Spät, aber doch ist die Europäische Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die ausufernde Inflation mit der ersten Zinserhöhung seit elf Jahren in die Gänge gekommen. Die Anhebung des Leitzinses auf 0,5 Prozent war überfällig, denn 8,6 Prozent Inflation in der Eurozone führen zu schweren sozialen Problemen bei niedrigeren Einkommen. Regierungen versuchen, mit Unterstützungen und marktwirtschaftlich bedenklichen Verrenkungen wie Preisdeckeln das Schlimmste zu verhindern, dabei ist für Geldwertstabilität in der Eurozone einzig die EZB verantwortlich.

EZB-Chefin Christine Lagarde kann den Preisauftrieb mit den ihr zur Verfügung stehenden geldpolitischen Mitteln mittelfristig bremsen.
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Die Notenbank versteht darunter eine Teuerung von zwei Prozent, ist derzeit aber von ihrem eigenen Inflationsziel meilenweit entfernt. Somit war es überfällig, auf die geldpolitische Bremse zu treten – zumal die Notenbank mit ihrer jahrelangen Politik des billigen Geldes auch selbst einen Grundstein für den Teuerungsschub gelegt hat.

Wohl kann EZB-Chefin Christine Lagarde nichts gegen viele Ursachen der Inflation bewirken. Weder werden Zinserhöhungen den Ukraine-Krieg beenden noch China hinsichtlich der Null-Covid-Politik umstimmen oder gerissene Lieferketten flicken. Aber sie kann den Preisauftrieb mit den ihr zur Verfügung stehenden geldpolitischen Mitteln bremsen – auch wenn es dauert, bis Zinsänderungen wirksam werden.

Zunächst werden Kredite teurer, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sukzessive verringern soll. Zusätzliches Geld, das für Zinszahlungen benötigt wird, fehlt dann beim Konsum. Dazu kommt, dass höhere Zinsen in der Eurozone auch den anhaltenden Kursverfall der Gemeinschaftswährung bremsen. Schließlich ist etwa die US-Notenbank Fed viel hemdsärmeliger gegen die Teuerung vorgegangen und hat die Zinsen bereits aggressiv erhöht.

Signifikant höhere Zinsen bei ähnlichem Risiko ziehen das Kapital an wie ein Magnet. Deshalb ist der Euro in der Vorwoche erstmals seit 2002 unter die Parität zum Dollar gefallen – eine Kursschwäche, die im Euroraum zu zusätzlicher Inflation führt. Denn Einfuhren aus den USA oder wichtige in Dollar gehandelte Rohstoffe wie Erdöl werden durch einen schwachen Euro teurer. Diese Entwicklung kann die EZB mit höheren Zinsen stoppen.

Gleichzeitig muss die EZB-Führung um Lagarde aber auch ein gewisses Fingerspitzengefühl zeigen. Überspannt die Notenbank bei den Zinsen den Bogen, kann die Eurozone auch schnell in eine Rezession abgleiten. Bereits jetzt trübt sich die Verbraucherstimmung in der Eurozone merklich ein, die meisten Konsumenten haben den enormen Preissteigerungen von Waren und Dienstleistungen keine entsprechenden Einkommenszuwächse entgegenzubringen. Sie erleiden also empfindliche Reallohnverluste, was eigentlich bedeutet: Sie werden ärmer.

Wohl gibt es in der EZB Sorgen, was höhere Zinsen für finanziell schwächere Staaten wie Italien und den Zusammenhalt der Eurozone bedeuten. Dafür hat die Notenbank ein neues Programm geschaffen, aber ihr Hauptaugenmerk muss auf Geldwertstabilität liegen. Nach mehr als sechs Jahren war die Abkehr von der Nullzinspolitik überfällig, zumal diese Phase das Ersparte der Bevölkerung entwertet und zu Übertreibungen am Immobilienmarkt geführt hat. Gut, dass zumindest dieser Spuk vorüber ist – aber im Kampf gegen die Inflation wird die EZB noch mehr liefern müssen. (Alexander Hahn, 21.7.2022)