In der Sahara soll die Sonne bald für Großbritannien scheinen – zumindest in einem Solarkraftwerk, das viermal so groß wie Wien ist.

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Eigentlich ist die Idee, in der Wüste in großem Stil Strom zu produzieren, naheliegend. Immerhin trifft allein in der Sahara innerhalb weniger Stunden mehr Sonnenenergie ein, als die Welt in einem Jahr verbraucht. Anfang der 2000er-Jahre trieb vor allem das Project Desertec die Idee öffentlichkeitswirksam voran: Riesige Sonnenwärmekraftwerke sollten in der Sahara klimafreundlichen Strom für Europa produzieren.

Doch das Projekt scheiterte phänomenal. Einerseits wurden sich die gemeinnützige Desertec-Stiftung und die gleichnamige Industrieinitiative nie wirklich über die Ziele des Projekts einig. Gleichzeitig lief die sich rasant entwickelnde Photovoltaik den aufwendigen Sonnenwärmekraftwerken den Rang in Sachen Effizienz und Kosten ab. Plötzlich brauchte man statt aufwendiger Konstruktionen mit Spiegeln und Türmen nur mehr schwarze Paneele aufzustellen.

Sonnenstrom als Kindheitstraum

Der britische Unternehmer Simon Morrish will es nun noch einmal versuchen. Im Gespräch mit dem STANDARD erinnert sich Morrish an seine Jugend zurück: Bereits als 14-Jähriger träumte er davon, Solarenergie in der Sahara zu ernten. 33 Jahre später will er seine Vision verwirklichen – und die Fehler von Desertec vermeiden. "Das Timing ist heute einfach besser", sagt der Unternehmer, der sein Geld bisher als Chef des Umweltdienstleisters Ground Control verdiente. Zu den Anfangszeiten von Desertec kostete es noch 180 Euro, eine Megawattstunde Strom mit Sonnenwärmekraftwerken zu produzieren, mit Photovoltaik sei man heute bei etwa zwölf Euro, rechnet Morrish vor.

1500 Quadratkilometer – das ist die vierfache Fläche Wiens – hat seine Firma Xlinks bereits in der marokkanischen Region Guelmim-Oued Noun gepachtet. Schon bald sollen dort Photovoltaik-Anlagen mit einer Leistung von sieben Gigawatt stehen, dazu kommen 3,5 Gigawatt aus Windrädern an der marokkanischen Küste. Insgesamt sollen sie jährlich 26 Terawattstunden erneuerbare Energie liefern – das sind acht Prozent des heutigen Strombedarfs des Vereinigten Königreichs.

Den Weg nach Großbritannien soll die Energie nicht über die europäischen Netze, sondern über eine neue Direktleitung finden, die seine Firma Xlinks entlang der portugiesischen, spanischen und nordfranzösischen Küste ins 3800 Kilometer entfernte Devon verlegen will. Dass Xlinks nicht die bestehenden Netze in Festlandeuropa verwendet, begründet Morrish damit, dass diese nicht dafür ausgelegt seien, solche großen Mengen Strom über weite Strecken zu transportieren – auch das hatte Desertec nicht bedacht.

Über eine Länge von über 3.800 Kilometer soll die Stromleitung durch das Meer verlaufen.

Kein Strom für Marokko

Zum Einsatz kommen sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ), die selbst über weite Strecken nur wenig Energie verlieren. Da die Nachfrage nach solchen Kabeln vor allem wegen geplanter Projekte in Asien weltweit ungebrochen ist, will Xlinks sie von einer eigens gegründeten Subfirma gleich selbst produzieren lassen. So will man etwa im schottischen Hunterston, wo kürzlich ein Kernkraftwerk vom Netz ging, 900 Menschen eine neue Arbeit geben. Auch in Marokko selbst sollen 10.000 Jobs entstehen, 2000 davon dauerhaft.

Die Energie hingegen wird zur Gänze exportiert – ein Kritikpunkt, der schon Desertec einen postkolonialen Ruf einbrachte. "Marokko ist vielen Ländern bereits weit voraus", entgegnet Morrish auf den Vorwurf, das Projekt würde Afrikas Ressourcen ausbeuten. Tatsächlich ist die Energie- und Klimapolitik Marokkos ambitioniert: Bis 2030 will das Land mehr als die Hälfte seines Stroms aus Photovoltaik gewinnen. Laut der NGO Climate Action Tracker ist die Politik Marokkos fast mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar – die beste vergebene Kategorie und eine Auszeichnung, die sonst nur eine Handvoll anderer Länder trägt. Außerdem sei das Projekt laut Morrish auch Teil einer Industrialisierungsstrategie, die Turbinen-, Photovoltaik- und Batteriefertigung nach Marokko bringen soll – schließlich würden allein für das Xlinks-Projekt massenhaft Komponenten gebraucht.

Ein Batteriespeicher mit einer Kapazität von 20 Gigawattstunden soll Spitzen ausgleichen und gewährleisten, dass an 20 Stunden pro Tag Strom ins Vereinte Königreich fließt. Dort könnte Solarenergie Grundlaststrom aus Kernkraftwerken ersetzen – und noch dazu zu einem Bruchteil der Kosten, versichert Morrish. Nach Fertigstellung würde das 21-Milliarden-Euro-Projekt jedenfalls mehrere Rekorde brechen: nämlich den des größten Solarparks, des längsten Tiefseestromkabels und des leistungsstärksten Batteriespeichers. Kann das wirklich gelingen?

Technisch machbar

Christian Schill vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme hält das Projekt Solarpark für durchaus realistisch. Der Preisverfall in der Photovoltaik mache die Technik auch ökonomisch konkurrenzfähig mit konventionellen Energieträgern. Zudem lasse sie sich gut skalieren. "Was im Kleinen funktioniert, geht auch im Großen gut", sagt Schill. Im Mittleren Osten und Nordafrika gebe es außerdem bereits Erfahrungen mit PV-Kraftwerken im Gigawattbereich, auf denen man aufbauen könne.

Ein Problem sei insbesondere in der Wüste der Staub, der sich auf den Paneelen ablagere und so die Leistungsfähigkeit einschränke, gibt Schill zu bedenken. Im Fall von Xlinks werden laut Morrish vollautomatische Putzroboter zum Einsatz kommen, um die Flächen sauber zu halten.

Bleibt noch das geopolitische Restrisiko. Was wenn Marokko eines Tages den Stromschalter spielt – so wie Russland es heute mit dem Gashahn tut? "Kein Land kann energieunabhängig sein", sagt Morrish. Deshalb brauche es zuverlässige Partner – und Marokko habe sich in der Vergangenheit durchwegs als stabil erwiesen.

In etwa 18 Monaten sollen in Marokko die Bagger anrollen, die ersten Elektronen ab 2028 auf die Britischen Inseln fließen. Danach soll der Solarpark weiter wachsen – und neue Leitungen Sonnenstrom nach Belgien oder Deutschland bringen. (Philip Pramer, 26.7.2022)