Am Krieg in der Ukraine werden die Sanktionen trotzdem nichts ändern, weil sie Präsident Wladimir Putin in Kauf nimmt, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.

Putins Kriegskasse mag sich noch füllen, die russische Wirtschaft befindet sich aber bereits in der Rezession.
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Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht. Entlang dieser Hypothese argumentierte Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer bei seiner Kritik an den EU-Sanktionen gegen Russland. Sein Sager, wonach sie möglicherweise nicht ganz zu Ende gedacht waren, traf einen wunden Punkt. Angesichts einer aus dem Ruder laufenden Inflation und eines drohenden Gaslieferstopps fragen sich viele, ob diese tatsächlich der Weisheit letzter Schluss sind. Hat Mahrer vielleicht recht und schaden die Sanktionen am Ende den Europäern mehr als Russland?

Mitnichten. Egal wie man es auch dreht und wendet, Russland steht trotz aller kurzfristigen Resilienz zumindest längerfristig als großer Verlierer da. Auch wenn das Land die Sanktionen und den Rückzug vieler westlicher Firmen bisher besser verkraftet hat, als viele im Westen gehofft hatten, befindet es sich bereits in einer Rezession. Die Wirtschaft dürfte heuer um bis zu sieben Prozent schrumpfen, im nächsten Jahr könnte es noch einmal um drei Prozent nach unten gehen. Und die Aussichten sind eher düster. Anders in der EU, wo die Wirtschaft heuer trotz aller Probleme immer noch mit 2,4 Prozent wachsen sollte, vorausgesetzt, es kommt zu keinem totalen Lieferstopp bei russischem Erdgas.

"Ein ökonomischer Schock auf Raten."

Der Kreml sieht sich dagegen mit einem ökonomischen Schock auf Raten konfrontiert. Daran ändern auch die immer noch sprudelnden Einnahmen aus dem Energiegeschäft wenig. Sie haben den russischen Rubel auf ein neues Fünfjahreshoch getrieben. Auch mit einer Reihe von cleveren Maßnahmen wie etwa Kapitalverkehrskontrollen stabilisierte Notenbankgouverneurin Elwira Nabiullina die Landeswährung, was zu einer raschen Verringerung der Inflation geführt hat.

Produktion bricht ein

Dank einer geschickten Wirtschaftspolitik konnte man den Einbruch somit zwar bremsen, die volle Wirkung der westlichen Handelssanktionen wird sich allerdings erst allmählich entfalten. Insbesondere das Embargo auf Hightech-Produkte wie Mikrochips oder Maschinen führt bereits zu drastischen Produktionseinbrüchen in der Industrie. So kollabierte etwa der Großteil der Autoproduktion. Dort, wo es noch zu keinen größeren Ausfällen gekommen ist, sind sie nur eine Frage der Zeit, weil sich die Lagerbestände bei westlichen Komponenten in rasendem Tempo leeren. Mittlerweile stellt man zum Teil wieder auf den Bau sowjetischer Modelle um – etwa bei Autos –, die man technologisch ohne Zulieferungen aus dem Westen beherrscht. Ökonomisch betrachtet ist das natürlich ein enormer Rückschritt, weil die Sanktionen damit sämtliche Modernisierungsbemühungen der russischen Wirtschaft erheblich erschweren.

Schwer getroffen hat es auch die Rüstungsindustrie. So musste etwa die größte Panzerfabrik der Welt, Uralwagonsawod in Nischni Tagil, die Produktion neuer Kampfpanzer aufgrund des Mangels an Teilen aus dem Westen einstellen. Die Firma ist aber nur eines von vielen Beispielen. Die westlichen Sanktionen unterminieren also zunehmend auch das militärische Potenzial Russlands, was angesichts der hohen russischen Materialverluste im Ukraine-Krieg nicht unterschätzt werden sollte. Nicht von ungefähr soll sich Präsident Wladimir Putin bereits hilfesuchend an den Iran und China gewandt haben, um dort Drohnen und anderes Kriegsgerät zu kaufen.

"Kurzfristig betrachtet wirkt das EU-Ölembargo eindeutig kontraproduktiv."

Anders verhält es sich mit dem von der EU beschlossenen Embargo auf russisches Erdöl. Vor allem die Art und Weise, wie es konzipiert wurde, hält einer kritischen Betrachtung kaum stand. Das Land hat gute Chancen, einen Großteil seiner Ölexporte auf anderen Märkten abzusetzen, etwa in Indien und China. Das passiert auch bereits. Das EU-Ölembargo tritt außerdem erst Ende des Jahres in Kraft. Die Angst vor einer Verknappung des Angebots trieb die Ölpreise aber sofort in die Höhe. Darunter leiden wir im Westen, Putins Kriegskasse profitiert dagegen massiv. Kurzfristig betrachtet wirkt das EU-Ölembargo also eindeutig kontraproduktiv.

Aber wer leidet mehr, sollte Putin tatsächlich den Gashahn zudrehen? Kurzfristig wiederum sicherlich die EU-Staaten, deren Wirtschaft in eine Rezession rutschen würde, während Russland auch ohne Gasexporte in die EU derzeit nicht knapp bei Kasse ist. Längerfristig würde sich Russland damit aber wohl noch mehr ins eigene Knie schießen. Denn im Gegensatz zum Öl können die Gasexporte nicht so schnell in andere Länder wie China umgeleitet werden. Der allergrößte Teil der russischen Erdgaspipelines führt nach Europa. Der Bau alternativer Röhren oder von LNG-Terminals zum Transport von verflüssigtem Gas dauert Jahre. Zumal der Schaden für Russlands Wirtschaft durch den Einsatz von Gas als Waffe bereits angerichtet ist. Fast alle Abnehmer in Europa arbeiten fieberhaft daran, unabhängiger von Moskau zu werden und ihre Energieversorgung zu diversifizieren.

Keine Illusionen

Russland ist also eindeutig der große Verlierer der westlichen Wirtschaftssanktionen und wird unter ihnen noch mehr leiden als bisher. Trotzdem führt es seinen blutigen Angriffskrieg mit unverminderter Härte weiter. Politisch haben die Sanktionen also nichts gebracht und werden auch nichts bringen, hier sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Der wirtschaftliche Schaden wird von der russischen Führung bei der Verfolgung ihrer geopolitischen Ziele nämlich bewusst in Kauf genommen. Was das für Putins Machterhalt bedeutet, wird die Zukunft weisen. (Vasily Astrov, 22.7.2022)