Unter Premier Mario Draghi sind das Ansehen und das Gewicht Italiens in Brüssel wieder gestiegen. Nun droht das Gegenteil.

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Diesmal war es endgültig, unwiderruflich: Am Donnerstag hat sich Mario Draghi ins Abgeordnetenhaus begeben, um den Parlamentariern für die Zusammenarbeit der letzten 17 Monate zu danken und ihnen seinen Rücktritt zu präsentieren. Dabei war er sichtlich bewegt. Danach übergab Draghi Staatspräsident Sergio Mattarella sein Demissionsschreiben; das Staatsoberhaupt nahm diesmal den Rücktritt an, nachdem er dies letzte Woche noch abgelehnt hatte.

Am Mittwoch hatten drei der ehemaligen Koalitionsparteien Draghis in einer Vertrauensabstimmung dem Premier die Unterstützung verweigert: Die Fünf-Sterne-Protestbewegung sowie die Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi sind der Abstimmung ferngeblieben.

Neuwahlen im Herbst

Nach der Annahme von Draghis Rücktritt hat Staatspräsident Mattarella noch am gleichen Tag das Parlament aufgelöst – ohne vorherige Konsultationen mit den Parteien und somit auch ohne den Versuch, eine Übergangsregierung zu bilden. Weil Neuwahlen spätestens 70 Tage nach der Auflösung der Kammern stattfinden müssen, sollen diese für 25. September angesetzt werden. Bis zur Vereidigung der neuen Regierung bleibt Draghi geschäftsführend im Amt. Den neuen Staatshaushalt – im hochverschuldeten Italien ein delikates Geschäft – wird jedoch die neue Regierung ausarbeiten.

Die Zusammensetzung der neuen Exekutive scheint bereits festzustehen: Laut Umfragen wird dem Rechtsbündnis aus Lega, Forza Italia und den postfaschistischen Fratelli d’Italia (FDI) der Wahlsieg kaum zu nehmen sein. Mit FDI-Chefin Giorgia Meloni könnte erstmals in der Geschichte der Republik eine Frau in den Palazzo Chigi, den Sitz der Regierung, einziehen.

Finanzmärkte reagieren

Die Parteien befinden sich längst im Wahlkampf. Lega-Chef Salvini versammelte seine Parteispitze, um politische Ziele zu formulieren: eine neue Steueramnestie, die Einführung einer Flat Tax sowie die Bekräftigung des bisherigen Pensionsalters, das Draghi erhöhen wollte.

Berlusconi und Meloni wären dem wohl nicht abgeneigt. Mit anderen Worten: Italien ist mit Draghis Rücktritt erneut zum Unsicherheitsfaktor geworden. Die Finanzmärkte haben auf die sich abzeichnende Rückkehr Italiens zur finanzpolitischen Lässigkeit reagiert: Die Kurse an der Mailänder Börse haben kräftig nachgegeben, während der Risikozuschlag für Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesschatzbriefen in die Höhe schoss.

Nach dem Abgang des überzeugten Europäers Draghi droht das Land auch auf EU-Ebene wieder ein unzuverlässigerer Partner zu werden: Die Lega ist offen europafeindlich und hat schon mit dem Slogan "Basta Euro" geworben; die FDI sind auch nicht vor antieuropäischen Reflexen gefeit.

Am europafreundlichsten ist zwar Berlusconi, dessen Forza Italia im EU-Parlament Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) ist. Dies hat die Partei aber nicht daran gehindert, den dort angesehenen Draghi abzuservieren.

Keine Ansprache für Kiew

Eine schlechte Nachricht ist all das auch für die Ukraine: Draghi hatte rasch alle westlichen Sanktionen unterstützt und, soweit sie in Italien überhaupt verfügbar waren, auch Waffen geliefert. Kiew muss nun damit rechnen, in Rom keinen Ansprechpartner mehr zu finden.

Während sich Meloni und Salvini schon wie Sieger fühlten, wurde Berlusconis Partei von einem Erdbeben erschüttert: Aus Protest gegen den "Verrat" an Draghi gaben Ex-Regionen-Ministerin Mariastella Gelmini und der Minister für die Staatsverwaltung, Renato Brunetta, ihren Austritt bekannt. "Diejenigen in meiner Partei, die in einer so ernsten Situation die Eigeninteressen vor das Landesinteresse gestellt haben, sind verantwortungslos", sagte Brunetta. Und: "Die Führung von Forza Italia ist dem übelsten Populismus verfallen und hat einen Champion wie Draghi, auf den ganz Italien stolz ist, auf dem Altar eines kurzsichtigen, wahltaktischen Opportunismus geopfert." Brunettas Worte sind in dem politischen Drama der letzten Tage einer der ganz wenigen Lichtblicke. (Dominik Straub aus Rom, 21.7.2022)