Katherine Angel plädiert dafür, Verletzlichkeit zu zeigen.

Foto: Stacey Yates

Sexuelle Gewalt an Frauen ist allgegenwärtig. Man kann die Nachrichten schlichtweg nicht ausblenden, von Prince Andrew abwärts bis zu den namenlosen Tätern in jeder x-beliebigen Nachbarschaft und Schicht. Eingängige Slogans wie "Nein heißt Nein", Bewegungen wie #MeToo erhöhen zwar die Sichtbarkeit, verkleinern aber kaum das Problem. Eine Vergewaltigung ist für Frauen ein "ständiges Schreckgespenst", das zeichnet Katherine Angel in ihrer absolut lesenswerten, differenzierten Studie Morgen wird Sex wieder gut. Frauen und Begehren nach.

Es geht um Sex, und damit auch um Macht und Missbrauch, um die politische Dimension des vermeintlich so natürlichen Begehrens. Eine Vergewaltigung, zeichnet Angel weitverbreitete Überzeugungen nach, sei ein "Risiko", das Frauen "verantwortungsbewusst zu managen" haben – wobei sie zugleich hinterfragt, ob das real existierende Risiko (das bekanntlich meist von Tätern aus dem nahen Umfeld ausgeht) nicht zu einem diffusen, unkontrollierbaren Schreckbild aufgeblasen wird (der fremde Mann!), um Frauen zu disziplinieren.

Die Versuche der Schuldumkehr sind allgemein bekannt, die zu kurzen Röcke, die zu tiefen Ausschnitte, überhaupt das falsche Verhalten der Frau (nicht des Mannes!), das die Vergewaltigung provoziert hat.

Wissen, was man will

Aber was tun? Angel unterzieht den Begriff des Konsens einer genaueren Analyse. Konsens, der wie ein Zauberwort dafür sorgen soll, dass Sex in einem unspezifischen Morgen endlich wieder gut werden wird (der Titel verweist auf Foucault, der das durchaus sarkastisch meinte). In einer großen, die Entwicklung feministischer Bewegungen und Haltungen streifenden Denkbewegung kommt Angel zu keinem klaren Schluss, dennoch ist man als Leserin danach klüger.

Konsens mag die "am wenigsten schlechte Richtlinie für ein Gesetz zu sexuellen Übergriffen" sein, die Lösung allen Übels ist er nicht. Denn zum einen wird es keine einzige Person auf Erden geben, die immer und zu jedem Zeitpunkt weiß, was sie will. Und gerade Frauen sind sowohl häufig ökonomischen Notlagen als auch widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt. So sollen sie zwar wissen, was sie wollen, und das auch klar artikulieren – zu offensive sexuelle Selbstbestimmung ist aber auch wieder nicht gut, Stichwort Slutshaming.

Unzuverlässiges Begehren

Katherine Angel, "Morgen wird Sex wieder gut. Frauen und Begehren". Aus dem Englischen von Zoë Beck und Annika Domainko. 20,60 Euro / 176 Seiten. Hanser, 2022
Cover: Hanser

In weiteren Kapiteln nimmt Angel die Begriffe Begehren und Erregung auseinander, die oft als unzweifelhafte Indikatoren herhalten müssen, am Ende aber genauso fragil und unzuverlässig sind wie Menschen selbst – und beileibe nicht nur Frauen. Womit man bei jener Kategorie wäre, die Angel als zu Unrecht völlig unterbelichtet identifiziert: Verletzlichkeit.

Angel schlägt vor, männliche Gewalt auch als einen Versuch der "Machtdemonstration" zu verstehen, der nur entstehen kann im Zusammenspiel einer angenommenen Macht (die Männern in einer patriarchalen Gesellschaft zugeschrieben, aber eben auch abverlangt wird) und dem Fehlen derselben. Potenz bedeutet übersetzt auch nichts anderes als Macht.

"Egal, wie man es betrachtet", schreibt Angel, "die Idee, dass Männer beim Sex nicht verletzlich wären, ist absurd. Sie können leicht verwundet werden, körperlich ebenso wie seelisch. Ihr Begehren und ihre Lust sind entweder fürchterlich sichtbar, oder sie fehlen sichtlich." Und weiter: "Ich sage das nicht, um mich über Männer lustig zu machen oder um sie zu verletzen; im Gegenteil, ich sage es, um sie dazu einzuladen, Verletzlichkeit zuzulassen."

Sex als Politikum

Mit der Verletzlichkeit bringt Angel einen wichtigen Begriff in die Debatte. Es steht außer Frage, das schwere Verbrechen wie eine Vergewaltigung geahndet gehören. Aber auch Gesetze und Rechtsprechung kommen nicht aus dem luftleeren Raum, sie stehen gesellschaftlichen Debatten gegenüber, Theorien und sozialen Übereinkünften und werden bisweilen von diesen geprägt.

Dem gesellschaftlichen Diskurs wiederum tut es gut, Sex, wie Angel vorschlägt, nicht nur als biologisches Faktum, sondern in seinen sozialen und politischen Dimensionen zu sehen – zu denen eben auch die fundamentale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gehört.

Und daneben vor allem die Ungewissheiten, Unsicherheiten, die Verletzlichkeit, eben alles, was uns als Individuen ausmacht, nicht nur zuzulassen, sondern in die Debatten aufzunehmen. Zu einem Ende werden diese Debatten ohnehin nie kommen, aber genau deshalb sollte man darüber reden. (Andrea Heinz, ALBUM, 24.7.2022)