Papst Franziskus wird nach seiner Landung in Edmonton begrüßt.

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Angehörige der Mosakahiken Cree Nation umarmen sich vor einem Denkmal auf dem Gelände eines Umerziehungsinternats in British Columbia.

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Sechs Tage hat Papst Franziskus ab dem heutigen Sonntag Zeit, um die Erwartungen der Indigenen Kanadas zu erfüllen. Er soll Buße tun. Für das Leid indigener Kinder in kirchlich geführten Umerziehungsinternaten – sogenannter Indian Residential Schools. Dort sollte verschleppten Kindern ihre Kultur ausgetrieben werden. Körperlicher, sexueller und seelischer Missbrauch standen oft an der Tagesordnung. Eine erste Entschuldigung des Pontifex im April in Rom ging den Indigenen nicht weit genug. Und nun sollen den Worten auch Taten folgen.

Rund 150.000 indigene Kinder wurden vom Ende des 19. Jahrhunderts bis spätestens in die 1990er-Jahre ihren Familien weggenommen und in solche Einrichtungen gesteckt. Bis zu 6000 sollen gestorben sein. Die meisten von ihnen wurden in ungekennzeichneten Massengräbern verscharrt.

Warten auf Taten

Insgesamt gab es 139 staatlich unterstützte Umerziehungsinternate – mehr als die Hälfte wurden von der katholischen Kirche betrieben. Lange wurde die Soutane des Schweigens über die Rolle der Katholiken gehüllt. Am 1. April verlas Papst Franziskus in Rom schließlich eine erste Entschuldigung. Der Pontifex sprach von "Empörung" und "Scham", die die Berichte von Internatsüberlebenden bei ihm auslösen. Er benannte die "Rolle einiger Katholiken (...) in den Dingen, die euch verletzten, in den Misshandlungen, die ihr erlitten habt, und in dem mangendelnden Respekt, der euch für eure Identität entgegengebracht wurde". Die Kirche würde an der Seite der Indigenen stehen und einen gemeinsamen Weg suchen.

Viele Überlebende und Nachfahren der Betroffenen warten nun auf Taten, die den Worten folgen. Am dringendsten fordern sie, dass noch lebende Priester und Kirchenangestellte, die Kinder misshandelt und missbraucht hätten, zur Verantwortung gezogen würden. Und das nicht nur innerhalb der kirchlichen Strukturen, sie sollen auch den nationalstaatlichen Behörden und Gerichten ausgeliefert werden. So befindet sich Ex-Pater Joannes Rivoire trotz erneuerten Haftbefehls wegen sexuellen Missbrauchs in Kanada noch immer in Frankreich, dessen Regierung ihn nicht ausliefern möchte.

Erst im vergangenen Monat verhaftete die kanadische Polizei einen 92-jährigen pensionierten Priester. Arthur Masse soll vor mehr als 50 Jahren ein zehnjähriges Kind in einem Umerziehungsinternat missbraucht haben. Die Übergriffe fanden laut Polizeiakten zwischen 1968 und 1970 in der kanadischen Provinz Manitoba statt. Noch im Juli soll Masse vor Gericht gestellt werden.

Zwei Bullen für den Kolonialismus

Ob Papst Franziskus auf eine weitere Forderung der Indigenen eingehen und die kirchliche Doktrin widerrufen wird, die Kolonialismus gerechtfertigt und in weiterer Folge den Missbrauch ermöglicht hat, ist unklar. Konkret geht es um zwei Bullen aus dem Jahr 1455 und 1493, die den kirchlichen Segen für den Landraub in Afrika und Amerika gegeben hat. Durch die "Doktrin der Entdeckung", die darauf basiert, wurde den Indigenen eine Seele aberkannt und ihr Land als "terra nullius"– Niemandsland – erklärt.

Bereits beim Besuch in Rom im März hatten Mitglieder des Assembly of First Nations das Kirchenoberhaupt gebeten, die Bullen aufzugeben. "Wir müssen das Unrecht richtigstellen", sagte der Chief der Dene Nation, Gerald Anoine. Ebenso forderte die kanadische Wahrheits- und Wiedergutmachungskommission, dass solche Rechtfertigungen für den europäischen Kolonialismus zurückgenommen werden.

Betroffene fordern zudem von der katholischen Kirche, dass diese ihre Aufzeichnungen über die Umerziehungsinternate veröffentlicht und Kopien an indigene Gemeinschaften versendet. Nur so könne man begreifen, was in den Internaten geschehen sei, sagt die indigene Wissenschafterin Tiffany Prete, die sich seit Jahren mit der Geschichte der Residential Schools beschäftigt. "In diesen Dokumenten geht es immerhin um uns", sagte Prete zum STANDARD.

Suche nach Gräbern

Mit der Reise nach Edmonton, Québec und dem weit nördlichen Iqaluit bekräftigt der Papst seinen angekündigten intensiveren Kampf gegen Missbrauch. Ohne Transparenz und Rechenschaft verliere die Kirche noch mehr Gläubige, sagte Franziskus im April.

Seitdem im vergangenen Mai die ersten 200 Gräber auf dem Gelände eines ehemaligen Internats durch die T’kemlups te Secwepemc First Nation gefunden wurden, konnten hunderte Gräber in Kanada identifiziert werden. Vergangene Woche begannen die Angehörigen der Tseshaht First Nation auf Vancouver Island, das Gebiet einer früheren Residential School zu untersuchen.

Auch die Pimicikamak Cree Nation in der Provinz Manitoba untersuchen mit Bodenradaren ein Gelände. 1,1 Millionen Dollar stellte die Regierung zur Verfügung. Chief David Monias sprach vor Journalisten von gemischten Gefühlen innerhalb der Gemeinschaft: "Ich denke, dass wir dadurch die Wahrheit finden, und das wird vielen wehtun. Aber gleichzeitig freuen wir uns, dass die Wahrheit endlich ans Licht kommen wird." (Bianca Blei, 24.7.2022)