Die 1981 in Illinois geborene Torrey Peters diversifiziert mit ihrem Debütroman "Detransition, Baby" die altmodische Gattung des Familienromans. Revolutionär findet sie das nicht, aber aufregend.

Foto: Natasha Gornik

Torrey Peters’ letzte Mahlzeit als Ehemann und in gewissem Sinn als Mann überhaupt bestand aus einem frittierten Barsch mit Piri-Piri-Sauce. Das war 2010 in Kampala. Peters’ Frau verfolgte dort ein Forschungsprojekt über Ugandas einzige lesbische Bar.

Drei Jahre zuvor hatte Peters sich ihr als transsexuell geoutet, aber versprochen, sie würde weiterhin als Mann leben und keine Geschlechtsangleichung vornehmen. In jenem Winter, bei jenem Abendessen, musste sich das Paar allerdings eingestehen, dass dieser Plan nicht länger funktionieren würde. Die Scheidung folgte, und Torrey Peters, zurück in den USA, begann ihre Transition.

Detransition, Baby ist Torrey Peters’ erster Roman und nicht autobiografisch. Er basiert jedoch auf den Erfahrungen der Autorin. Zum Beispiel auf der Einsicht, dass das Leben als Transfrau anstrengend ist. Es gibt die täglichen Kleinigkeiten: passende Kleider finden, ständig auf einen weiblicheren Gang achten, die Stimme modulieren.

Und es gibt die großen Hürden: die Diskriminierung, die Bürokratie, gelegentlich ein Durcheinander im Kopf. Diese Existenz ist für manche so anstrengend, dass sie beschließen, ihre Geschlechtsangleichung rückgängig zu machen, zu detransitionieren. Das tut Ames in Peters’ Debüt, der als Amy in einer lesbischen Beziehung mit der Transfrau Reese lebt, bis Amy alles zu viel und sie wieder zu Ames wird.

Es geht um gesellschaftliche Erwartungen und Selbstbild, um Familie und Mutterschaft. Ames schwängert und liebt seine Chefin Katrina und versucht, seine Ex-Freundin Reese dazu zu bewegen, das Kind als Dreigespann großzuziehen. Traditionen und Denkmuster müssten über den Haufen geworfen werden. Torrey Peters schildert, ob und wie das gelingt – oder eben nicht. Sie schafft es, die gesuchte Konstellation in eine Mischung aus eleganter Seifenoper und hintergründiger Humoreske zu verwandeln.

STANDARD: Warum haben Sie Ihren Roman Detransition, Baby geschiedenen Cis-Frauen gewidmet?

Torrey Peters: Geschiedene Cis-Frauen und Transmenschen werden mit denselben Fragen konfrontiert. Wir haben unser Leben auf eine bestimmte Art gelebt, und dann kommt plötzlich ein Bruch. Wie macht man nach diesem Bruch weiter, ohne auf dieselben Vorstellungen zurückzugreifen, die sich schon einmal als Illusionen erwiesen haben? Und wie vermeidet man es zu verbittern? Schon bevor ich mit meiner Geschlechtsangleichung begann, las ich oft Bücher von oder über geschiedene Frauen – von Elena Ferrante zum Beispiel oder von Rachel Cusk. Darin habe ich Modelle gefunden, wie ich mein Leben als Transfrau gestalten kann.

STANDARD: Und umgekehrt, was können geschiedene Cis-Frauen aus Detransition, Baby lernen?

Peters: Transfrauen, Transmenschen im Allgemeinen haben viel über Gender und die Sprache nachgedacht, die im Zusammenhang mit Geschlecht und Geschlechterrollen verwendet wird. Was lässt sich auf die Biologie zurückführen? Wo sind gesellschaftliche Erwartungen mit im Spiel? Worin unterscheiden sich Väter und Mütter wirklich, und was sind schlicht Stereotype? Ich glaube, dass mein Buch Cis-Frauen, ob geschieden oder nicht, und übrigens auch Männern helfen kann, solche Unterschiede zu erkennen und sich von gewissen Zwängen und Schuldgefühlen zu befreien.

STANDARD: Wie kamen Sie auf die Idee, eine Dreiecksbeziehung ins Zentrum Ihres Romans zu stellen?

Peters: Als ich Anfang, Mitte dreißig war, bekamen viele gleichaltrige Cis-Frauen um mich herum Kinder. Also fragte ich mich: Will ich auch ein Kind?

STANDARD: Wollten Sie?

Peters: Nein. Ich bin nicht besonders neidisch auf all die neuen Mütter, die kaum mehr zum Schlafen kommen und wie Gespenster herumlaufen. Doch mich interessierte das Gedankenexperiment. Denn wenn eine Transfrau ein Kind will, sind zwangsläufig mindestens drei Leute involviert. Was passiert, wenn sie alle auf dieses Kind Anspruch erheben? Wie lässt sich Unteilbares teilen? Denken Sie an den biblischen König Salomon, der zwei Frauen, die sich um ein Kind stritten, vorschlug, das Kind mit dem Schwert zu spalten – worauf die echte Mutter der anderen das Kind sofort zu überlassen bereit war. Mein Roman erlaubte mir, dieses Szenario durchzuspielen.

STANDARD: Sie zeigen in Ihren Roman auch, dass der göttliche Auftrag "Seid fruchtbar und mehret euch" keineswegs für alle gilt.

Peters: Dieser Aspekt ist mir wichtig. Wenn eine gut bemittelte Cis-Frau sich ein Kind wünscht, wird sie nicht hinterfragt. Sie wird eher hinterfragt, wenn sie sich keines wünscht. Als Transfrau muss ich meinen Kinderwunsch hingegen rechtfertigen. Aber nicht nur ich. Sehen wir eine Obdachlose in einem Park mit fünf Kindern, denken wir doch sofort: Wie kommt die dazu, fünf Kinder auf die Welt zu stellen, für die sie nicht sorgen kann? Dasselbe gilt für Immigrantinnen. In den USA kennen wir den Begriff "Ankerkinder". Das sind Babys, deren Mütter wir verdächtigen, sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu erschleichen, indem sie hier Kinder kriegen. Die Moral bleibt auf der Strecke, wenn es darum geht, wem wir das Recht aufs Kinderhaben zubilligen und wem nicht. Wir sollten ehrlich genug sein, uns das einzugestehen.

STANDARD: Popkulturell scheint die Akzeptanz von Genderdiversität zu wachsen. Gleichzeitig verabschieden immer mehr konservative Bundesstaaten in den USA LGBTIQ-feindliche Gesetze. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Peters: Einer Gesetzesvorlage in Texas zufolge sollen die Eltern von Transteenagern künftig wegen Kindesmissbrauchs angeklagt werden können. Und in den Grundschulen darf dort nicht einmal mehr über LGBTIQ-Themen gesprochen werden. Natürlich sind solche Gesetze schrecklich, und das sollen sie auch sein. Sie sollen provozieren und polarisieren. Ich werde jedoch nicht in die Falle tappen und mich als Ziel besonders perfider Angriffe sehen. Diese Anstrengungen sind vielmehr ein Symptom für den bedenklichen Zustand, in dem unser Land insgesamt steckt. Die Gesetze gegen die LGBTIQ-Community sind nicht schlimmer als die Art und Weise, wie das Wahlrecht oder der Umweltschutz unterhöhlt werden oder die Rechte der Gewerkschaften. Dagegen kommen wir nur mit Solidarität an, nicht indem wir uns selber bemitleiden und unsere Spezialinteressen hätscheln.

STANDARD: Toni Morrison sagte einmal, sie schreibe für ein schwarzes Publikum. Was sie meinte, war: Ich werde Weißen nichts erklären. Hatten Sie das Gefühl, Sie müssten der heterosexuellen Leserschaft Ihres Romans das Transsein erklären?

Peters: Nein. Wir leben im Zeitalter von Google. Wer etwas nicht versteht, braucht bloß sein Handy zu zücken. Im Internet finden sich Antworten auf sämtliche Fragen, die jemand haben könnte.

STANDARD: Also bestand auch kein Verlag auf einem Glossar?

Peters: Ich hätte mich dagegen gewehrt. Literatur, die sich mit Erklärungen aufhält, ist keine gute Literatur. Eine der vielen Stärken Toni Morrisons bestand ja gerade in ihrer Kompromisslosigkeit. Sie kümmerte sich keinen Deut um die etwaigen Wissenslücken anderer. Ich glaubte anfangs, ausschließlich für ein Transpublikum zu schreiben. Ich nahm nicht an, dass sich sonst jemand dafür interessieren würde. Eine Transfrau langweilt sich zu Tode, wenn ich ihr etwas über die Wirkung von Hormonspritzen erzähle.

Torrey Peters, "Detransition, Baby". Aus dem Englischen von Frank Sievers und Nicole Seifert. 24,– Euro / 464 Seiten. Ullstein, 2022
Cover: Ullstein

STANDARD: Detransition, Baby wird in den USA als "erster großer Transroman" gefeiert und für seinen "unkonventionellen" Inhalt gelobt. Stilistisch halten Sie sich in Ihrem Roman jedoch durchaus an Konventionen. Warum?

Peters: Ich bin im Mittleren Westen aufgewachsen und habe John Updike und Mary McCarthy gelesen, keine experimentelle Literatur. Mir gefallen die Erzählmuster der klassischen Gesellschaftsromane. Ich mag Geschichten über Hochzeiten, Ehen und verschmähte Liebe. Interessant ist doch, dass ich bloß transsexuelle Protagonisten in die Handlung einfügen musste, um als "unkonventionell" zu gelten. Nehmen Sie den Familienroman. Detransition, Baby ist ja nichts anderes als ein Familienroman. Es spielen jedoch Transmenschen mit, und dadurch verändern sich sämtliche Rahmenbedingungen. Ich kann also eine altmodische Gattung allein dadurch neu beleben, indem ich Geschichten aus meiner Perspektive erzähle und meine Erfahrungswelt schildere. Das ist vielleicht kein revolutionäres, aber doch ein aufregendes Projekt.

STANDARD: Sie haben wiederholt gesagt, dass Sie nicht als Vertreterin der Trans-Community gesehen werden wollen. Warum glauben Sie, das betonen zu müssen?

Peters: Es ist doch immer so, wenn jemand als Pionierin von irgendetwas bejubelt wird. Ich soll jetzt plötzlich die Transschriftstellerin sein. In diese Rolle lasse ich mich nicht drängen. Ich schreibe sehr bewusst nur über einen winzigen Ausschnitt der Transexistenz. So wie Philip Roth den Mikrokosmos der Juden in Newark, New Jersey, schilderte, konzentriere ich mich auf die Transfrauen von Brooklyn, New York. Roth verwandelte das Spezifische in etwas Universelles. Ich hoffe, dass mir dasselbe gelingt. Und wie Roths Humor anderen Juden oft missfiel, passt mein Humor bestimmt nicht allen Transmenschen. Das begrüße ich sogar. Mein Ziel besteht nicht darin, Literatur für alle, sondern darin, so gute Literatur wie möglich zu schreiben. (Sacha Verna, ALBUM, 25.7.2022)