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Der Hohe Repräsentant von Bosnien-Herzegowina, der deutsche Politiker Christian Schmidt, hat vorgeschlagen, mit seinen Bonner Vollmachten eine Drei-Prozent-Hürde im Landesteil Föderation einzuführen. Das hätte zur Folge, dass in jenen Kantonen – insgesamt gibt es zehn –, in denen eine Volksgruppe unter drei Prozent liegt, Vertreter dieser Volksgruppe nicht mehr ins Haus der Völker des Landesteils Föderation entsandt werden könnten. Der Vorschlag hat in Bosnien-Herzegowina einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, weil er lediglich dem Ansinnen der kroatisch-nationalistischen Partei HDZ entgegenkommt, aber nicht die vielen Diskriminierungen, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte seit vielen Jahren angeprangert werden, beachtet.

Der Grazer Verfassungsrechtler und Bosnien-Experte Josef Marko erklärt zudem, dass Schmidt seine Kompetenzen als Hoher Repräsentant überschreiten würde, würde er tatsächlich die Vorschläge, so wie sie nun vorliegen, umsetzen. Denn bei der vorgeschlagenen Einführung der Drei-Prozent-Hürde geht es um eine Änderung der Verfassung des Landesteils Föderation und der entsprechenden einfachgesetzlichen Bestimmungen zur Umsetzung der Organisationsstruktur der Verfassung der Föderation, die nicht durch die gesamte Verfassung von Dayton vorgegeben sind. "Es betrifft eigentlich autonomes Verfassungsrecht der Föderation, die nicht im Widerspruch zur Dayton-Verfassung steht", so Marko.

Annex 10 des Abkommens von Dayton

"Der Hohe Repräsentant ist aber laut Annex 10 des Daytoner Friedensabkommens nur befugt, die Umsetzung des Dayton-Abkommens zu kontrollieren, er ist aber nicht befugt, sich mit den autonomen Rechtssystemen der Entitäten (also den Landesteilen Föderation der Republika Srpska) zu befassen, also mit deren Verfassungen, soweit diese nicht in Ausführung des Dayton-Abkommen erlassen sind", erklärt Marko dem STANDARD. "Insofern würde der Hohe Repräsentant seine Kompetenz überschreiten, wenn er mithilfe der Bonner Vollmachten eine Änderung der Verfassung der Föderation herbeiführen würde", schlussfolgert Marko.

Als der ehemalige Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch im Jahr 2002 die Verfassungen der Republika Srpska und der Föderation veränderte, tat er dies – ganz im Gegensatz zu den Vorschlägen von Schmidt nun –, um ein Urteil des gesamtstaatlichen bosnischen Verfassungsgerichts umzusetzen. "Es ging damals darum, dass mit der Veränderung der Entitätsverfassungen diese mit dem Daytoner Friedensabkommen in Einklang gebracht werden. Deshalb hatte der Hohe Repräsentant damals auch die Kompetenzen dazu, dies zu tun", erklärt Marko. Im Fall der Vorschläge von Schmidt würde der Hohe Repräsentant aber in die Autonomie des Entitätsverfassungsrechts eingreifen, wozu er keine Kompetenzen hat.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Schmidt müsste wegen dieses Annex 10 also auch die Anforderungen für die Änderung der Dayton-Verfassung mitberücksichtigen, um überhaupt in die Föderationsverfassung eingreifen zu können, wie das in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Zornić und Pilav vorgegeben ist, moniert Marko weiter. Dies ist aber in den Vorschlägen von Schmidt nicht enthalten.

Dabei zeigt gerade der Fall Pilav sehr gut, wie zentral die Frage für die Menschenrechte in Bosnien-Herzegowina ist. Im Fall Pilav geht es um einen Bosniaken, der klagte, weil er in der Republika Srpska vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen ist. "Wenn man nun die Drei-Prozent-Hürde einführen würde, dann wären alle Kroaten und Serben in jenen Kantonen, wo es weniger als drei Prozent Serben und Kroaten gibt, der Möglichkeit beraubt, einem Kroaten oder einem Serben ihre Stimme zu geben", so Marko.

Hoher Repräsentant und Normenkontrolle

Marko verweist darauf, dass die mögliche Änderung von Schmidt auch vom Verfassungsgericht von Bosnien-Herzegowina und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angefochten werden kann. Denn als der Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch in Bosnien-Herzegowina war, ließ dieser zu, dass Rechtsakte, die er erließ, vom Verfassungsgericht überprüft wurden und der Hohe Repräsentant damit auch einer Normenkontrolle unterlag. Erst später wurde dies in einer Rechtsmeinung des Amtes des Hohen Repräsentanten bestritten. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 22.7.2022)