Was der oberösterreichische Regisseur Valentin Schwarz (Jahrgang 1989) vorhat, wird man bei den Bayreuther Festspielen ab dem 31. Juli erleben.

Foto: Daniel Karmann / dpa

Bayreuth kann Musikmenschen nervlich ziemlich strapazieren: Filmdenker Lars von Trier hat seine Regie 2004 zurückgelegt, noch bevor es mit der Arbeit am Ring des Nibelungen losging. Christoph Schlingensief musste sich vom Parsifal seiner Produktion, dem mittlerweile verstorbenen Tenor Endrik Wottrich, sagen lassen, es wäre peinlich, dass so eine Regie in Bayreuth überhaupt erlaubt sei.

Vor ein paar Jahren verließ dann Stardirigent Andris Nelsons abrupt den Wagner-Ort. Christian Thielemann, Bayreuther Musikdirektor, habe ihm bei den Parsifal-Proben zu viele "Ratschläge" erteilt. Heuer ist es auch nicht ganz ruhig auf dem Grünen Hügel. Der Zeit ist zugetragen worden, die Stimmung sei so mies "wie noch nie". Die Strukturen seien verkrustet und "im Kern kunstfeindlich". Und nun neue Vorwürfe: Der Umgang innerhalb des Hauses – auch durch Dirigent Thielemann – wäre eher nicht zeitgemäß ...

Untergangsgott Wotan

Dem österreichischen Regisseur Valentin Schwarz sind jedoch keine Stressanzeichen oder Unzufriedenheit zu entlocken. Und schon gar nicht sind beim Oberösterreicher, der – kaum 30 – das Angebot bekam, die Story um Untergangsgott Wotan zu inszenieren, Symptome im Sinne von "Auf was habe ich mich da eingelassen!" zu bemerken. Klar: Er hat schon in Stuttgart inszeniert und an der Oper Köln etwa in York Höllers Der Meister und Margarita mit surrealer Stilistik reüssiert.

Aber gleich Bayreuth? Es muss wohl ein Mix aus jugendlicher Unbeschwertheit, erprobtem Handwerk und dem Bewusstsein, einen Karrierejackpot geknackt zu haben, im Spiel sein. "Die Anfrage für den Ring in Bayreuth gibt es nur einmal im Leben.

Als Student in Bayreuth

Und am Ring kommt kein Opernregisseur, keine Opernregisseurin vorbei. Irgendwann wird man damit konfrontiert." Ob man dann zurückschreckt oder "zupackt", so Schwarz, "muss jeder für sich entscheiden. Ich bereue meine Zusage keinen Augenblick!"

Eigentlich war Tatjana Gürbaca als Regisseurin vorgesehen. Wie es dann zu seinem Engagement kam, will Schwarz, um die "Gerüchte nicht noch mehr zu befeuern", jedoch nicht näher ausführen. "Katharina Wagner ist wohl im Zuge des Ring-Award-Regiewettbewerbs auf mich aufmerksam geworden", erzählt Schwarz, der Bayreuth 2009 als Stipendiat kennengelernt hat. Der Ring unter Dirigent Thielemann und jener Tristan, den er via Public Viewing erlebte, hätten ihn "in die Wagner-Welt am Grünen Hügel eingeführt".

Tausende Bezüge zu beachten

Zur Debüterfahrung als Hügel-Regisseur kam dann allerdings auch noch die von Corona verordnete Geduldsübung. Schließlich hätte die Premiere bereits 2020 stattfinden sollen. Womöglich war das aber Glück – im Sinne einer Vertiefung der Inszenierung? "Der Ring verändert einen und arbeitet innerlich fort. Und obwohl ja das Konzept stand, die Bühnenbilder und Kostüme fertig waren, sind bei diesem Mammutwerk tausende Bezüge weiterzudenken", so Schwarz, dessen Grundkonzept sich an der Form eines Fortsetzungsromans im Gewand einer Netflix-Serie orientiert:

"Wenn man das Personal des Werkes betrachtet: Fast jeder ist mit jedem verwandt. Man steht vor einem Familienepos, einer hochaktuellen Erzählung mit innerfamiliären Konfliktfeldern, mit denen wir uns identifizieren können." Zudem ist der Bayreuther Aufführungsrhythmus speziell. Er bietet die Möglichkeit, eine Figur "nicht nur in ein oder zwei Szenen zu erleben, sondern über mehrere Abende in vielen unterschiedlichen Situationen". Dieses psychologische Panorama erlaube sonst nur die Versenkung in einen Roman "oder eben in eine TV-Serie".

Das heißt jedoch nicht, dass Schwarz nur filmisch-digital sozialisiert wurde. Mit sieben lernte er Geige, später auch Klavier. Er begleitet seine Eltern zu Konzerten, ins Theater oder in die Oper. Es war für ihn "ein erlerntes Vergnügen, zwanglos, fordernd, aber spielerisch. Neben der Musik war ich immer von der Freiheit, Spielfreude und Utopiefähigkeit begeistert, die das Theater einer Gesellschaft schenkt." Insofern sei der Schritt zur Musiktheaterregie ein konsequenter gewesen.

Schwarz’ Absicht: Wenn man aus dem Rheingold, quasi dem Pilotfilm, rausgeht, soll man – wie bei einer Serie – wissen wollen, wie es mit den Göttern, Zwergen, Riesen und Drachen weitergeht. In Bayreuth wird der Ring ja in einer Woche komplett durchgezogen. Wobei: In diesen etwa 16 Wagner-Stunden sollen die Mythenfiguren eher humane Züge tragen.

Viele Umbesetzungen

Das passt zu Bayreuth. Allzu menschlich ist ja auch die dortige Tradition der Absagen. Immerhin hat sich Wotan selbst, also John Lundgren, abgemeldet, der eigentlich schon für Günter Groissböck eingesprungen war. Nun singt Egils Silins den Wotan in Rheingold, und Tomasz Konieczny singt ihn in der Walküre und in Siegfried, wo der resignative Göttervater als Wanderer umherschweift und einen neuen Dirigenten vor sich hat. Cornelius Meister übernimmt das Dirigat von Pietari Inkinen, der doch schwerer an Corona erkrankte. All das scheint aber an Schwarz abzuprallen. Der Vorteil seiner Konzeption, "die ja die Gesamterzählung in den Fokus holt, ist ja gerade, dass die Verbindungen zwischen den Figuren sehr dicht gebaut sind. Sich darin einzufügen ist deutlich erleichtert."

Einflüsse? Schwarz sagt, er habe Regisseur Jossi Wieler viel zu verdanken. Er erinnert sich an dessen "Höflichkeit, Sorgfalt und Menschlichkeit als Intendant und seine Genauigkeit als Regisseur". Wieler animierte die Sänger und Sängerinnen, ihre Rollen weiterzudenken. "Er saß in jeder Repertoirevorstellung, danach gab es von ihm Kritik in der Kantine: Das passt gut zum Werkstattgedanken, der in Bayreuth ja so großgeschrieben wird."

Erlösendes Radfahren

Zum Werkstattgedanken würde aber gar nicht passen, was nun per Nordbayerischen Kurier über körperliche Übergriffe auf Frauen und sexistische Sprüche in Bayreuth berichtet wird(siehe unten). "Solche Vorkommnisse sind mir während meiner gesamten Anwesenheit auf dem Grünen Hügel weder zu Ohren gekommen, noch wurde ich Zeuge davon. Sollte sich auch nur im Entferntesten Derartiges zugetragen haben, verurteile ich dies auf das Schärfste", sagt Schwarz. Er selbst fühle sich im Übrigen "bei Entscheidungen gut eingebunden und atmosphärisch in offenem Austausch". Katharina Wagner stehe "total" hinter seinem Ansatz.

Dennoch, auch er braucht mal Pause. "So sehr ich Wagner jeden Tag genieße, nach den Proben muss ich den Kopf freikriegen. Dann steige ich abends auf mein Rennrad und drehe noch meine Runden im ruhigen und beschaulichen fränkischen Umland." (Ljubiša Tošic, 23.7.2022)