Pille und Kondom sind die beliebtesten Methoden in Ländern mit verhältnismäßig hohen Einkommen.
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Die Abtreibungsverbote in den USA zeigen, dass es selbst in den sogenannten Industrienationen mitunter noch schwieriger wird, Familienplanung und körperliche Selbstbestimmung nach den eigenen Wünschen und Möglichkeiten auszuüben. Abtreibungen und auch die Empfängnisverhütung sind medizinisch wichtige Eingriffe: Im Jahr 2019 starben fast 200.000 Frauen zwischen 15 und 49 Jahren weltweit bei Komplikationen während einer Schwangerschaft oder Geburt.

Wer verhütet, senkt damit auch die Sterblichkeit von Schwangeren, Gebärenden und Neugeborenen. Auf diese Weise werden ungewollte Schwangerschaften – oft bei Jugendlichen – vermieden, Nachwuchs kann besser auf geplante Weise und wenn erwünscht mit größerem Abstand zu Geschwistern zur Welt kommen, die Anzahl der Geburten geht generell zurück.

Eingeschränkte Verhütung

Doch auch Verhütungsmittel sind für rund 160 Millionen Frauen weltweit nicht in ausreichendem Umfang zugänglich. Das zeigt eine nun im Fachjournal "The Lancet" veröffentlichte Studie. Sie stellt die umfassendste Bewertung zum globalen Bedarf und zur Nutzung von Verhütungsmitteln dar: Mehr als 1.000 repräsentative Umfragen sind eingeflossen.

Die Auswertung zeigt, wie sich die Bedürfnisse rund um Pille, Kondom, Sterilisierung und Co von 1970 bis 2019 bei Frauen und Mädchen in der Weltbevölkerung kontinuierlich verändert haben. Auf Basis der Daten rechnete das Forschungsteam hoch, dass weltweit derzeit etwa 1,2 Milliarden Frauen Verhütungsmittel brauchen und größtenteils auch nutzen. Doch knapp 163 Millionen von ihnen konnten diesen Bedarf im Jahr 2019 nicht decken.

Zugang für junge Frauen besonders schwierig

Seit den 70er-Jahren konnten immer mehr Menschen moderne Kontrazeptiva nutzen. Zu diesen modernen Methoden gehören hormonelle Produkte wie die Antibabypille, Verhütungspflaster und -ringe, aber auch verschiedene Arten von Spiralen, Kondome und die freiwillige Sterilisation. Daneben gibt es auch traditionelle Methoden, die aber üblicherweise weniger sicher das Schwangerwerden verhindern – etwa das Messen der Körpertemperatur.

Im Jahr 1970 nutzten global nur 28 Prozent der Frauen und weiblichen Jugendlichen zwischen 15 und 49 Jahren moderne Verhütungsmethoden. Im Jahr 2019 waren es dagegen 48 Prozent – ein starker Anstieg. Damit ging auch der gedeckte Bedarf in die Höhe, von 55 Prozent auf 79 Prozent weltweit.

In allen Altersgruppen zwischen 15 und 49 Jahren ist bei Frauen der Bedarf an modernen Verhütungsmitteln zwischen 1970 und 2019 im Durchschnitt besser erfüllt worden. Die Grafik zeigt, wie sich die Werte je nach Weltregion und Familienstand unterscheiden.
Bild: Haakenstad et al. 2022, The Lancet

Dabei fällt auf, dass in den meisten Regionen die jüngsten Altersgruppen – vor allem Teenager zwischen 15 und 19 Jahren – die benötigten Verhütungsmittel am schlechtesten auftreiben können. Das ist gerade in der jungen Alterskategorie problematisch, sagt Erstautorin Annie Haakenstad von der University of Washington im US-amerikanischen Seattle: "Diese Frauen profitieren am meisten von der Verwendung von Verhütungsmitteln, da ein Aufschub des Kinderkriegens ihnen helfen kann, in der Schule zu bleiben oder weitere Ausbildungsmöglichkeiten zu bekommen und auch bezahlter Arbeit nachzugehen."

Schwangerschaften, die die Zukunft bestimmen

Dies könne ihr gesamtes Leben prägen und ihnen sozial und wirtschaftlich helfen – "ein wesentlicher Faktor für mehr Geschlechtergerechtigkeit". Wie zahlreiche Studien zeigen, hängt die Bildung einer Frau stark mit der Anzahl der Kinder zusammen – je höher der Bildungsgrad, desto weniger Nachwuchs.

Generell nutzen Frauen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara derzeit mit 24 Prozent am wenigsten moderne Verhütungsmittel – ihr Bedarf ist lediglich zu 52 Prozent gedeckt, zeigt die Studie. In Ländern Asiens und Ozeaniens werden diese Methoden dafür mit zwei Dritteln der Frauen von sehr vielen genutzt. Nationale Unterschiede zeigen sich besonders deutlich zwischen dem Südsudan und Norwegen: Während im erstgenannten Land nur zwei Prozent der Frauen moderne Verhütung betreiben, sind es in Norwegen 88 Prozent.

Moderne Kontrazeptiva waren auch im Jahr 2019 für Frauen in vielen Ländern nur sehr eingeschränkt verfügbar, wie die obere Hälfte der Grafik zeigt. In der unteren Hälfte ist zu sehen, wo der Bedarf an den modernen Mitteln erfüllt wird und wo nicht – in etlichen afrikanischen Staaten und in vielen Balkan-Ländern ist die Lage besonders problematisch.
Bild: Haakenstad et al. 2022, The Lancet

Österreichische Präferenzen

In Österreich nutzten laut Studie 2019 rund 70 Prozent der Frauen von 15 bis 49 Jahren moderne Verhütungsmittel. Der österreichische Verhütungsreport für dasselbe Jahr geht von 78 Prozent aus – allerdings wurden dabei Frauen und Männer befragt, die selbst oder mit Partner beziehungsweise Partnerin verhüten. Dieser Bericht liefert detailliertere Informationen auf nationaler Ebene und zeigt etwa, dass vor allem mit dem relativ wenig zuverlässigen Kondom (38 Prozent) verhütet wird, gefolgt von der Pille (34 Prozent). Je älter die Befragten, desto wichtiger werden sehr wirksame Methoden wie Hormon- und Kupferspirale (insgesamt nur sechs und vier Prozent) und die Vasektomie, also das Durchtrennen der Samenleiter.

Verhütung ist nicht nur Frauensache – für die weltweite Auswertung war es jedoch einfacher, sich an Frauen zu orientieren, deren Körper meist stärker von der Verhütung – und natürlich von Schwangerschaften – betroffen ist. Die globale Studie verdeutlicht auch, dass nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern mit hohem Einkommen Antibabypille und Kondom ganz weit oben auf der Liste der genutzten Verhütungsmethoden stehen.

Häufige Sterilisationen

In Lateinamerika und der Karibik greifen ebenfalls viele Frauen zur Pille, lassen sich aber auch relativ häufig sterilisieren. Auch in Südasien kommt der freiwilligen Sterilisation der Studie zufolge eine besonders hohe Bedeutung zu. In dieser Region setzen mehr als die Hälfte der Frauen, die verhüten, auf diese langfristig wirksame Methode. Generell nutzten in Südost- und Ostasien sowie in Ozeanien mit 65 Prozent sogar die meisten Frauen moderne Verhütungsmittel, 90 Prozent des Bedarfs wurden gedeckt. Im Südsudan ist der Wert zur erfüllten Nachfrage mit 65 Prozent am niedrigsten.

Ein Faktor, der die erhobenen Daten beeinflussen könnte, ist die Tatsache, dass manche Frauen womöglich ihre Angaben verfälschen, wenn diese sozial unerwünscht sind, vermerkt das Forschungsteam. So wurden etwa für die Bewertung, wer Verhütungsmittel benötigt, jene Frauen und Mädchen herangezogen, die im gebärfähigen Alter sind, sich aktuell keine Kinder wünschen und sexuell aktiv sind.

Es könnten dabei aber Personen durch das Raster fallen, die aufgrund von sozialer Stigmatisierung ihre sexuelle Aktivität verschweigen – etwa weil sie unverheiratet sind oder von ihrem Umfeld als zu jung dafür angesehen werden. Auch andere Gruppen werden durch das Studiendesign ausgeschlossen – beispielsweise Frauen, die keinen Sex haben, weil sie nicht verhüten können, oder jene, die mit ihrer Verhütungsmethode unzufrieden sind und gern mehr Möglichkeiten hätten.

Corona-Pandemie

Hinzu kommt der Einfluss der Covid-19-Pandemie in den vergangenen Jahren, der eine interessante aktuelle Entwicklung darstellt. So schätzte etwa der United Nations Population Fund zu Beginn der Pandemie, dass durch drei Monate Lockdown mit erheblichen Einschränkungen von Gesundheitsleistungen weltweit 44 Millionen Frauen keine modernen Kontrazeptiva verwenden können. Nimmt man diese Parameter als Grundlage, könne es zu etwa einer Million ungewollten Schwangerschaften gekommen sein.

Genaue Auswertungen dieser Zeit werden also besonders interessant sein – für Europa zeigte sich bereits, dass die Corona-Pandemie zu keinem Babyboom führte. Aber auch generell werden weitere Studien wichtige Informationen liefern, wie gut Verhütungsmittel – und auch Abtreibungen – in verschiedenen Ländern zugänglich sind und wie sich etwa juristische Entscheidungen wie jüngst in den USA darauf auswirken. Obwohl sich generell die Verfügbarkeit moderner Methoden seit den 70er-Jahren sehr verbessert habe, sei es insgesamt "noch ein langer Weg, um sicherzustellen, dass jede Frau und jedes jugendliche Mädchen in der Lage ist, von der wirtschaftlichen und sozialen Stärkung zu profitieren, die Verhütungsmittel bieten können", wie es Haakenstad formuliert. (Julia Sica, 22.7.2022)