Überprüft eure Ausrüstung, vergewissert euch, dass alles an Bord ist, und hoffentlich habt ihr den Insektenspray nicht vergessen!", rief Eric Stoltz als Dr. Steven Cale von der riesigen Leinwand in die Menschenmenge – und das Publikum begann haltlos zu lachen. Denn mehr noch als einer der schlechtesten Filme des Jahres waren es die tausenden Gelsen, die den Zusehern bei der Freiluftkino-Premiere des Möchtegernblockbusters Anaconda das Leben schwermachten.

Damals, vor ziemlich genau einem Vierteljahrhundert, hatte das mittlerweile zugesperrte Kinomagazin Skip, in Prä-Online-Zeiten eine österreichische Medieninstitution, auf der Trabrennbahn Krieau im Prater ein Sommerkino-Festival mitinitiiert – das erste große seiner Art in Österreich, und schon vorab mit zahlreichen wientypischen "Na, wos wird des scho wern"-Sagern kommentiert.

Am Karlsplatz in Wien regiert im Sommer König Kino. Die Leinwand hält Windstärken bis zu 150 km/h aus, die Zuschauer müssen schon bei 60 km/h heimgehen.
Regine Hendrich

Es ist etwas draus geworden. Mücken gibt’s immer weniger, Freiluft-Sommerkinofestivals dafür umso zahlreicher. Es ist einfach super, sich an einem lauen Abend nach der Arbeit oder dem Bad noch einen schönen Film anzuschauen, im Freien, umgeben von Gleichgesinnten und gepflegter Gastronomie. Und dabei setzt man sich ganz selbstverständlich auf die Sessel, die am Vormittag noch nicht in Reih und Glied zur Verfügung standen, und nimmts als gegeben hin, dass da mitten in der Gegend eine 50-Quadratmeter-Leinwand prangt. Und wenn’s dazwischen pressiert, kann man sich darauf verlassen, dass unauffällig daneben ein Mobilhäusl steht, eventuell sogar in der Premiumversion mit Klopapier. Aber – wer hat das alles eigentlich hingestellt?

Für alle Bedürfnisse

"Die Toiletten sind natürlich ein riesiger Kostenpunkt bei einer derartigen Veranstaltung", sagt Lisa Mei, gemeinsam mit ihren Kolleginnen Doris Posch, Marie-Christine Hartig und Djamila Grandits als Cine Collective verantwortlich für das "Kaleidoskop – Film und Freiluft" am Karlsplatz. Aber wie berechnet man den Bedarf an Toiletten? "Da haben wir uns vor dem ersten Kaleidoskop beraten lassen und haben das dann unseren Bedürfnissen entsprechend adaptiert." Gerade am Karlsplatz als öffentlich zugänglicher Platz ist der Bedarf an Toiletten immer vorhanden, auch das muss miteinberechnet werden. Auch Barrierefreiheit ist ein großes Thema für dieses Festival im öffentlichen Raum – "genau wie das Thema Nachhaltigkeit", erklärt Marie-Christine Hartwig. "Beides war uns schon von Beginn an sehr wichtig." So kam’s zur Zusammenarbeit mit der Firma öKlo, die mobile und barrierefreie Komposttoiletten verleiht.

Die Sessel müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des "Kaleidoskop Film und Freiluft" jeden Tag neu aufstellen.
Regine Hendrich

Seit 2019 gibt es das Kaleidoskop, das das heuer nach Corona-bedingtem Arena-Exil wieder auf den Karlsplatz zurückkehren konnte. Die Eröffnung am 1. Juli musste wetterbedingt abgesagt werden, doch ab dann gab’s großartige Filme aus allen Kontinenten, wie zum Beispiel Kiro Russos Drama El gran movimento oder C. B. Yis viel beachtete Lovestory Moneyboys, bis es sich am 17. Juli mit dem Abspann von Danis Goulets Night Raiders würdig bis zum nächsten Jahr verabschiedete. Für das Team dauert die Pause allerdings nicht so lange – "Den August benutzen wir zum Verschnaufen", so Doris Posch, "Ab 1. September geht es aber schon wieder an die Planung für die nächste Ausgabe."

Sesselreihen & Bollwerke

"Wir sind für alles zuständig – Produktion, Finanzierung, Kommunikation", erklärt Hartwig. Die Auswahl und Akquise des eigentlichen Festivalinhalts – der Filme nämlich – ist zwar keineswegs Nebensache, nimmt aber längst nicht die meiste Zeit und Energie in Anspruch. Nicht nur die erwähnten Klos, auch die restliche Infrastruktur, die Möblierung und die Technik wollen herbeigeschafft werden. Mei: "Die Miete für die Bestuhlung ist etwa nicht im Budget enthalten, aber natürlich notwendig – aber auch kostenintensiv. Ein Stuhl pro Tag kostet 90 Cent, wir haben insgesamt 300 Stühle und 17 Spieltage." Das sind nach Adam Riese 4590 Euro – kein Bemmerl. "Also haben wir versucht, das über Kooperationen zu lösen." Aufgestellt und wieder weggeräumt werden die Sessel übrigens jeden Tag aufs Neue vom Festivalteam. "Abends werden die in einem mit Bauzäunen abgesperrten Areal hinter der Leinwand gelagert. Wir dürfen die hier am Karlsplatz ja nicht einfach stehen lassen, das ist öffentlicher Raum."

Ebenso eine mit Kreativität gelöste Auflagen-Aufgabe: Der Terrorschutz. "Dazu braucht man Bollwerke. Die müssen vom Gesetz her mobil sein und rasch entfernbar – wenn etwa die Feuerwehr zufahren muss. Also sind Betonblocks, die natürlich am praktischsten wären, von vornherein keine Möglichkeit gewesen." Kostengünstige Alternative: Autos vom Sponsoring-Partner, die jeden Abend gesetzeskonform das Event vor potenziellen motorisierten Amokfahrern schützen.

Beschützt muss auch die Eventtechnik werden, und zwar rund um die Uhr, das ist eine Auflage der Versicherung. "Wir haben 24 Stunden Security, das ist ein sehr großer Kostenfaktor", so Posch. Dazu gehört übrigens auch, dass die Veranstaltung nicht zu erfolgreich sein darf – ab 500 Besuchern wären die Auflagen nämlich nochmals viel strenger und schwerer umsetzbar. "Dann bräuchten wir zusätzlich Polizeischutz, eigene Sanitäter etc." So wie es ist, kommt man mit einem Team von etwa zehn bis zwölf Leuten vor Ort pro Abend aus. "Wir mussten aber alle einen Erste-Hilfe-Auffrischungskurs machen, auch das war Pflicht."

Leinwand, Video- und Tonanlage sind über den Sommer fix am Karlsplatz installiert.
Regine Hendrich

Kein Segel im Wind

Apropos abgesagte Eröffnung – wer entscheidet, wann gespielt wird und wann nicht? "Auch das ist sehr genau geregelt", erklärt Eventtechniker Markus Zöchling, ein alter Hase im Wiener Kinofestivalbetrieb. "Es gibt von der zuständigen MA 36 eine ewig lange Liste mit Vorgaben, an die man sich halten muss. Wir richten uns nach einem behördlich anerkannten Wetterdienst, in unserem Fall die ZAMG – sobald von dort eine Unwetterwarnung kommt, dürfen wir nicht spielen. Ab 60 km/h Windstärke müssen wir absagen."

Wie hält die Leinwand das eigentlich aus? Ist die nicht mit ihrer Größe eine einzige Sturmböen-Angriffsfläche? "Nein, die Leinwand steht fest", so Zöchling. Das augenfällige Herzstück des Festivals besteht aus einer speziellen, 50 m2 großen Projektionsfolie, die auf einem Gerüst aufgespannt wird, hinter dem sich eine Vollfläche befindet – und die Basis ist mit Betonblöcken von insgesamt etwa 30 Tonnen beschwert. "Diese Konstruktion hält locker bis an die 150 km/h Windstärke aus. Wenn die umfällt, dann haben wir in Wien ganz andere Probleme."

Und wie ist das mit dem Regen? "Alles, was nicht regenfest ist, steht im Container." So wie die Projektionsanlage, eine digitale Kinoanlage, und der Server, die beide im oberen von zwei aufeinandergestellten – geliehenen – Containern untergebracht sind. "Das Einzige, wo der Regen technisch zum Problem werden kann, ist, wenn die Leinwand beim Abbau nass ist. Denn dann können wir sie nicht gleich zusammenlegen und lagern, da würde sie schimmeln." In diesem Fall braucht’s einen Turnsaal oder eine Veranstaltungshalle, in dem das Teil zum Trocknen aufgelegt werden kann – glücklicherweise gibts so was im Haus des Cine-Collective-Büros.

Die Leinwand ist übrigens auch das einzige an Veranstaltungstechnik, was eigens angekauft wurde und nicht ausgeliehen wird. "Als wir uns die ersten Kostenvoranschläge geholt haben, stellte sich heraus, dass die Miete für die Dauer des Festivals genauso viel kostet, wie wenn wir sie gleich kaufen", so Mei. Außerdem lässt sie sich extrem klein falten: "Auf etwa ein Mal einen halben Meter, 10 cm hoch. Insgesamt wiegt sie ca. 30 Kilo. In etwa wie ein Kleinkind." Das spezielle Material verträgt auch die monatelange gefaltete Lagerung ohne Schaden. "Wenn sie aufgespannt wird, ist sie in ein, zwei Tagen wieder komplett glatt."

An alles wird gedacht, auch an das Prinzip Nachhaltigkeit.
Regine Hendrich

Schall für alle

Geliehen ist auch die Tonanlage – und auch die stellt spezielle Herausforderungen. Zöchling: "Der Ton ist natürlich ganz anders als in einem normalen Kinosaal. Es gibt keine Wände, also verpufft alles, und der Platz hat auch immer ein gewisses Grundgeräusch." Insgesamt gibt es hier zwei Tonanlagen – eine kleinere für Gespräche und eine für die Filme. "Das ist eine relativ alte Kinoanlage, die den großen Vorteil hat, dass man sie ganz genau ausrichten kann." Das ist gerade hier wichtig: Der Karlsplatz ist als Wohngebiet gewidmet, der Schall Richtung Karlsgasse darf ab 22:00 Uhr die 40-dB-Grenze nicht überschreiten. "Das ist extrem leise. Wir hatten da auch einen Spezialisten, der extra aus Frankfurt angereist ist und das alles genau eingemessen hat."

Besonders stolz ist das Cine Collective auch auf die Barrierefreiheit beim Sound: Beim Kaleidoskop wurde eine Induktionsschleife installiert, die den Ton für Hörgeräte- und CCI-Träger:innen direkt an die Geräte senden kann. "Eine Lösung, die bekannt ist und sehr günstig umzusetzen", so Mei. "Um so enttäuschender ist, dass es erst 4 fixe Kinos in Wien gibt, die eine Induktionsschleife installiert haben." Auch in die mehrsprachigen Untertitelung und die für Gerhörlose wird investiert, und die Website bietet Zugang in zwölf Sprachen und in einfacher Sprache.

Was sind eigentlich die größten Probleme, mit denen es bisher zu kämpfen gab? "Auf diese Frage haben wir gewartet", lacht Posch. "2019 ist uns einmal der Server abgestürzt, das war eine echte Zitterpartie, bis wir dann doch alles rechtzeitig zum Laufen gebracht haben." Und wie läuft es mit dem Publikum? Gibts da keinen Stress? "Wir haben viele Vorwarnungen bekommen, wie speziell der Platz nicht sei. Aber die Stimmung ist extrem positiv und inspirierend, wir hatten tatsächlich noch nie ein Problem mit den Besucheri:nnen." (Gini Brenner, 23.7.2022)