In einem Wildpark in Kenia kümmert sich eine Rangerin um ein Nashorn.

Foto: AFP/LUIS TATO

Zuletzt schlugen die selbsternannten Naturschützer im Juni zu. Wieder einmal sollten die Masaai einer Vergrößerung des Serengeti-Parks weichen: Als sie sich weigerten, schoss die tansanische Polizei mit scharfer Munition und tötete einen Angehörigen der legendären Volksgruppe, deren Hirten mit langen Stöcken in keinem Werbeprospekt der Serengeti fehlen.

Seit der Gründung des Parks mussten die Masaai schon wiederholt dem Schutzgebiet weichen: Zuletzt zugunsten eines Jagdgebiets für arabische Ölscheichs, deren Dollar-Banknoten die Regierung in Dodoma betörten. Schließlich müsse das viele, für den Schutz wilder Tiere nötige Geld auch irgendwo herkommen, heißt es.

Der Vorfall wirft ein grelles Licht auf die Absurdität des afrikanischen Naturschutzes. Eine Volksgruppe, die seit Jahrtausenden in einem Naturparadies lebt und dies beschützt hat, wird aus Gründen des Naturschutzes verjagt. In diesem Fall zugunsten begüterter Ausländer: Die Ölscheichs dürfen wohl auch den einen oder anderen Löwen abknallen. Von ihrer Bezahlung sehen die Masaai allerdings nichts: Das geht zur Regierung in Dodoma – wer weiß, wo die Petrodollar schließlich landen. Ein "unbegreiflicher Vorgang", meint der Geschäftsführer der African Wildlife Foundation, Kaddu Sebunya: "Wir müssen die Art und Weise, wie Naturschutz auf unserem Kontinent betrieben wird, von Grund auf verändern."

Erster afrikanischer Naturschutzkongress

Der kenianische Naturschützer organisierte den "Kongress für Afrikas Schutzgebiete", der in der vergangenen Woche in Ruandas Hauptstadt Kigali stattfand. Das erste Mal, dass sich Regierungsvertreter von 52 afrikanischen Staaten und Manager der rund 8.500 Naturschutzgebiete des Kontinents im eigenen Kreis und nicht unter der Ägide ausländischer Naturschutzorganisationen trafen.

Afrikanischen Experten ist die Deutungshoheit über den Naturschutz seitens der "Ersten Welt" schon lange ein Dorn im Auge: Sie führen deren Denkweise auf den Kolonialismus zurück – und dessen Verständnis des Naturschutzes als "Festung". Europäer sehen Afrikas Bevölkerung als größten Feind der großartigen Fauna und Flora ihres Kontinents: Sie müssen durch Zwangsumsiedlungen, mit Feuerwaffen und Stacheldrahtzäunen von den Schutzgebieten ferngehalten werden.

Dass es die Afrikaner waren, die ihre Tier- und Pflanzenwelt (im Gegensatz zu den Europäern) über Jahrtausende erhalten haben, bleibt genauso unerwähnt wie der Umstand, dass es die Europäer waren, die während der Kolonialzeit mit ihren Jagdflinten für eine Verminderung der afrikanischen Wildbestände um bis zu 90 Prozent sorgten.

Wildparks mit fragwürdiger Geschichte

Dass sie die Wildparks weniger zum Schutz der Natur als zum Schutz ihrer Jagd- und Abenteuerinteressen eingerichtet zu haben, wird den Europäern auch vorgeworfen: Schließlich sind Afrikas Nationalparks ausschließlich auf die Bedürfnisse ausländischer Touristen ausgerichtet – ob sie mit Fotoapparaten oder Repetiergewehren kommen. Dagegen kommen Afrikaner und Afrikanerinnen in den Reservaten vornehmlich als tanzende Mädchen in Baströckchen, als Kellner oder höchstens als Spurensucher vor. Für sie seien Elefanten nur als Fleisch in der Suppe interessant, spotten Touristen gerne. Die Diskrepanz zwischen dem Urlaubsleben weißer Naturfreunde in den Parks und dem ärmlichen Leben afrikanischer Dorfbewohner jenseits der Parks könnte nicht größer sein.

Derzeit fordert die internationale Naturschutzlobby, mindestens 30 Prozent der gesamten Erdoberfläche unter Schutz zu stellen, um der Klimaerhitzung und dem Artensterben zu begegnen. Tansania ist jetzt schon am Ziel angelangt: Ein Drittel seiner Fläche steht unter Naturschutz. Dort darf weder ein einheimischer Rancher seine Rinder weiden noch der Staat nach Bodenschätzen suchen lassen. Wird in einem Schutzgebiet ein Staudamm gebaut, um die Bevölkerung mit Strom zu versorgen, schreit der Rest der Welt auf.

Koexistenz von Mensch und Tier

Solange die Interessen und Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung nicht berücksichtigt werden, könne Naturschutz nur scheitern, sagt Kaddu Sebunya. Unter anderem müsse die Ökonomie in den Regionen um die Parks auf die Schutzgebiete abgestimmt werden, sagt der Sozialwissenschafter: Denn nichts ist für wilde Tiere gefährlicher als arme und unzufriedene Menschen.

Seit einiger Zeit versuchen – auch internationale – Naturschutzorganisationen in Projekten herauszufinden, wie die Koexistenz von Mensch und wilden Tieren aussehen könnte. Einfach ist es nicht, aber machbar, so der Kern ihrer Erkenntnis. Natürlich spielt dabei auch das Geld eine Rolle, das für die Integration menschlichen Wirtschaftens mit der wilden Natur zur Verfügung steht. Bisher verfügten fast ausschließlich ausländische Regierungen und Naturschutzverbände über die Finanzen: Das soll sich nun ändern.

Einer der wichtigsten Beschlüsse der über 2.000 afrikanischen Delegierten in Kigali war die Bildung eines panafrikanischen Fonds, aus dem der Naturschutz finanziert werden soll und in den ausländische Regierungen und Naturschützer einzahlen können. Afrikaner wären dann erstmals in der Lage, selbst darüber zu entscheiden, auf welche Weise die einzigartige Natur ihres Kontinents geschützt werden soll. (Johannes Dieterich, 25.7.2022)