachten und derart viel Pyrotechnik, dass Rammstein vor Neid erblassen würden. (Valerie Dirk, 22.7.2022)