Dieser Rüffel aus dem sittenreinen Bregenz hat gesessen, aber die Regierung ist noch einmal davongekommen. Ein Bundespräsident Rosenkranz hätte sie längst entlassen, denn was so ein Freiheitlicher ist, der kann bekanntlich Schlamperei bei anderen nicht leiden.

Man muss sich Van der Bellens Vorwurf der Prokrastination in Ausübung der Regierungsgeschäfte genau in Erinnerung rufen, um seine Tiefe zu ermessen. "Ich bin deshalb zur Entscheidung gekommen, dass die Regierung jetzt das tun soll und muss, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde: Sorry, arbeiten, arbeiten." Schade, dass der Bundespräsident erst jetzt zu dieser Entscheidung gekommen sein will, wo man doch angenommen hätte, dass schon die Angelobung der Regierungsmitglieder mit einem Arbeitsauftrag ab "jetzt" verbunden war.

Van der Bellen: "Ich bin deshalb zur Entscheidung gekommen, dass die Regierung jetzt das tun soll und muss, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde: Sorry, arbeiten, arbeiten."
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Und wenn das so war, erhebt sich die Frage, ob die Machtbefugnis des Bundespräsidenten bei der Auftragsvergabe, die eine Angelobung ja darstellt, nicht überschätzt wird, und was geschehen soll, wenn die Regierung seinem Mahnruf nicht die krisenadäquaten Taten folgen lässt, die er – selber unter leichtem Wahlkampfdruck – jetzt einfordert. Nicht genug damit, hat er am Rande auch noch verlangt, die Kommunikation der Koalition müsste besser und rascher werden. Jetzt. Man muss die Regierung vor solchen Zumutungen in Schutz nehmen. Sie arbeitet doch. Ministerinnen und Minister flitzen ins Ausland, sagen Urlaube ab, holen ausländische Kollegen herein, die das Unpopuläre erklären sollen, mit dem sie sich selber nicht belasten wollen. Das Gewesslern läuft wie geschmiert.

Aber schon altrömische Kommunikationsprofis wussten, man kann nichts verlangen, was das Vermögen übersteigt. Allenthalben wird in diesen Tagen beklagt, das Vertrauen in die Politik sei verloren gegangen, und gehofft, Wunder der Kommunikation könnten es zurückholen. Das wird es, zumindest in dieser Legislaturperiode, nicht mehr spielen. Dafür ist die Regierung von Karl Nehammer zu sehr belastet mit dem Fluch der früheren Regierung. Seit der Jahrhundertwende und seit 2017 befeuert vom System Kurz setzte die Erosion politischer Glaubwürdigkeit ein, und es ist eine Illusion zu glauben, ausgerechnet in der größten Krise seit langem ließe sie sich mit ein paar Kommunikationstricks zurückholen.

Chaotische Kommunikationspandemie

Es geht nicht nur um schlechte Kommunikation. Gegen so etwas hat man früher Experten engagiert, die mit unterschiedlichem Erfolg Abhilfe zu schaffen versuchten. Aber die chaotische Kommunikationspandemie, die unter Kurz das Regieren weitgehend ersetzte und in einem Desaster endete, hat das Misstrauen in alle diesbezüglichen Versuche allgemein und längerfristig gestärkt. Der Umstieg in die Koalition einer unglaubwürdigen Zwangsharmonie und ein neuer Bundeskanzler, dessen Verwicklung in frühere Machenschaften noch nicht aufgelöst ist, konnten daran nichts ändern, und das hätte man schon bei ihrer Angelobung zumindest ahnen können.

Von einem Vorwurf des Bundespräsidenten muss man die Regierung freisprechen. Sie möge endlich tun, wofür sie gewählt wurde, forderte er. Leider werden Regierungen nicht gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt und vom Nationalrat bestätigt. Die Forderung, die Regierung möge arbeiten, arbeiten, ist daher leicht überzogen. Sorry. Sorry.(Günter Traxler, 22.7.2022)