Bei einer Übung im steirischen Eisenerz trainierte das Bundesheer jüngst auch den Einsatz bei politischen Kundgebungen.

Foto: Bundesheer / Daniel Trippolt

Eine Demonstration zieht durch die Straßen. "Friede, Freiheit, Menschlichkeit" wird skandiert, "Menschlichkeit kennt keine Hautfarbe" steht auf einem der Transparente. Plötzlich wird die Kundgebung von Gegendemonstranten angegriffen. Einsatzkräfte mit Helmen, Schildern und Schlagstöcken schreiten ein, fixieren einige Gegendemonstranten mit massiver Körperkraft am Boden. Die Einsatzkräfte in martialisch anmutender Montur sind allerdings keine Polizistinnen und Polizisten, sondern: Soldaten des österreichischen Bundesheeres.

Die beschriebene Szene stammt aus der "Ausbildungsübung Eisenerz 2022" des Bundesheers, die in den vergangenen beiden Wochen in der Steiermark stattfand. Auf dem Programm standen militärische Grundlagen wie "Durchkämmen von Gelände" oder "Angriff aus der Bewegung" – aber eben auch der Einsatz auf der "Demo" in Eisenerz.

Verfassung ermöglicht Assistenzeinsatz im Inland

Soldaten, die eine Kundgebung in Österreich begleiten und (Gegen-)Demonstranten niederringen – das ist aus mehreren Gründen ungewöhnlich. In erster Linie, weil es diesen Fall in langjähriger Vergangenheit außerhalb von Übungen nie gegeben hat. Für den Einsatz auf Demos ist in Österreich die Polizei zuständig – ebenso wie für alle anderen Bereiche, die die innere Sicherheit betreffen.

Die Bundesverfassung ermöglicht es allerdings, das Heer auch im Inland einzusetzen – und zwar im Rahmen eines Assistenzeinsatzes, wie dies aktuell schon zur Bewachung ausländischer Botschaften in Österreich oder bei den Grenzkontrollen im Burgenland passiert. In Artikel 79 der Verfassung ist festgehalten, dass das Bundesheer, "soweit die gesetzmäßige zivile Gewalt seine Mitwirkung in Anspruch nimmt, zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit sowie der demokratischen Freiheiten der Einwohner" und "zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren" eingesetzt werden kann.

Heer im Inneren als "Ultima Ratio"

Bei Demonstrationen wurde ein solcher Assistenzeinsatz in den vergangenen Jahrzehnten allerdings nie in Anspruch genommen. Überhaupt wird der Einsatz des Militärs im Inland aus historischen Gründen besonders kritisch beäugt – im österreichischen Bürgerkrieg der 1930er-Jahre hatten Soldaten bekanntlich auf Bürgerinnen und Bürger geschossen. Hinzu kommt, dass Soldatinnen und Soldaten nicht in derselben Art und Weise Deeskalationstraining erfahren wie Polizeiangehörige.

"Dem Einsatz des Heeres im Inland sind in der Verfassung aus gutem Grund enge Grenzen gesetzt", sagt Verfassungsrechtler Heinz Mayer zum STANDARD. "Das muss immer die Ultima Ratio sein." Einige Polizistinnen und Polizisten zu wenig wären dafür jedenfalls nicht ausreichend, sagt der Jurist. "Die Botschaftsbewachung durch das Heer ist daher wohl genauso verfassungswidrig wie der jahrzehntelange Grenzeinsatz." Es handle sich dabei um einen "schlampigen Umgang" mit dem Heer seit langen Jahren.

Training für den Auslandseinsatz

Aus dem Verteidigungsministerium heißt es gegenüber dem STANDARD, trainiert werde die Arbeit auf Demos ohnehin für den Auslandseinsatz. "Bei unseren stärksten Kontingenten im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina haben wir solche Einsätze ununterbrochen", sagt ein Sprecher. Denn dort käme es regelmäßig zu großen Kundgebungen, auf denen heimische Soldaten auch schon schwer verletzt worden seien.

Ein Einsatz auf einer Demonstration in Österreich sei dagegen aktuell kein realistisches Szenario. Denn ein Kontrollverlust der Polizei sei hier nicht absehbar. Allerdings: Sollte irgendwann doch ein Assistenzeinsatz bei einer Kundgebung auf heimischem Boden angefordert werden, müsse das Heer bereits darauf vorbereitet sein.

Die Rolle Putins

Die Grenzen zwischen Armee-Einsätzen im Äußeren und Inneren allerdings würden zunehmend verschwimmen, sagt Generalmajor Günter Hofbauer, der Stratege des Bundesheeres, im STANDARD-Gespräch. Denn hybride Bedrohungen, zu denen etwa Cyberattacken oder terroristische Anschläge gehören, würden die militärische Landesverteidigung nicht immer scharf von Assistenzeinsätzen im Inland trennbar machen. Insofern gewinne der Inlandseinsatz an Bedeutung.

Hinzu kommt aktuell etwa auch die vom russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise. Laut Einschätzung vieler Fachleute setzt Russlands Präsident Wladimir Putin das Zudrehen des Gashahns gezielt als "Waffe" ein, um europäische Gesellschaften zu destabilisieren – ebenso wie gezielte Desinformationskampagnen des Geheimdiensts, wie sie etwa aus vergangenen US-Wahlkämpfen bekannt sind. Und: "Wenn sich Krisen am Rande der EU verschärfen", sagt Hofbauer, "kann das jedenfalls auch Auswirkungen in Österreich haben." (Martin Tschiderer, 25.7.2022)