Mähdrescher bei Charkiw ernten Tonnen an Weizen. Es ist unsicher, ob das lebenswichtige Gut an sein Ziel kommt.

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Rund dreißig Prozent des weltweit gehandelten Weizens stammen aus Russland oder der Ukraine – so war es zumindest vor dem Krieg. Seit Monaten steckt ein Großteil davon in ukrainischen Silos fest. Als vergangenen Freitag Uno-Generalsekretär António Guterres die Unterzeichnung des Weizendeals verkündete, bedeutete das vor allem für Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent und im Nahen Osten Erleichterung. Doch kann der Deal halten?

Frage: Was sieht das Abkommen eigentlich vor?

Antwort: Durch das Abkommen soll die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine gewährleistet werden. Mithilfe der Uno und der Türkei haben sich beide Kriegsparteien auf gesicherte Transitrouten über das Schwarze Meer geeinigt. Schlüssel dafür sind drei Häfen im Raum Odessa. Beide Kriegsparteien haben sich dazu verpflichtet, keine Schiffe auf diesen Korridoren anzugreifen.

Frage: Wie soll das erreicht werden?

Antwort: Bei dem Abkommen handelt es sich um keine direkte Abmachung zwischen Russland und der Ukraine, sondern um eigene Deals mit den zwei Vermittlern Uno und Türkei. Istanbul nimmt bei dem Abkommen eine Schlüsselrolle ein: Schiffe sollen bei Abfahrt und Ankunft in Istanbul auf heimliche Waffenlieferungen kontrolliert werden. In der Stadt wird ein Koordinationszentrum eingerichtet, in dem alle Seiten vertreten sind. Der Vertrag gilt einstweilen für vier Monate.

Frage: Was waren die Probleme bei den Verhandlungen?

Antwort: Seit Monaten fordert die internationale Gemeinschaft von Russland, die Ausfuhr von ukrainischem Getreide zu ermöglichen. Sie wirft Russland vor, die ukrainischen Häfen mit Kriegsschiffen zu blockieren. Moskau dementiert das und wirft wiederum Kiew vor, die Häfen mit Minen zu blockieren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte bei der Vermittlung eine Schlüsselrolle eingenommen. Einen wichtigen Beitrag zum Durchbruch dürfte ein Gipfel zwischen ihm und Wladimir Putin vor wenigen Tagen in Teheran geleistet haben.

Frage: Warum war Russland schließlich zu einem Deal zu bewegen?

Antwort: Ein Grund ist wohl Russlands Interesse daran, Erleichterungen für die eigenen Getreideexporte zu erreichen. Putin wurden im Zuge des Deals diesbezüglich Zugeständnisse gemacht. Außerdem reist der russische Außenminister Sergej Lawrow diese Woche auf den afrikanischen Kontinent, unter anderem nach Ägypten und Äthiopien. Afrika ist besonders von der weltweiten Weizenknappheit betroffen. Russland muss um sein Ansehen dort bangen.

Frage: Was hat der Angriff auf Odessa mit dem Deal zu tun?

Antwort: Noch am Samstag haben Fachleute die Abkommen so interpretiert, dass in der wichtigen Hafenstadt faktisch eine Waffenruhe gelten würde. Die Realität sah anders aus: Bereits am Samstag haben Raketen Odessa getroffen. Kiew beschuldigt Russland, genau "dort angegriffen zu haben, wo das Getreide gelagert wird" – so wurde der Sprecher des Luftwaffenkommandos der Ukraine zitiert. Russland dementierte den Angriff erst komplett, bekannte sich am Sonntag aber doch dazu. Man habe allerdings auf "militärische Infrastruktur" gezielt.

Frage: Wird der Angriff die Getreideexporte gefährden?

Antwort: Der russische Angriff auf Odessa bedeutet einen Verlust an Glaubwürdigkeit. Wenn kurz nach Unterzeichnung des Deals noch euphorische Stimmen mutmaßten, ob das Format auch für zukünftige Verhandlungen funktionieren könnte, kehrte rasch Ernüchterung ein. Ein ukrainischer Präsidentenberater sagte am Sonntag, dass die Exporte nun schwieriger werden. Auch Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock wertete den Angriff als Beweis dafür, dass "die Unterschrift der russischen Führung derzeit wenig zählt". Der türkische Verteidigungsminister und wichtige Verhandler des Abkommens, Hulusi Akar, rief wiederum alle Beteiligten dazu auf, die vereinbarte Zusammenarbeit fortzusetzen. Ob der Deal so überhaupt halten könne, stellte wiederum der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj infrage: "Egal, was Russland sagt oder verspricht, es wird Möglichkeiten finden, es nicht umzusetzen." (FRAGE & ANTWORT: Anna Sawerthal, 24.7.2022)