Tiere, Tiere, Tiere. Rodrigo Medellíns Kindheit in Mexiko kannte nur ein Thema. Seine Mutter hielt fest, dass sein erstes Wort nicht etwa Mama war, sondern Flamingo. Im Alter von elf Jahren wollte er unbedingt bei der bekannten TV-Quizshow mitmachen, bei der man schwierige Fragen zu einem Wissensgebiet beantworten musste, um den "großen Preis" von 64.000 Pesos zu gewinnen. Afrikanische Säugetiere – das war sein Fachgebiet. Seine Mutter brachte er dazu, bei den Produzenten vorzusprechen. Dort winkte man ab, stellte ihm probeweise aber Fragen. Rodrigo antwortete und antwortete und antwortete. Er sollte zum ersten Kandidaten der Show im Kindesalter werden.

Schon von klein auf war Rodrigo Medellín von Fledermäusen fasziniert. Seitdem erforscht er
die Spezies, wie hier in einer Höhle im mexikanischen Juxtlahuaca.
Foto: Rolex/Diego Bresani

Das war Ende der 1960er-Jahre. Seine TV-Auftritte wurden zum Ausgangspunkt eines Lebenswegs, der sich ganz der Erforschung und dem Schutz von Tieren verschrieb, in Mexiko und auf der ganzen Welt. Eine Säugetiergruppe sollte ihm besonders ans Herz wachsen – die Fledermäuse. Unzählige wissenschaftliche Projekte, Aufklärungskampa gnen und Lobbyingaktivitäten waren ihnen gewidmet.

Verteidiger der Fledermäuse

Heute, als Mittsechziger, zieht Rodrigo Medellín als Ökologieprofessor an der Universität Mexiko die Fäden in einem Forschungs- und Naturschutznetzwerk, das die ganze Welt umspannt. Aktuell gehören dazu 16 wissenschaftliche Projekte auf vier Kontinenten und internationale Schutzorganisationen in Lateinamerika, Afrika und bald auch in Asien. "Egal ob Senator oder Kindergärtner – gib mir eine halbe Stunde mit ihnen, und ich mache sie zu Verteidigern der Fledermäuse", sagt der Biologe.

Die Quizshow im Samstagabendprogramm vor fünfzig Jahren machte damals auch Wissenschafter der Universität Mexiko auf den elfjährigen Rodrigo aufmerksam. Der für Säugetierkunde zuständige Dekan stellte den Kontakt zu ihm her. "Er fragte mich: Warum kommst du nicht zu uns? Wir zeigen dir die echten Tiere", erinnert sich Medellín.

Schlechte Nachrede

Von nun an durfte er unter anderem bei Feldforschungen dabei sein – beispielsweise bei einer Höhlenerkundung. "Hier gab mir ein Professor eine Fledermaus in die Hand. Ich war überwältigt. Ich wusste, die Forschung an diesen Tieren – das ist es für mich", blickt der Biologe zurück. "Und hier bin ich heute, ein paar Jahre später, und arbeite noch immer mit Fledermäusen."

Bis heute fasziniert ihn die "unglaubliche morphologische und ökologische Diversität" der Tiere. Sie sind schwarz, weiß, gelb, rot, groß, klein, mit den verschiedensten Augen-, Ohren- und Schnauzenformen. Manche fressen Insekten, andere Nektar, wieder andere Fische oder Ratten. Und drei Arten ernähren sich von Blut, zählt Medellín auf.

Die Existenz dieser Blutsauger wurde zu einem Ursprung der schlechten Nachrede, die den Tieren zuteilwurde. Ein anderer ist der Roman Dracula des irischen Schriftstellers Bram Stoker mit seinen Vampiren, die sich in Fledermäuse verwandeln. "Danke, Bram Stoker. Du hast einen Albtraum für mich geschaffen!", lacht der Biologe.

Rodrigo Medellín will Bewusstsein dafür schaffen, dass Fledermäuse auch für die Landwirtschaft nützlich sind. Auf Maisfeldern halten sie etwa Schädlinge fern.
Foto: Rolex/Diego Bresani

Wichtige Ökosystemfunktionen

Das schlechte Image steht im Ge gensatz zu den wichtigen Ökosystemfunktionen, die Fledermäuse als Pflanzenbestäuberinnen, Schädlingsbekämpferinnen oder durch die Verbreitung von Samen übernehmen. "Menschen mögen Fledermäuse nicht. Sie wissen nicht, wie stark sie mit ihnen verbunden sind", sagt der Biologe. "Ich wollte den Tieren Gerechtigkeit verschaffen."

In Mexiko, wo Mezcal-Spirituosen wie Tequila ein großer Wirtschaftszweig sind, sollte man den Tieren eigentlich gewogen sein. Immerhin bestäuben sie die dafür verwendeten Agavenpflanzen. Doch die Realität sieht anders aus. "Die größte Gefährdung der Fledermäuse entsteht durch die direkte Zerstörung der Schlafplätze aufgrund von Furcht oder Ignoranz, gefolgt vom Wegfallen natürlicher Ausbreitungsgebiete wie des Regenwalds und der wachsenden Zahl von Windrädern, die für die Tiere tödlich sein können", zählt Medellín auf. "Bei der Windkraft gibt es einfache Gegenmaßnahmen. Die Energieunternehmen müssen sie aber umsetzen." In Nordamerika machte jüngst zudem ein aus Europa eingeschleppter Pilz, der ein Massensterben auslöste, den Beständen zu schaffen.

Kein Tequila ohne Fledermaus

Die großangelegten Schutzbemühungen Medellíns starteten 1994. Forschung, konkrete Tierschutzaktivitäten und Bildungsmaßnahmen sind bis heute die Grundpfeiler der Arbeit. 2007 wurde auf sein Betreiben hin ein Netzwerk für Fledermausschutz für Latein amerika und die Karibik gegründet, seit 2012 gibt es regen Austausch mit Biologen und Umweltschützern in Afrika. Die Bemühungen mündeten in die Gründung von Global South Bats, die Fledermausschutz und -forschung im gesamten Globalen Süden vernetzen soll. Zahlreiche Würdigungen, etwa von National Geographic oder der Uhrenmarke Rolex, halfen bei der Umsetzung der Schutzbemühungen.

Fledermäuse sind auch essentiell für die Kultivierung von Agaven – dem wichtigste Bestandteil von Tequila.
Foto: Rolex/Diego Bresani

Zu den Erfolgen des Biologen gehört etwa die Rettung der Kleinen Mexikanischen Blütenfledermaus, die durch die Agavenbestäubung bei der Tequilaproduktion behilflich ist. "Vor 35 Jahren mussten wir die Spezies in Mexiko und den USA auf die Liste der gefährdeten Arten setzen. 2013 konnte sie dank des von mir geleiteten Schutzprogramms wieder von der Liste gestrichen werden", sagt Medellín. Mittlerweile gibt es sogar einen als fledermausfreundlich zertifizierten Tequila.

Kopfgeld für seltene Arten

Eine andere Spezies, das Flachköpfige Mausohr, wurde 1996 für ausgestorben erklärt, bevor der Biologe wieder eine Handvoll Exemplare entdeckte. In einem anderen Fall setzte Medellín sogar ein "Kopfgeld" von 1000 US-Dollar für die Sichtung einer besonders raren Spezies aus. "Innerhalb von sechs Monaten kannte ich sieben Schlafplätze und hatte ein großes Loch in meiner Geldbörse", so sein Resümee.

Als besonderen Erfolg sieht es Medellín, wenn seine Bemühungen um öffentliche Bildung – die wichtigste Schutzmaßnahme – Früchte tragen. "Einmal besuchte ich ein Dorf, das nahe einer Höhle liegt, wo eines meiner Teams arbeitete. Kinder verkaufen dort normalerweise versteinerte Farne. Ein Kind sagte aber zu mir: Für zehn Pesos erzähle ich dir, warum Fledermäuse wichtig sind", erinnert sich der Biologe. "Da ist ein Traum wahr geworden." (Alois Pumhösel, 12.8.2022)