Die Fidesz-Sommerakademie ist immer wieder ein Festival für Viktor Orbán. Hier kann er wettern gegen alles, was ihm nicht passt, hier kann er Ungarn zu einer Größe führen, die das Land schlichtweg nicht hat – der frenetische Applaus seiner Anhängerschaft ist ihm dennoch sicher. Hier meinte Orbán vor acht Jahren, eine Demokratie müsse "nicht notwendigerweise liberal sein". Und jetzt: Der Westen sei dekadent und nur noch ein "Post-Westen"; der echte Westen, das sei heute Mittelosteuropa – mit Ungarn an der Spitze.

Orbán zeigt also einmal mehr Kante, wenn es um die Europäische Union geht. Das hat System. Er prangert an, dass Brüssel vorschreibe, wie Ungarn zu leben habe; er stellt sich gegen den "Gender-Wahnsinn"; er benachteiligt gezielt ausländische Gäste durch Billigtreibstoff für die eigene Bevölkerung; und er biedert sich ziemlich unverhohlen an Russland an.

Orbán zeigt einmal mehr Kante, wenn es um die Europäische Union geht.
Foto: AP Fotograf: Bertrand Guay

Und die EU? Die hat alle Hände voll zu tun mit Ukraine-Krieg und Energiekrise. Ihr bleibt nur übrig, formell mit Rechtsstaats- und Vertragsverletzungsverfahren zu reagieren: Das sind die Spielregeln für ein Land – falls es überhaupt Teil der EU sein und von deren enormen Vorteilen profitieren will.

Vielleicht sollte Bundeskanzler Karl Nehammer ja darüber offen mit Orbán reden, wenn er ihn in wenigen Tagen in Wien empfängt. Bisher unterstrich der Kanzler lieber gute bilaterale Beziehungen und Gemeinsamkeiten in Sachen Migration. Solche Vorfreude wirkt dieser Tage aber reichlich deplatziert. (Gianluca Wallisch, 24.7.2022)