Die Eurozone steht seit ihrer Geburt vor rund 25 Jahren vor dem gleichen Problem: Wie kann man eine einheitliche Geldpolitik ohne gemeinsame Budgetpolitik betreiben? Weil vor allem Deutschland damals fürchtete, für eine verantwortungslose Defizitpolitik anderer Staaten geradestehen zu müssen, wurden Regeln eingeführt, unter denen jedes Land für seine eigenen Schulden verantwortlich ist. Dieses Prinzip führte 2010 direkt in die große Euroschuldenkrise, die beinahe den Kollaps der Währungsunion auslöste. Seither rücken die EU sowie die Europäische Zentralbank allmählich davon ab und bewegen sich in Richtung eines Systems, in dem die Staatsschulden solidarisch gemanagt werden.

Die EZB kann die Eurozone in die richtige Richtung steuern – oder in die falsche.
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Der Beschluss der EZB am Donnerstag, ein neues Instrument zum Schutz hoch verschuldeter Staaten zu schaffen, ist ein weiterer Schritt in diese Richtung – und für die Zukunft der Eurozone bedeutender als die Abkehr von der langjährigen Nullzinspolitik. Doch das Dilemma, das die Währungsunion in dieser Frage seit jeher quält, bleibt ungelöst.

Seit 2010 kauft die EZB Anleihen von Eurostaaten in finanziellen Schwierigkeiten – zuerst tat sie dies nur zögerlich, mit den Jahren in immer größerem Umfang. 2012 versprach der damalige EZB-Präsident Mario Draghi, auf diesem Weg den Euro, "koste es, was es wolle", zu retten, verknüpfte dieses Versprechen an Länder wie Italien, Spanien und Griechenland aber mit strikten Sparauflagen, die deren wirtschaftliche Erholung bremsten. Doch als immer mehr Länder im Süden in Rezession und Deflation zu versinken drohten, senkte die EZB den Leitzins auf null und begann mit dem massiven Ankauf von Staatsanleihen aus allen Mitgliedsstaaten, um auch die Marktzinsen niedrig zu halten und so den maroden Staaten zu helfen.

"Koste es, was es wolle"

Wie viel Schuld diese Geldpolitik an der Inflation trägt, ist offen. Jedenfalls musste sie angesichts der Teuerung dringend beendet werden. Damit fällt ein großer Finanzpuffer weg – vor allem für Italien, das nicht nur unter einem riesigen Schuldenberg, sondern nun auch unter politischer Instabilität leidet. Das neue Instrument TPI ist das "Koste es, was es wolle" der Draghi-Nachfolgerin Christine Lagarde – und diesmal ohne klare Kriterien für die Anwendung.

Lagarde hat nun erst einmal den Anstieg der Zinsen auf italienische Staatsanleihen gebremst und damit zur Stabilität in der Eurozone beigetragen.
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Mit diesem Signal hat Lagarde erst einmal den Anstieg der Zinsen auf italienische Staatsanleihen gebremst und damit zur Stabilität in der Eurozone beigetragen. Aber hat sie damit auch einer zukünftigen Koalition rechtspopulistischer Parteien in Rom einen Freibrief für populäre, aber verantwortungslose Ausgaben ausgestellt? Mit dem Wiederaufbauprogramm erhält Italien schon Milliarden, für die die ganze EU haftet. Wenn jetzt die EZB dazukommt, dann drohen die einstigen Bedenken Deutschlands und anderer Nordländer gegen den Euro wahr zu werden.

Dies muss nicht sein. Die Eurozone steht heute viel besser da als vor zehn Jahren. Und die EZB hat es in der Hand, ihr neues Werkzeug gezielt einzusetzen und damit weiteren Reformdruck auf die weniger wettbewerbsfähigen Eurostaaten auszuüben. Sie wäre dann das wahre wirtschaftliche Machtzentrum der EU.

Draghi wäre ein solches Vorgehen wohl zuzutrauen gewesen. Bei Lagarde kann man sich nicht so sicher sein. Sie wirkt in ihren Entscheidungen oft orientierungslos und getrieben. Der Weg zur echten EU-Wirtschaftsunion ist alternativlos – aber noch voller Stolpersteine. (Eric Frey, 22.7.2022)