Nicht nur in den USA träumt man vom trauten Heim, in Wien soll eine 50-Jährige in einer Mietwohnung logiert haben, ohne dafür zu bezahlen.

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Wien – "Bekennen Sie sich schuldig?", will Richterin Tea Krasa von der 50-jährigen Frau P. wissen. "Von meiner Dummheit her wäre ich schuldig", sagt die Deutsche zunächst, ehe sie klarstellt, dass die Anklage nicht stimme. Sie habe ihrem ehemaligen Vermieter Milan G. stets die Miete in bar gezahlt, warum der behauptet, sie schulde ihm zehn Monatsmieten und einen Teil der Kaution im Gesamtausmaß von 7.400 Euro, kann sie sich zunächst nicht erklären. Später doch: "Sein Problem ist wahrscheinlich, dass er ein Geldgeiler ist, verzeihen sie den Ausdruck."

Die in Deutschland zwölfmal wegen Betrugs vorbestrafte Angeklagte wurde Anfang 2021 aus ihrer Wohnung in Wien delogiert – wegen Mietrückständen. "Ich war arbeitslos, in der Corona-Zeit war es schwierig, einen Job zu bekommen", erklärt sie dazu. Wegen eines Zustellproblems habe sie auch ein Schreiben vom AMS nicht bekommen, was zu einer Sperre geführt habe. Die zweifache Mutter scheint generell ein wenig Probleme mit Behördenkommunikation zu haben. Zu ihrem ersten Verhandlungstermin erschien sie wegen einer Covid-Infektion nicht, übermittelte der Richterin dafür aber keinen Nachweis. Weshalb P. nun von der Polizei vorgeführt wird.

Miete in bar im Briefkasten deponiert

Die Angeklagte sagt jedenfalls, sie habe im Internet G.s Angebot entdeckt, am 4. März 2021 sei der Vertrag abgeschlossen worden. Eine Monatsmiete in Höhe von 570 Euro sowie 900 Euro der vereinbarten 2.000 Euro Kaution habe sie bei der Schlüsselübergabe bezahlt. Danach habe sie, wie vereinbart, den Mietzins jeden Monat in einem Briefumschlag in ihren Briefkasten gelegt, zu dem auch G. noch einen Schlüssel gehabt habe.

"Das ist ja jetzt eher unüblich", zeigt sich Krasa skeptisch. G. wollte so die Steuer umgehen, mutmaßt die Angeklagte. "Und haben Sie nie eine Bestätigung für die Zahlungen verlangt?", fragt die Richterin nach. "Ja, blond, blöd, dumm", beschreibt die Angeklagte sich selbst. Sie habe mehrmals eine Quittung verlangt, aber nie erhalten. Erst im Juni 2021 habe ihr der Vermieter seine Kontonummer übermittelt, sie selbst habe seit Mai schon bei ihrem neuen Lebensgefährten in einem anderen Bundesland gewohnt und die Wohnung ihrer Tochter zur Benutzung übergeben.

Warten auf Anwaltsbrief

In Protokollen von Chats zwischen dem Vermieter und der Angeklagten, aus denen Krasa zitiert, spielt tatsächlich Geld im Postkastl eine Rolle. "Nimm das Geld aus dem Briefkasten und bezahl damit die Kaution für die nächste Wohnung", schreibt G. in einem. Interessanterweise gibt es aber auch noch ganz andere Inhalte. Exakt zwei Wochen nach Unterzeichnung des Mietvertrages schreibt G.: "Ich will, dass du bis zum 1. April ausziehst." Fünf Tage später: "Können wir uns einigen, dass du freiwillig ausziehst, oder muss ich zum Gericht gehen?" Schließlich kündigte er den Vertrag wegen Eigenbedarfs, P. kümmerte das wenig. "Ich habe auf einen Brief vom Anwalt gewartet", begründet sie.

Als sie angeblich schon bei ihrem Lebensgefährten wohnte, sei ihre Tochter einmal mit den Zahlungen in Rückstand geraten, behauptet sie. Wieder blättert die Richterin in den Chats. "Herr G. schreibt hier im Juli ganz klar, dass Sie ihm vier Monatsmieten und den offenen Teil der Kaution schulden und er sein Geld will. Sie antworten: 'Ist gut, bis Ende nächster Woche wird alles ausgeglichen. Ich arbeite jetzt wieder.' Das heißt, Sie haben schon gewusst, dass es um mehr Geld geht?" – "Nein, ich dachte, es geht um die 570 Euro, die meine Tochter ihm schuldet." – "Wieso schreiben Sie das dann nicht?" – "Weil ich Depressionen hatte." Außerdem sei sie davon ausgegangen, dass nicht die Vergangenheit gemeint sein könne, da sie ja stets das Bargeld deponiert habe. "Mein Therapeut hat auch gesagt, ich muss in die Zukunft kucken", erklärt sie.

Angeklagte vor Privatinsolvenz

Die Angestellte, die derzeit eine Privatinsolvenz anstrebt, hat auch einen Mietvertrag vorgelegt, der ihre Argumentation untermauern soll. Auf dem steht, sie habe am 4.3. einen Betrag von 900 Euro als Kaution angezahlt und am 15.3. die offene Summe mit 1.122 Euro beglichen. Auf dem Vertrag des Vermieters findet sich am 4.3. nur ein Teilbetrag von 300 Euro eingetragen, danach nichts mehr. Allerdings fällt der Richterin auf, dass im Dokument der Angeklagten verschiedene Stifte verwendet werden und die Paraphen bei den einzelnen Beträgen nicht übereinstimmen.

P. bleibt dabei: Bei der Übergabe des zweiten Kautionsbetrags sei auch ihre Tochter anwesend gewesen. Die übrigens hochschwanger und derzeit im Spital sei, daher könne sie leider als Zeugin nicht kommen. "Die hat sich aber auch nicht bei mir entschuldigt!", grollt Krasa und droht an, auch die Tochter beim nächsten Mal von der Polizei holen zu lassen.

Am Ende ihrer Einvernahme macht die Angeklagte dann ein überraschendes Angebot. Sie sei bereit, dem Vermieter 150 Euro im Monat zu zahlen. "Sie verstehen schon, dass Sie nicht verpflichtet sind, etwas zu zahlen, wenn Sie sagen, es ist schon alles bezahlt?", belehrt die Richterin die ohne Verteidiger erschienene Angeklagte.

Geheimnisvolle Tante aus Deutschland

Vermieter G. schildert als Zeuge, die Angeklagte habe ihm beim Vertragsabschluss lediglich 300 Euro an Kaution gezahlt. "Sie hat gesagt, sie erwartet das restliche Geld jeden Moment von einer Tante aus Deutschland", erinnert sich der 27-Jährige. Als er sich nach einer Woche wieder meldete, sagte P., sie liege im Spital. Als er in sozialen Medien dann ein Bild von ihr sah, dass sie ausgehfertig zeigte, schwante ihm Übles. Dass sie zwei- oder dreimal die Handynummer wechselte, trug ebenso wenig zu seiner Beruhigung bei.

Da die Kaution offen blieb, habe er der Angeklagten daher bereits Mitte März 2021 angeboten, sie solle einfach freiwillig ausziehen, er verzichte auf das Geld. P. habe sich geweigert. Er kann auch die Nachricht mit dem Geld im Briefkasten aufklären: Die Angeklagte habe ihm geschrieben, dass sie es dort deponiert habe, er wollte es nicht abholen. Die Richterin durchforstet den Akt und findet tatsächlich diese ursprüngliche Nachricht der Angeklagten.

Delogierung im Jänner 2022

Im Endeffekt sei Frau P. im heurigen Jänner gerichtlich delogiert worden, nur für den März 2021 habe sie die Miete gezahlt. "Wen haben Sie im Jänner in der Wohnung angetroffen?", interessiert Krasa. "Frau P. oder ihre Tochter?" – "Niemanden. Aber die Wohnung war in einem miserablen Zustand", erklärt der Zeuge, 8.000 Euro habe er für Reparaturen aufwenden müssen. Seine Kontonummer habe die Angeklagte von Anfang an gehabt, auch seine beim Vertragsabschluss anwesende Mutter bestätigt, dass P. die Nummer von G.s Bankomatkarte abgeschrieben habe.

Um die verhinderte Tochter und den neuen Lebensgefährten der Frau, die laut P.s Aussagen bei Geldübergaben oder -deponierungen dabei gewesen sind, einvernehmen zu können, vertagt Krasa schließlich auf den 23. September. (Michael Möseneder, 24.7.2022)