Nach zwei schwierigen Pandemiesommern kommen die Festspiele nicht zur Ruhe: Teodor Currentzis (im Bild) und unsaubere Sponsorengelder bringen das Direktorium in Erklärungsnot.

Foto: Alexandra Muraveva

Die Aufregung ist verflogen. Zumindest oberflächlich gesehen. Die Elektrolimousinen von Sponsor Audi kurven bereits durch die Stadt, die Proben für die Eröffnungspremieren in der kommenden Woche gehen in die letzten Runden. Und doch fühlt sich der Auftakt der heurigen Festspiele anders an. Gleich einige Elefanten zwängen sich durch die engen Salzburger Gassen.

Welche Reaktionen wird Teodor Currentzis’ Auftritt bei der Eröffnungspremiere am Dienstag auslösen? Wird das 400.000-Euro-Sponsoring des Blaubart durch die VAC-Stiftung des russischen Oligarchen Leonid Michelson, der in mehreren Ländern, aber nicht in Österreich, auf der Sanktionenliste steht, zum Problem werden? Ein Pressegespräch mit den Protagonisten der Eröffnungsinszenierung wie in anderen Jahren wurde erst gar nicht angesetzt. Die Fragen könnten für Currentzis wie auch für Romeo Castellucci, der den Doppelabend aus Bartóks Herzog Blaubarts Burg und Orffs De temporum fine comoedia inszeniert, unangenehm werden.

Klare Meinung

Also schweigt man lieber. Oder umschifft wie Yana Ross kritische Fragen. Die in Moskau geborene und in Lettland aufgewachsene Theaterregisseurin spricht lieber über Platons Höhlengleichnis als über den in Sankt Petersburg lebenden Kollegen Currentzis, der gerade erst für den Gaskonzern Gazprom auf Tournee ging und weiterhin beharrlich zum Angriffskrieg auf die Ukraine schweigt: "Wir erkennen nur die Schatten, wissen nicht, wer hinter den Schatten steht", sagt sie, um im selben Atemzug hinzuzufügen: "Natürlich habe ich eine klare Meinung zu der Kontroverse, ich werde sie aber erst nach der Premiere kundtun." Momentan gehört Ross’ Aufmerksamkeit der Inszenierung des Reigens, den zehn Gegenwartsautorinnen und -autoren für die Festspiele neu geschrieben haben. Vor 100 Jahren kam es anlässlich von Schnitzlers Sexkarussell zu einem der größten Theaterskandale der Geschichte – der Autor selbst untersagte alle weiteren Aufführungen. Kommenden Donnerstag ist Premiere der Reigen-Neudichtungen.

Hat gemeinsam mit Autor Lukas Bärfuss ein kleines Beben in Salzburg ausgelöst: Yana Ross
Foto: Flavio Karrer

Yana Ross hat vor drei Monaten gemeinsam mit dem Schweizer Autor Lukas Bärfuss ein kleines Beben in Salzburg ausgelöst. In einem offenen Brief forderten die beiden die Trennung von Sponsor Solway, einem Bergbauunternehmen mit russischen Wurzeln, dem in Guatemala Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Zweieinhalb Monate und viele Diskussionen später lösten die Festspiele schließlich den Sponsorenvertrag mit Solway.

"Damit sind alle offenen Fragen geklärt", sagt Ross und spricht von der Last, die "von unseren Schultern genommen wurde". Wie hätte man reagieren sollen, wenn das Sponsoring nicht beendet worden wäre? Sie wisse es nicht, sagt sie. Eines sei aber sicher: "Wir hätten reagiert." Mit "wir" sind sie und Bärfuss gemeint, der die Abschlussszene des Reigen neu geschrieben hat und den die Frage nach der Finanzierung von Kultur schon länger umtreibt. In einer Rede bei den Salzburger "Disputationes" im letzten Jahr prangerte er bereits die Exzesse an, die sich im Kultursponsoring breitgemacht hätten. Zuletzt legte er vor der deutschen Bundeskulturstiftung zum Thema "toxisches Sponsoring" noch einmal nach: Auf der letzten Architekturbiennale in Venedig wurde etwa in künstlerischen Beiträgen das Thema Sklavenarbeit am Bau thematisiert – gleichzeitig fand man nichts dabei, sich mit einer gewaltigen Summe von Qatar Museums sponsern zu lassen.

Wies bereits letztes Jahr in Salzburg auf "toxisches Sponsoring" hin: Lukas Bärfuss
Foto:imago images / ecomedia/robert f

"Dieses doppelte Spiel zerstört die demokratischen Diskurse und ist ein Sicherheitsrisiko", sagt Bärfuss: "Wir müssen uns der Frage nach der Finanzierung von Kultur stellen – in Salzburg und anderswo." Das österreichische Edelfestival wird zu einem vergleichsweise kleinen Teil (heuer zu 27 Prozent) durch Steuergelder finanziert, der Rest muss über Kartenverkäufe und Sponsorings aufgebracht werden.

Neben vielen Kleinbeträgen, die von den "Festspielfreunden" kommen, sind es Konzerne wie Audi, Siemens oder in der Vergangenheit Nestlé, die sich mit hohen Summen an der Finanzierung beteiligen. Durch die Kulturaffinität erhofft man sich eine Imagepolitur. Auch mit Gazprom unterzeichnete man 2019 einen Sponsoringvertrag, zahlte die Gelder später aber zurück.

Ein Kriterienkatalog für Kultursponsoring, den die Kulturstaatssekretärin nicht zuletzt aufgrund der Salzburger Debatten angekündigt hat, soll in Zukunft mehr Klarheit für Kulturinstitutionen bringen. Welche Gelder darf man annehmen? Und wie kann vermieden werden, dass Länder wie Katar oder Russland Kultur als "Soft Power" für ihre eigenen Interessen verwenden?

Falsche Partner

"Manche Menschen vertreten die Meinung, dass die Wirtschaft prinzipiell korrupt sei", sagt Bärfuss: "Das ist zynisch und nicht meine Meinung. Das Problem sind weniger die lokalen Unternehmen, die Kultur sponsern, sondern die globalen Konzerne. Hier müssen wir vorsichtig sein. Institutionen nehmen durch falsche Partner Schaden, man denke nur an die Bührle-Stiftung und das Kunsthaus Zürich."

Yana Ross will nach Monaten der Aufregung jetzt erst mal wieder über Kunst reden. Unter den zehn Autorinnen und Autoren, die für die Festspiele zehn neue Reigen-Dialoge geschrieben haben, befindet sich auch Mikhail Durnenkov. Der russische Schriftsteller war bereits nach seinem Protest gegen die Annexion der Krim Repressionen ausgesetzt. Mittlerweile hat er sich gemeinsam mit seiner Familie nach Helsinki abgesetzt.

Nach dem 24. Februar erschien ihm der Dialog, den er ursprünglich zum neuen Salzburger Reigen beigesteuert hätte, anachronistisch, und er beschloss, einen neuen zu schreiben. Darin geht es um einen Sohn, der seiner russischen Mutter über Skype erklärt, warum er mit seiner Familie samt bestem schwulem Freund ins Ausland emigriert. Für Yana Ross ist Mikhail Durnenkovs Dialog der wichtigste im gesamten Szenenreigen. "Bei Schnitzler geht es um das, worüber man nicht spricht. Heute reden wir zwar pausenlos über Sex, viele andere Dinge bleiben aber unausgesprochen."

Wer weiß, vielleicht passt gerade Yana Ross’ Inszenierung des neu geschriebenen Skandalstücks gut in das beredte Schweigen dieses Festspielsommers. (Stephan Hilpold, 24.7.2022)