Ein strenges Regime für Gas wie vor zehn Jahren in der Eurokrise kommt doch nicht. Ursula von der Leyen bekommt keine Peitsche.

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Wien/Brüssel – So heiß wie von Ursula von der Leyen und der EU-Kommission gekocht wird in Brüssel doch nicht gegessen. Zumindest was den vorige Woche von der Kommissionspräsidentin präsentierten Gas-Notfallplan betrifft, für den sich von der Leyen umfangreiche Befugnisse beim Gas-Einsparen wünschte.

Vor allem die harte Gangart samt Ermächtigung, sparunwillige Mitgliedsstaaten zu Einsparungen, notfalls zu vermindertem Gasverbrauch zwingen zu wollen, stößt auf Widerstand. Als Peitsche sollte ausgerechnet der aus der Eurokrise berüchtigte Artikel 122 EU-Vertrag wiederbelebt werden, mit dem vor zehn Jahren vor allem Griechenland zu einem drastischen Sparkurs gezwungen wurde.

Viele Ausnahmen

So darf es nicht überraschen, dass Athen als Erstes öffentlichkeitswirksam ausscherte. Ein Regierungssprecher kündigte am Montag an, dass man den ursprünglichen EU-Vorschlag nicht mittragen werde. Man wolle Ausnahmen erreichen. Basis für den Verbrauch beispielsweise müsse das vergangene Jahr sein und nicht der Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Müsste sich Griechenland an die angestrebte Fünfjahresregelung halten, müsste es 24 statt 15 Prozent Gas einsparen, rechnete der Sprecher vor.

Kritisch hatten sich neben Ungarn vor allem Spanien und Portugal geäußert. Die Regierung Portugals könne den Vorschlag überhaupt nicht akzeptieren, weil dieser "unhaltbar" sei, zitierte die Zeitung Politico den portugiesischen Staatssekretär für Umwelt und Energie, João Galamba. "Wir konsumieren Gas aus absoluter Notwendigkeit", versicherte er.

Über den Verhältnissen

Die spanische Ministerin für ökologischen Wandel, Teresa Ribera, beklagte: "Wir können doch keine Opfer bringen, über die wir nicht gefragt worden sind." Mit Seitenhieb auf Länder wie Deutschland oder auch Österreich sagte sie: "Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir Spanier in Sachen Energieverbrauch nicht über unsere Verhältnisse gelebt."

Der Gas-Notfallplan sieht vor, dass alle EU-Staaten freiwillig alle Anstrengungen unternehmen, um ihren Gasverbrauch von 1. August bis 31. März 2023 um mindestens 15 Prozent zu verringern. Referenzwert wäre dabei der Durchschnittskonsum im gleichen Zeitraum der vergangenen fünf Jahre.

Notfallplan abgespeckt

Um doch noch ein positives Abstimmungsergebnis zusammenzubringen, dürfte der Gasplan abgespeckt werden. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unter Berufung auf ein Kompromisspapier, dass das freiwillige Ziel zur Senkung des Gasverbrauchs um 15 Prozent wohl für alle Länder beibehalten wird. Es werde aber Ausnahmen geben. Damit würden für die Länder am Ende unterschiedliche verbindliche Ziele gelten.

Die wesentliche Abschwächung gegenüber dem Kommissionsvorschlag besteht allerdings darin, dass nicht mehr die EU-Kommission, sondern die nationalen Regierungen für die Festlegung des verbindlichen Ziels zuständig sind. Wobei das de facto auch vorher der Fall war, denn die Kommission sollte ja den Staats- und Regierungschefs einen Vorschlag unterbreiten, den diese dann beschließen. Ausgeschlossen wäre das Europäische Parlament, das nichts mitzureden hätte.

Zielvorgaben drosseln

Eine mögliche Ausnahme wäre, dass Länder mit großen Gasvorräten ebenso niedrigere Zielvorgaben zur Drosselung des Verbrauchs bekommen wie Staaten, die Gas exportieren. Dazu zählt etwa Spanien, das nicht auf russisches Gas angewiesen ist, weil das Erdgas aus Algerien kommt. Außerdem könnten kritische Sektoren wie Chemie-, Glas- und Stahlindustrie ausgenommen werden.

EU-Diplomaten begrüßten das Papier als Grundlage für eine Einigung. Offen ist, ob im Binnenmarkt angesichts so vieler Ausnahmen im Fall eines russischen Boykotts überhaupt genug Gas eingespart werden kann, um den Winter zu überstehen. Ob das mit einem "zahnlosen Tiger", zu dem der Notfallplan verkommen könnte, auch der Fall sein wird, ist nicht absehbar. Über den Winter zu kommen, ist das erklärte Ziel der Kommission.

Das wird nun von anderer Seite infrage gestellt: Gazprom teilte am Montagnachmittag mit, dass der Gasfluss durch Nordstream 1 ab Mittwoch auf 20 Prozent reduziert werde, weil eine weitere Turbine gewartet werden müsse. Außerdem seien bezüglich der von Siemens Energy durchgeführten Reparatur einer Gasturbine noch immer Fragen im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen offen. Pro Tag würden nun 33 Millionen Kubikmeter statt mehr als 160 Millionen Kubikmeter. (Luise Ungerboeck, 25.7.2022)