Seit Donnerstag strömt wieder Gas aus Russland durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Lubmin in Mecklenburg.

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Die Kabale um die Turbine aus Kanada ist noch nicht ausgestanden. Das zwölf Meter lange Gerät wurde nach Wartungsarbeiten in Kanada von der Logistikfirma Challenge über den Atlantik gebracht. Bis Freitag lagerte es in Köln. Für wie lange, ist offen. Sowohl Gazprom als auch die deutschen Behörden machen einander dafür verantwortlich. Es fehlten für die Turbine aus dem Hause Siemens Energy noch Einreisedokumente der russischen Behörden, sagen die Deutschen.

Bescheinigungen der Wartung seien noch ausständig, sagen die Russen. "Man hat manchmal den Eindruck, Russland will sie gar nicht mehr zurücknehmen", sagte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Zu gut taugt die zentrale technische Einheit als Ausrede für Lieferverzögerungen.

"Lage sehr angespannt"

Wann auch immer der Transport weitergeht: Seit Donnerstag strömt wieder Gas aus Russland durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Lubmin in Mecklenburg – zwar bei weitem nicht so viel wie gewünscht, aber peu à peu füllten sich die halb leeren Erdgasspeicher auch in Österreich. Die Lage sei noch sehr angespannt, eine Befüllung der Speicher von 80 Prozent bis zum Herbst aber erreichbar, sagte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Freitag nach einem Gasgipfel.

Wobei: Eher war es ein Gipfelchen. Für eineinhalb Stunden trafen Gewessler (Grüne), Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) mit 30 Vertretern von Gas- und Stromnetzbetreibern, Industrie und Sozialpartnern zusammen. Nach einem Impulsreferat von Energieberater Walter Bolz tauschte man Formalitäten über die Aufrüstung der Energieinfrastruktur aus.

Mehr als Allgemeinplätze zur Ertüchtigung des Gasleitungsnetzes, der Verdichterstationen (dort wird Gas gekühlt, gereinigt, getrocknet, komprimiert und gemessen) und den bivalenten Betrieb (idealerweise mit einem fossilen und erneuerbaren Energieträger) förderte das Treffen eher Atmosphärisches zutage, ätzte ein Sitzungsteilnehmer.

West–Ost und Süd–Nord

Die Ertüchtigung der Infrastruktur der Großverbraucher sei unumgänglich, auch um Gas zu sparen, nahm die Energieministerin die Betreiber in die Pflicht. Diese fürchten allerdings "stranded Investments", es sei nicht sicher, wie lang neue, teure Anlagen genutzt würden. Wichtiger Baustein des Umbaus ist die weitere Ausrichtung des historisch von Ost nach West und von Nord nach Süd ausgerichteten Gasnetzes in Österreich.

Um kommende Flüssiggas-Terminals an der Adria anzubinden und den Gasfluss von West nach Ost zu erleichtern (inklusive Anbindung von Tirol), müsse der bestehende Reverse-Flow verstärkt ausgebaut werden. Bei der Gelegenheit sollen auch die technischen Vorkehrungen für vermehrten Biogas- und später dann Wasserstofftransport geschaffen werden.

Mit wie viel Geld der Staat die privaten Akteure im liberalisierten Gasmarkt dabei unterstützt, blieb ebenso das Geheimnis der Ministerin wie die konkreten Investitionsprojekte, die priorisiert werden müssen. Bis Herbst, sagt ein Wirtschaftskämmerer resigniert, sollte wenigstens diese Liste fertig sein.

Gutschrift oder Deckel

Neuer Input kam am Freitag für das beherrschende Thema Energiepreisbremse. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hat Preisdämpfer auf Tauglichkeit abgeklopft.

Das Ergebnis: Ein Stromkontingent, das Haushalten zu einem festgelegten Tarif zugeteilt wird, scheint am wirkungsvollsten. Von drei Handlungsoptionen sehen die Wifo-Ökonomen nur zwei als ernsthaft an. Sie sollten jedoch nur befristet eingesetzt werden. Ein Eingriff in die Marktpreisbildung wurde als illusorisch ausgeschieden.

  • Energiekontingent Dabei schreibt der Energieversorger jedem Haushalt eine vom Staat bestimmte Zahl an Kilowattstunden auf der Jahresrechnung zu einem reduzierten Preis gut. Für den darüber hinausgehenden Verbrauch wären mit der Verbrauchsmenge steigende Preise zu bezahlten. Die Höhe des Basiskontingents sollte sich am durchschnittlichen Verbrauch eines Haushalts orientieren und zwischen Nutzungsarten (Heizung mit Wärmepumpe, Warmwasser et cetera) unterscheiden. Um Anreiz zum Energiesparen zu geben, sollten nicht mehr als drei Viertel des Durchschnittsbedarfs je Haushaltskategorie zugeteilt werden. Alternativ könnte sich das Energiekontingent am durchschnittlichen Verbrauch des jeweiligen Haushalts in den vergangenen drei Jahren orientieren.
  • Preisdeckelung Ein Preisdeckel für den Großhandel würde Strom aus Gas verbilligen, der Großhandelspreis würde sinken – die Differenz zahlt der Staat. Der Nachteil: Ob der Preisrabatt zur Gänze beim Endkunden landet, ist kaum zu überprüfen. Und: Es geht nur in enger Abstimmung zwischen den EU-Staaten. Denn es besteht Gefahr, dass national subventionierter Strom ins EU-Ausland abfließt. Auch könnte die Übernachfrage nach Gas zu Versorgungsengpässen führen.

Der Preisdeckel ist über die Netzbetreiber technisch relativ einfach umsetzbar, sie wissen über die Stromzähler genau über den Verbrauch pro Haushalt Bescheid, sagt Wifo-Experte Michael Böheim. Energieeffizienzanreiz und soziale Treffsicherheit seien allerdings beim Energiekontingent deutlich höher. (Luise Ungerboeck, 23.7.2022)