Die Schriftstellerin Lotte Ingrisch ist am Montag mit 92 Jahren verstorben.

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Wien – Die österreichische Schriftstellerin Lotte Ingrisch ist tot. Die Witwe von Gottfried von Einem starb am Sonntagabend in der Klinik Donaustadt kurz nach ihrem 92. Geburtstag und wenige Tage nach einem Sturz, wie der Präsident der Internationalen Gottfried-von-Einem-und-Lotte-Ingrisch-Gesellschaft, Manfred Schmid, mitteilte. Ingrisch schrieb zunächst Unterhaltungsromane und war mit Theaterstücken erfolgreich. Sie verfasste auch Lyrik, Fernseh- und Hörspiele.

Ingrisch wurde am 20. Juli 1930 als Charlotte Gruber in Wien geboren. Von 1949 bis 1965 war sie mit dem Philosophen Hugo Ingrisch verheiratet und veröffentlichte in dieser Zeit unter dem Pseudonym Tessa Tüvari drei Unterhaltungsromane. Größeren Publikumserfolg erzielte sie mit ihren eingängigen Theaterstücken, meist Einaktern, darunter "Damenbekanntschaften" und die im Akademietheater aufgeführten "Vanillekipferln". Mitte der 60er-Jahre lernte sie den Komponisten Gottfried von Einem kennen, den sie 1966 heiratete.

Briefbombe von Franz Fuchs

Im Mai 1980 kam ein gemeinsames Werk des Künstlerpaars auf die Bühne: Die Mysterienoper "Jesu Hochzeit" löste bei ihrer Uraufführung im Theater an der Wien wegen "blasphemischer Textstellen" einen Skandal aus. Das "gotteslästerliche Libretto" war laut Attentäter Franz Fuchs auch der Grund, warum er 1996 eine Briefbombe an die Verfasserin schickte – allerdings irrtümlich an eine alte Adresse.

Die bereits in "Jesu Hochzeit" vertretene Idee der Einheit von Leben und Tod manifestierte sich in weiterer Folge in Ingrischs esoterischen, sehr persönlichen Texten der 80er-Jahre, dem Bestseller "Reiseführer ins Jenseits" (1980), dem "Nächtebuch" (1986) und vor allem dem "Donnerstagebuch" (1988), das ihr, so erklärte sie, vom 1986 verstorbenen Wiener Stadtrat Jörg Mauthe "aus dem Jenseits diktiert worden" sei. Wegen der namentlichen Nennung Mauthes auf dem Cover des Buches reichte der Sohn des Stadtrats Klage ein.

1990 wurde im Wiener Ronacher von Einems und Ingrischs Kinderoper "Tulifant" uraufgeführt, und 1998 hob die Wiener Kammeroper das letzte gemeinsame Bühnenwerk, "Luzifers Lächeln", aus der Taufe. Dass man auch über dem Sterben nicht den Humor verlieren muss, postulierte Ingrisch, die auch Lyrik, Fernseh- und Hörspiele verfasst hatte, in "Der Himmel ist lustig". Verscherzt, zumindest mit einer Reihe etablierter Wissenschafter, hatte sie es sich allerdings mit dem wissenschaftlichen Anspruch ihrer 2004 erschienenen "Physik des Jenseits".

Vorfreude auf den Sarg

1993 gründete die Grenzgängerin eine "Schule der Unsterblichkeit", um den Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen: "Sterben für Anfänger", "Sterben für Fortgeschrittene" und "Gespenster-Knigge" lauten Auszüge aus dem Kursprogramm. Ingrisch unterhielt sich laut eigenen Angaben nicht nur mit Hexen, Hausgeistern, Feen und Engeln, sondern auch mit ihrem 1996 verstorbenen Mann. Ihre Dialoge mit von Einem gab sie 1997 unter dem Titel "Ratte und Bärenfräulein – Die Jenseitsreise des Gottfried von Einem" heraus. Zu ihrem 85. Geburtstag erschien das Buch "Als ich merkte, dass ich gestorben bin". 2020 erschien ihr gemeinsam mit Helmut Rauch verfasstes letztes Buch "Die Quantengöttin. Wellen und Teilchen – ein Geheimnis", der Nachfolger des 2017 erschienenen "Der Quantengott. Dialog über eine Physik des Jenseits".

Dem STANDARD sagte Ingrisch im Jahr 2014, sie freue sich bereits "auf den kleinsten Raum, in dem ich je gewohnt haben werde – auf den Sarg". "Ich finde, das ist ein passender Abschluss zu Allerheiligen. Ich wünschte, ich wäre tot. Wenn in Österreich die Sterbehilfe legal wäre, hätte ich mich schon längst für die Müllabfuhr gemeldet", fügte sie damals hinzu.

Jährliche Gottfried-von-Einem-Tage

Dem Gedenken ihres Mannes und der Pflege seines Werks widmete Ingrisch sich auch mit der Gottfried-von-Einem-Stiftung. Sie schenkte das Haus in Oberdürrnbach, in dem von Einem seinen Lebensabend verbracht hatte, der Gemeinde Maissau. Seit 1999 ist die Gedenkstätte zudem Schauplatz der jährlichen Gottfried-von-Einem-Tage.

Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer sagte am Montag, Ingrisch sei "eine vielfältige Schriftstellerin" gewesen. Ingrischs Künstlerehe mit dem "führenden Komponisten der Moderne" Gottfried von Einem habe sich auch "in der Vertonung ihrer Liedertexte und Opernlibretti" ausgedrückt. "Den Tod als selbstverständlichen Teil des Lebens zu betrachten machte Lotte Ingrisch besonders." (APA, red, 25.7.2022)