Im Wiener Stadtpark kann es in der Nacht mitunter ungemütlich werden, im vergangenen Juni soll ein Mann dort beraubt worden sein. Von wem, bleibt offen.

Foto: Christian Fischer

Wien – "Wenn ich mir den Akt so durchschaue, komme ich mir vor wie bei einer Rätselrallye", moniert Verteidiger Andreas Schweitzer vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Christian Gneist. Seinem Mandanten, dem 23-jährigen Matin R., wird schwerer Raub vorgeworfen: Er soll mit zwei unbekannten Tätern am 6. Juni 2021 im nächtlichen Stadtpark einen afghanischen Landsmann mit einem Messer mit 20 Zentimeter langer Klinge bedroht und ihm das Handy, ein Lederarmband und zwei Euro in bar abgenommen haben, behauptet die von Julia Kalmar vertretene Staatsanwaltschaft Wien.

Der Verteidiger rätselt über den Akt aus mehreren Gründen. Laut Anklage soll sich der Vorfall in der Nacht von dem 5. auf den 6. Juni ereignet haben, zwei Tage später will das Opfer den unbescholtenen Angeklagten zufällig wiedererkannt haben. In seiner Aussage bei der Polizei berichtete das Opfer dagegen, es habe sich um die Nacht vom 6. auf den 7. gehandelt, er sei gegen zwei Uhr überfallen worden. Fix ist dagegen, dass die Polizei am 6. um 4.30 Uhr alarmiert wurde. Dass in einem anderen Dokument dann wieder die Schreibe davon ist, dass die Tat am 5. geschah und der Angeklagte am 7. identifiziert wurde, macht Schweitzers Verwirrung komplett.

Zwei kleine Blonde und ein großer Schwarzhaariger

Das ist aber nicht die einzige Unklarheit. So gab das Opfer zunächst an, von vier Männern angegangen worden zu sein: zwei blond gefärbten und zwei bärtigen Dunkelhaarigen. Später waren es nur mehr zwei kleine Blonde und ein großer Schwarzhaariger. Aus verschiedenen Lichtbildern suchte das Opfer zwar zweimal ein Foto von R. heraus. Eindeutig war die Identifizierung aber nicht, wie Vorsitzender Gneist später zitiert: "Ich denke, dass der es sein könnte", schrieb die Polizei mit. Darüber hinaus behauptete das eingestandenerweise unter Alkohol- und Suchtmitteleinfluss stehende Opfer auch, dass der Angeklagte das lange Messer in der Hosentasche gehabt habe, was dem Verteidiger potenziell lebensgefährlich erscheint.

"Haben Sie irgendwas damit zu tun?", will der Vorsitzende von R., dem bis zu zehn Jahre Haft drohen, wissen. "Nein", antwortet dieser. "Haben Sie irgendetwas gehört über so einen Vorfall?" – "Nur von der Polizei." – "Waren Sie am 5. oder 6. in der Früh im Stadtpark?" – "Ja, nach der Party waren wir dort auf dem Heimweg." – "Einer Party im Stadtpark?" – "Nein, am Donaukanal." Er habe auf dem Spaziergang nichts Ungewöhnliches wahrgenommen, ist der Angeklagte sich sicher.

Größenvergleich und Maskenlosigkeit macht sicher

Das große, kräftig gebaute Opfer wird als Zeuge aufgerufen und überrascht das Gericht. "Hat der Angeklagte was damit zu tun?", fragt Gneist ihn nämlich. "Nein, ich kenne ihn nicht", antwortet der Zeuge. Zur Sicherheit lässt der Vorsitzende den Angeklagten noch aufstehen und die Maske abnehmen, das Opfer bleibt aber dabei – das sei nicht der Messermann.

Sitzungsvertreterin Kalmar handelt dann gesetzeskonform so, wie es sich einer der Objektivität verpflichteten Behörde geziemt: "In Anbetracht der Zeugenaussage zieht die Staatsanwaltschaft Wien die Anklage zurück", erklärt sie. Die logische Folge: Der Senat spricht R. nach kurzer Pause rechtskräftig frei. (Michael Möseneder, 22.7.2022)