Bei Schwangerschaftsabbrüchen gibt es in Österreich ein starkes Ost-West-Gefälle: Auch in Tirol schupft nur ein einziger Arzt alle Abbrüche; überall sonst gibt es mehr Angebote. Mit einer Ausnahme: Burgenländerinnen müssen in ein anderes Bundesland reisen. (Symbolbild)

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Der Warteraum ist an diesem frühen Abend fast leer. Nur eine Frau Mitte 30 sitzt auf dem Ledersessel und wartet, bis sie aufgerufen wird. Ein Smartphone hält die Frau nicht in der Hand. Diese hätten hier nichts verloren, erklärt Monika Hostenkamp, die seit 25 Jahren die private Arztpraxis im Herzen von Bregenz mit ihrem Mann führt. Warum es ein Handyverbot braucht und die Hostenkamps unter keinen Umständen ein Foto von sich in der Zeitung sehen wollen, hat Gründe: Sie betreiben Vorarlbergs wohl unbeliebteste Arztpraxis. Sie sind die Einzigen im Land, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Noch.

Marienbilder und Morddrohungen

Denn das Ehepaar mag nicht mehr. Marienbilder kommen per Post. Oft tauchen Frauen zum vereinbarten Termin nicht auf. Dann läutet das Handy von Hostenkamp am Sonntagabend – sie schaltet es nie aus – wegen einer Anfrage. Oder weil jemand ihr am anderen Ende der Leitung sagen will, dass sie verrecken soll. Doch an all dem liegt es nicht. Beide sind 70 Jahre alt und wollen endlich in Pension. Und seit in den USA das Höchstgericht das landesweite Recht auf Abtreibung kippte, ist in Vorarlberg ihre bevorstehende Pension zum Politikum geworden. Wer kommt, wenn die Hostenkamps gehen? Wo sollen die circa 280 bis 320 Frauen, die jedes Jahr bei ihnen ihre Schwangerschaft beenden, künftig hin?

Geht es nach der Vorarlberger ÖVP auch weiterhin nicht in öffentliche Spitäler. Abbrüche sind dort nicht möglich – wie auch im Burgenland und Tirol. Zwar gab sich Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP), die derzeit den im Krankenstand befindlichen Landeshauptmann Markus Wallner vertritt, nach reichlich Kritik in den Vorarlberger Nachrichten diskussionsbereit. Das Wichtigste für sie sei jedoch, "dass es ein Angebot gibt". Und dieses sähe sie lieber im niedergelassenen Bereich.

Was für Schöbi-Fink gegen die Möglichkeit in Spitälern spricht: Sie wolle und könne Mitarbeiter nicht zu diesen emotional fordernden Eingriffen verpflichten. Für die Hostenkamps ein vorgeschobenes Argument: "Im Gesetz steht, dass kein Arzt dazu gezwungen werden darf, einen Abbruch durchzuführen." Gleichzeitig regelt das Gesetz auch, dass niemand benachteiligt werden darf, wenn er ihn durchführt. Bei Letzterem schaue die Realität im Ländle laut Hostenkamp anders aus.

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Hostenkamp: Spitalsärzte trauen sich gar nicht, ihrem Dienstgeber mitzuteilen, dass sie zusätzlich noch bei uns arbeiten möchten. Sie befürchten negative Auswirkungen auf ihr Dienstverhältnis, und das – wie sich schon gezeigt hat – zu Recht.

STANDARD: Was lässt Sie darauf schließen?

Hostenkamp: Es ist fast unmöglich, Vertretungen für unsere Mitarbeiterinnen zu finden. Wenn unsere Anästhesistin ausfällt, gibt es keinen, der einspringen könnte. Einer Spitalsmitarbeiterin wurde vor Jahren der Vertrag nicht verlängert, weil sie bei uns aushalf. Dabei gehört es einfach zum Fach dazu. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass nicht jede Frau vor Glück strahlt, wenn sie schwanger ist.

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Unterhalb der Bregenzer Praxis in einer Seitengasse werden immer noch Patientinnen belästigt. Hostenkamp forderte stets eine Bannmeile – vergeblich.
Foto: Elisa Tomaselli

Stigmatisierter Ort

Seit 25 Jahren führen die Hostenkamps ihre Ordination in Bregenz. Zu den Schwangerschaftsabbrüchen selbst kamen sie "wie die Jungfrau zum Kind", sagt Frau Hostenkamp. Ihr Mann ist eigentlich Geburtshelfer und hatte in Lindau eine Privatpraxis. Als es die Runde machte, dass er auch Abbrüche durchführt, wurden sie überrannt – von geflüchteten Frauen aus dem Balkan. Und Vorarlbergerinnen. Im Ländle selbst gab es bis 1997 kein Angebot. Auf Bitte des IfS (Institut für Sozialdienste) öffneten sie dann ihre Zweigstelle.

Das soziale Stigma war dabei ihr ständiger Wegbegleiter. Auch wenn es sie selbst in Vorarlberg nur bedingt betraf. "Unser Vorteil ist, dass unsere Mitarbeiter in Deutschland leben. Unsere Kinder können in der Schule also nicht blöd angeschwätzt werden." Die Leidtragenden seien primär ihre Patientinnen. Immer noch suchen christliche Bekehrerinnen sie in der Seitengasse auf.

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Hostenkamp: Früher in der alten Praxis passten Demonstranten die Frauen sogar direkt beim Eingang ab. Der damalige Polizeichef meinte nur, Österreich sei ein freies Land, jeder dürfe demonstrieren. Letztlich hat die Vermieterin den Mietvertrag gekündigt. Wir mussten 15 Monate suchen, bis wir eine Immobilie fanden. Eigentlich wollten wir etwas mieten, aber unterschriftsreife Verträge wurden in letzter Minute wieder zurückgezogen. Jetzt sind wir im alten Gebäude der Pensionsversicherungsanstalt – die hat ihren Sitz in Wien.

STANDARD: Immer noch werden Frauen belästigt. Eine Bannmeile nach Wiener Vorbild, also eine Demonstrationssperre in unmittelbarer Nähe, könnte das unterbinden.

Hostenkamp: Da hat uns die Politik im Stich gelassen. Obwohl sie genau wissen, was sie damit den Frauen zumuten. Jedem, der hier weitermachen will, würde ich dringend raten: Bestehen Sie auf einer Bannmeile!

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Gynäkologin auf der Suche

Hilfe hat die Politik zugesichert. Doch vonseiten der ÖVP lasse diese noch auf sich warten. Es sei nun ihre Aufgabe, Verständnis dafür zu schaffen, dass Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen mehr mit Lebensschutz zu tun habe als das, was die Demonstranten da unten treiben, sagt Hostenkamp. Was die Nachfolge betrifft, gäbe es vereinzelt Interessenten. Eine Gynäkologin habe sich gemeldet. Nach einer zweiten halte diese gerade Ausschau. So ließe sich das "Stigma besser aufteilen". Noch besser fände sie, wenn sich mehrere Fachrichtungen die Praxis teilen würden. Platz sei jedenfalls genug da.

Was ein potenzielles Angebot in Spitälern anbelangt, äußert Hostenkamp Bedenken: In ihren Augen käme dort die psychologische Komponente eines Abbruchs zu kurz, weil es "ein Großbetrieb ist, der funktionieren muss". Sie selbst nehmen sich eine Stunde Zeit für die Beratung. Mindestens einen Tag Bedenkzeit hätten die Frauen danach.

Auf die Frage hin, welche Rückmeldungen sie erhalten, springt Hostenkamp auf und greift nach einer Karte: "Liebes Team, wir sind überglücklich, uns richtig entschieden zu haben." Darauf abgebildet: ein Baby. Die Frau habe sich beraten lassen und sei zum Schluss gekommen, dass das die richtige Entscheidung für sie sei, sagt Hostenkamp. "Für viele ist es das aber nicht." (Elisa Tomaselli, 26.7.2022)