Elf Milliarden Euro Umsatz, 50.000 Mitarbeiter in 50 Ländern: Die Voestalpine mit Sitz in Linz zählt zu den globalen Größen auf dem Stahlmarkt. Jetzt hat man sich viel vorgenommen: Vorstandschef Herbert Eibensteiner will die höchst CO2-intensive Stahlproduktion auf mehr Klimafreundlichkeit umstellen. Zuvor gilt es aber, die Energiekrise in den Griff zu bekommen.

STANDARD: Sie arbeiten gerade daran, Gas für drei Monate Vollbetrieb einzuspeichern. Wie läuft das?

Eibensteiner: Wir haben diese Woche unser Ziel erreicht und die gesamte Menge eingespeichert. Das sind 1,5 Terawattstunden. Das sollte im Krisenfall für drei Monate Vollbetrieb reichen. In Haidach und Haag haben wir die Speicher für unser Gas angemietet.

STANDARD: War es schwierig, derart riesige Mengen Gas zu beschaffen?

Voestalpine-Chef Herbert Eibensteiner im STANDARD-Gespräch in der Konzernzentrale auf dem Linzer Werksgelände.
Foto: Florian Voggeneder / laif

Eibensteiner: Wir verfügen über etablierte Abläufe, um Gas am Markt anzukaufen. Wir kaufen ja laufend Gas ein und haben uns aus betriebswirtschaftlichen Gründen entschieden, diesen Bedarf für drei Monate zu beschaffen: Diese Menge verschafft uns im Notfall die notwendige Zeit, um Aufträge abzuarbeiten und die direkt betroffenen Produktionsbereiche kontrolliert herunterzufahren.

STANDARD: Sollte es dennoch kritisch werden und Energierationierungen erfolgen, wären Großunternehmen wie die Voestalpine als Erstes betroffen. Denn zunächst müssten Großbetriebe mit hohem Gasbedarf ihren Verbrauch einschränken. Müssten Sie dann Ihr mühsam eingespeichertes Gas erst recht an den Staat abliefern?

Eibensteiner: Es gibt eine Novelle des Energielenkungsgesetzes, aus der hervorgeht: Wenn man als Unternehmen weniger als die Hälfte des Jahresverbrauchs einspeichert, steht einem dieses Gas selbst zur Verfügung. Ohne diese gesetzliche Klarstellung hätten wir die erfolgte Eigenversorgung nicht getätigt. Auf das eigene Gas haben wir also in jedem Fall Zugriff.

STANDARD: Selbst im Notfall?

Eibensteiner: Es müsste schon ein besonderer Notfall sein, etwa der komplette Zusammenbruch des europäischen Gasnetzes – und dann gibt es einen Kostenersatz.

STANDARD: Viele Unternehmer beklagen, dass sie von der türkis-grünen Regierung im Unklaren darüber gelassen werden, was im Fall eines Gasausfalls geschieht. Wie sehen Sie das?

Eibensteiner: Wir wurden seitens des Energieministeriums und der Regulierungsbehörde E-Control ausreichend über die Gesetzeslage informiert. Was wir aber nicht kennen, sind Pläne der Regierung, wann und unter welchen Umständen wir die Produktion zurückfahren oder gar abstellen müssten. An dieser Produktion hängt ja auch unsere Fernwärmeversorgung für etwa 50.000 Haushalte und Gesundheitseinrichtungen. Diese Information haben wir schlicht nicht.

STANDARD: Gäbe es keinen Ukraine-Krieg, wären die Herausforderungen für die Voestalpine trotzdem groß. Sie sind der größte CO2-Emittent Österreichs und stoßen so viel aus wie knapp eine Million Menschen im Land. Ihr Ziel lautet, weniger klimaschädlichen oder gar klimaneutralen Stahl zu erzeugen. Wann wird das passieren?

Eibensteiner: Es gibt bereits erste Lieferungen von CO2-reduziertem Stahl aus unseren Werken. Der erste große Schritt jedoch wird mit unserem Projekt "greentec steel" ab dem Jahr 2027 erfolgen: Ab dann werden zwei Hochöfen durch Elektrolichtbogentechnologie ersetzt. Dadurch werden unsere CO2-Emissionen um rund 30 Prozent sinken; 2,5 Millionen Tonnen grüner Stahl sollen pro Jahr solcherart erzeugt werden. Das Projekt sollte nächstes Jahr von unserem Aufsichtsrat genehmigt und dann bis 2027 umgesetzt werden. Weitere Schritte erfolgen nach 2030; bis 2050 wollen wir ganz klimaneutral sein.

STANDARD: Wie viel wird eine Tonne grüner Stahl mehr kosten als regulärer?

"Was wir nicht kennen, sind die Pläne der Regierung, wann und unter welchen Umständen wir abstellen müssten."
Foto: Florian Voggeneder / laif

Eibensteiner: Grüner Stahl wird teurer sein. Aber um wie viel, lässt sich nicht sagen, weil wir ja weder die künftigen Energie- noch die CO2-Kosten kennen. Die Umstellung jedenfalls ist kostenintensiv; wir reden von circa einer Milliarde Euro Investitionskosten für das Projekt 2027. Zur Illustration der Dimension, von der wir sprechen: Allein durch das Projekt 2027 könnte man auf einen Schlag fünf Prozent des österreichischen CO2-Ausstoßes einsparen.

STANDARD: Eigentlich müssten Sie bei solchen Projekten vollen politischen Rückenwind genießen: Österreich will bis 2040 klimaneutral sein, die EU bis 2050. Viel Fördergeld fließt in Projekte zur Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft.

Eibensteiner: Nicht unbedingt: Es gibt zwar einen EU-Fonds für Dekarbonisierungsprojekte, den ETS-Innovationsfonds, aber aus diesem Topf werden in den nächsten zehn Jahren nicht mehr als zehn Milliarden Euro verteilt. Wohlgemerkt, das ist die Gesamtsumme für zehn Jahre und alle Projekte in der gesamten EU. Es ist viel zu wenig – wenn man bedenkt, dass allein unser Projekt eine Milliarde kosten wird.

STANDARD: Bezieht die Voestalpine Fördergeld aus dem Topf?

Eibensteiner: Es gab in der letzten Runde 139 Einreichungen und 17 ausgewählte Projekte – wir waren nicht darunter, und auch kein anderes europäisches Stahlunternehmen. Warum, kann ich nicht beantworten. Wesentlich wäre es, solche Töpfe höher zu dotieren. Es braucht einfach mehr Möglichkeiten, die Transformation hin zur Dekarbonisierung zu finanzieren.

STANDARD: Was bräuchte ein Unternehmen wie Ihres noch, wenn es in Richtung grüner Stahl gehen will?

Eibensteiner: Nicht nur Förderungen sind wichtig, auch die Energieversorgung. Wir brauchen für die CO2-Reduktion bei den dann neuen E-Öfen viel Strom aus erneuerbaren Quellen. Die Investitionen in grüne Stromerzeugung müssen schneller werden. Auch die Behördenverfahren bei Bewilligungen dauern viel zu lange. Und vor allem braucht es leistungsfähige länderübergreifende Stromnetze. Da muss man jetzt dringend handeln.

STANDARD: Haben Sie genug grünen Strom, um ab 2027 Ihre Elektroöfen zu betreiben?

Das Gelände der Voestalpine.
Foto: Florian Voggeneder / laif

Eibensteiner: Bis dorthin braucht es eine 220-kV-Leitung, die das Voestalpine-Gelände versorgen soll. Diese Leitung ist Voraussetzung, damit das Projekt starten kann. Die Bewilligungen für deren Ausbau sind noch ausständig, aber wir gehen davon aus, dass das bis 2027 funktioniert – und wir ausreichend Strom zur Verfügung haben werden.

STANDARD: Es gibt neben der EU-Ebene auch noch die nationalstaatliche. Hier hat sich die türkis-grüne Regierung in ihrem Programm vorgenommen, zum klimapolitischen Vorreiter in Europa zu werden. Spürt der größte CO2-Emittent im Land irgendwie, dass klimapolitisch ein anderer Wind weht als bisher?

Eibensteiner: Wir stehen jedenfalls bereit und haben unsere klimafreundlichen Projekte der Regierung vorgestellt. Wir brauchen aber rasch die politischen Rahmenbedingungen. Wichtig und dringend sind die besagte Verkürzung der Behördenverfahren, der Netzausbau und jener der Erneuerbaren. Woher zum Beispiel soll nach 2030 der Wasserstoff kommen, der für die Klimawende wichtig ist und den wir wohl im Inland nicht werden herstellen können? Wer kümmert sich um die Leitungen? Pläne in diese Richtung sind uns nicht bekannt. Darüber hinaus wird auf Ebene der österreichischen Regierung darüber diskutiert, einen Transformationsfonds zu schaffen, um Projekte der Dekarbonisierung zu unterstützen. Wir haben alleine im vergangenen Geschäftsjahr rund 230 Millionen Euro in die nationalen Steuertöpfe für CO2-Zertifikate einbezahlt. Aber im Moment bleibt es lediglich bei der Diskussion. Hier geht eindeutig zu wenig weiter. (Joseph Gepp, 23.7.2022)