Wegen des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland können noch etwa 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine nicht exportiert werden.

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Paris/Kiew/Moskau – Russland und die Ukraine haben mit den Vereinten Nationen und der Türkei eine Lösung für die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide aus dem Kriegsland Ukraine vereinbart. Sowohl Russland als auch die Ukraine unterzeichneten am Freitag in Istanbul getrennt voneinander entsprechende Vereinbarungen unter Vermittlung von UN-Generalsekretär António Guterres.

Wegen des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland können noch etwa 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine nicht exportiert werden. Die Nahrungsmittel werden jedoch auf dem Weltmarkt – vor allem in Asien und Afrika – dringend benötigt. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt schon vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten.

"Dieses Abkommen kann Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zugute kommen", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich zufrieden mit der Lösung. Die einzelnen Punkte des am Freitag in Istanbul unterzeichneten Dokuments entsprächen "voll und ganz den Interessen der Ukraine". "Es wird den Entwicklungsländern am Rande des Bankrotts und den am meisten gefährdeten Menschen am Rande einer Hungersnot Erleichterung bringen", schrieb Guterres auf Twitter.

Einen Tag nach der Unterzeichnung des Abkommens zur Ausfuhr von Getreide und anderer landwirtschaftlicher Güter hat Russland den Hafen von Odessa angegriffen, in dem einem ukrainischen Militärsprecher zufolge Getreide lagert. Ob die Vereinbarungen, die nach russischen Angaben in den "nächsten paar Tagen" greifen sollten, damit hinfällig sind, war zunächst unklar. Ein Überblick über die geplanten Bestimmungen:

Koordinationszentrum in Istanbul

Vertreter der Ukraine und Russlands sowie der Türkei und der Vereinten Nationen sollen gemeinsam den Fahrplan für die Frachtschiffe durch das Schwarze Meer festlegen. Nach Aussagen von Experten könnte das Zentrum in drei bis vier Wochen einsatzfähig sein.

Untersuchung der Schiffe auf Waffen

Die Frachtschiffe sollen voraussichtlich in Istanbul bei Abfahrt und Ankunft von Vertretern der vier Parteien inspiziert werden, um heimliche Waffenlieferungen zu verhindern. Dies hatte Moskau gefordert.

Sichere Korridore im Schwarzen Meer

Die Ukraine und Russland verpflichten sich, die sicheren Korridore für die Frachtschiffe zu respektieren und dort auf militärische Aktivitäten zu verzichten. Bei der Abfahrt aus der Ukraine sollen die Frachtschiffe von ukrainischen Militärbooten begleitet werden. Die Schiffe laufen demnach aus den ukrainischen Häfen Odessa, Piwdenny (Juschne) und Tschornomorsk aus.

Vertrag gilt zunächst für vier Monate

Der Vertrag soll zunächst für vier Monate gelten und sich automatisch verlängern. Wenn pro Monat etwa acht Millionen Tonnen Getreide ausgeführt werden können, sollten vier Monate ausreichen, um das derzeit blockierte Getreide in einer Größenordnung von 25 Millionen Tonnen auszuführen.

Garantien für russische Exporte landwirtschaftlicher Güter

Der Vertrag soll durch ein von Russland und den Vereinten Nationen unterzeichnetes Abkommen ergänzt werden. Dieses soll garantieren, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland den Export russischen Getreides und Düngers nicht beeinträchtigen. Russland hatte sich zuvor beschwert, dass Sanktionen gegen Transportunternehmen, Banken und Versicherungen indirekt auch die Exporte landwirtschaftlicher Güter behinderten.

Vorerst keine Minenräumung

Die Unterhändler sehen von einer Minenräumung im Schwarzen Meer zunächst ab. Dies hätte laut UNO "zu viel Zeit in Anspruch genommen". Die Minen wurden in erster Linie von der Ukraine zur Verteidigung ihrer Häfen gelegt. Ukrainische Kriegsschiffe werden die Getreidefrachter zu Beginn der Reise auch deswegen begleiten, um die Minen zu umfahren. Falls eine Minenräumung doch nötig sei, solle dies von Vertretern eines weiteren, noch nicht genannten Landes übernommen werden, heißt es in dem Abkommen.

Frachtschiffe aus der Türkei und Griechenland

Nach Angaben des Instituts für Seehandel (Isemar) werden vor allem türkische und griechische Massenguttransporter für die Verschiffung des Getreides genutzt werden. Ein Schiff kann üblicherweise zwischen 20.000 und 70.000 Tonnen Getreide laden.

Sicherheit für Reeder und Besatzung

Große Teile des Schwarzen und des Asowschen Meeres werden seit Beginn des Krieges Ende Februar nicht mehr von den Versicherungen abgedeckt. Laut Sylvain Gauden vom französischen Rückversicherer Scor muss für die betreffenden Schiffe noch über eine Art Zusatzversicherung verhandelt werden. Auch die Sicherheit der Besatzung muss nach Angaben der Internationalen Schifffahrtskammer (ICS) noch geregelt werden, bevor das Abkommen in Kraft treten kann. (APA, AFP, red, 24.7.2022)