Dalia Ahmed und Andres Spechtl. Der meint: "Beim Popfest sieht man auch, was für eine gute Einrichtung so ein Sozialstaat ist, wenn er noch nicht kaputtgemacht worden ist."

Yavuz Odabas

Nach pandemiebedingter Pause kehrt das viertägige Festival Popfest Wien wieder an seinen Ursprung zurück. Ab kommenden Donnerstag werden auf und rund um den Karlsplatz bei freiem Eintritt dutzende Konzerte einheimischer Acts geboten. Die stilistische Bandbreite reicht dabei von Mainstream-Pop bis zu experimenteller Elektronik oder futuristischen Dancefloor-Entwürfen. Dalia Ahmed von FM4 und Andreas Spechtl von der Band Ja, Panik haben das heurige Programm kuratiert.

STANDARD: Cancel-Culture, die Gender-Debatte und dieser ganze Komplex ist heuer ein Thema beim Popfest. Die Gefahr besteht, dass man überkorrekt agieren muss, um andere erst recht wieder auszugrenzen. Pop war immer auch ein Ort des Widerständigen. Muss das jetzt alles in eine korrekte Richtung gedreht werden, haben Sie beim Programm darauf Rücksicht genommen?

Ahmed: Wir haben darauf geachtet, dass wir auf unterschiedliche Art widerständige Menschen haben. Die Frage ist immer: Gegen wen geht der Widerstand? Geht er gegen Hegemonie oder gegen unten, gegen Leute, die eh immer Schlimmes erleben und schlimm behandelt werden. Für mich gilt: Widerstand ja, aber immer nach oben treten.

Spechtl: Ich tu mir auch schwer in der Diskussion à la: Es war ja mal Punkrock, der war so wild, voller Widerstand und ohne Regeln. Dabei es ist doch ganz einfach: Alles, was frauenfeindlich ist, homophob oder rassistisch, diese Art Widerstand habe ich noch nie gebraucht.

Jung An Tagen

STANDARD: Pop war immer ein Genre, in dem die Uneindeutigkeit wichtig war, siehe David Bowie. In jetzigen Festivalprogrammen habe ich den Eindruck, dass sich Kunstschaffende oft mehr über queer und nonbinär definieren und das zu klar ausformulieren, anstatt sich selbst in der Schwebe zu halten. Wie sehen Sie das?

Ahmed: Der Begriff queer ist riesig, er beinhaltet so viel, dass das ja gar keine Verkleinerung auf ein Ding ist, sondern er macht riesige Welten auf. Und es ist wieder so ein Widerstand dagegen, wie unsere Gesellschaft funktioniert, wie uns vorgegeben wird, wie wir zu funktionieren und zu sein haben. Nun bricht man das auf, indem man sagt: Ich mache da nicht mit, ich bin nicht so. Dann beginnt ja erst die Kunst. Weil man endlich ausbricht und dann sagt: Okay, wie geht es jetzt weiter?

FARCE

STANDARD: Ich sehe immer die Diskrepanz zwischen Haltung und dem, was rauskommt. Beim Hören durch das Programm habe ich bemerkt, dass die Attitüde wichtiger wird als der Inhalt oder die musikalische Umsetzung. Vieles klingt dann nach Autotune und gewöhnlicher Formatradiomusik.

Spechtl: Aber wir reden hier ja über Popkultur, da ist die Pose total wichtig. Was wären die Rolling Stones ohne Pose, ohne Sexualität. Oder David Bowie ohne Queerness? Ganz viel wäre saulangweilig gewesen, wenn uns da nicht eine Welt verkauft werden würde, die utopisch ist. Das war immer schon so. Ich finde es schade, wenn man mit einer Welt, die imaginiert wird, nicht viel anfangen kann oder sich vielleicht sogar unwohl oder auf den Schlips getreten fühlt.

STANDARD: Gibt es noch Utopien im Pop?

Ahmed: Ich finde, Popmusik ist der einzige Ort, wo es die noch gibt. Tony Renaissance wird am Sonntag beim Popfest auftreten. In deren Musik geht es viel um Utopien. Und wenn man das hört, ist man drin, fühlt sich schön. Und dann ist das Lied vorbei und man denkt sich: Fuck, die echte Welt da draußen ist nicht so geil.

Spechtl: Ja, und die Utopie steht im dauernden Austausch mit der Wirklichkeit. Ich sehe unser Kuratieren für das Popfest so ähnlich: Wir wollen ein Fest, das die Musikszene in Wien so abbildet, wie wir sie erleben, gleichzeitig ist das natürlich eine absolut utopistische Behauptung. Was man tut, strahlt ja auch sofort wieder ab auf die Wirklichkeit und verändert sie.

Numavi Rec

STANDARD: Mit dem heurigen Programm reizen Sie den Popbegriff mit einem Noise-Act wie Abu Gabi weidlich aus. Wie kommt man zu dem Programm, wie es jetzt dasteht? Wollten Sie aus jedem Genre etwas dabei haben?

Ahmed: Wir arbeiteten fast ein Jahr daran. Wir haben uns ausgetauscht, hatten aber nie ein System. Es war, als würde man ganz viele Farben hinklatschen und dann schauen, was man damit malen kann.

Spechtl: Es mussten nicht alle Genres vorkommen. Okay, Freitag auf der Seebühne ist eher Hip-Hop, Samstag ist eher der Gitarrentag. Das hat man erst nach dem Sammeln gesehen, was unsere Vorlieben sind. Das Programm spiegelt wider, was wir mögen, und die Bandbreite reicht von totalen Hauptacts und Zuckrigkeit bis zu Sich-anschreien-Lassen und lauten Synthesizer-Konzerten.

Ahmed: Das Einzige, das wir wirklich versucht haben, war, Pakete zu schnüren, für einen Tag oder eine Bühne. Damit das Publikum nicht vor den Kopf gestoßen wird und es dramaturgisch passt. Dass es auch vom Sound Sinn macht, also nicht, dass alles gleich klingt, aber gut miteinander geht.

Siluh Records

STANDARD: Die große Herausforderung bei der Programmierung ist die Seebühne, weil man da Abu Gabi oder Techno von Jung an Tagen nicht spielen kann. Gibt es Auflagen vom Popfest?

Spechtl: Zumindest bei der Seebühne war ab dem ersten Gespräch mit uns klar, dass auch die junge Familie am Nachmittag vorbeischauen kann und nicht von Abu Gabi angeschrien wird. Dieses Commitment sind wir eingegangen, das hat es manchmal schwierig gemacht: etwas zu finden, das für uns und auch für die Acts funktioniert. Man kann den Artists die Möglichkeit geben, fair bezahlt auf schönen Bühnen zu spielen, und es müssen keine Tickets verkauft werden. Daran sieht man auch, was für eine in Maßen gute Einrichtung so ein Sozialstaat ist, wenn er noch nicht kaputtgemacht worden ist. Wien hat das bisher noch einigermaßen gut geschafft.

W1ZEVEVO

STANDARD: Regelmäßig zum Popfest taucht der Vorwurf auf, dass die Gratiskultur der Stadt Wien eigentlich sehr super funktioniert, aber gerade bei den kleineren Veranstaltern gibt es die Klage, dass deshalb niemand mehr zu österreichischen Bands kommt, sobald er Eintritt dafür zahlen muss.

Ahmed: Es braucht mehr und höher dotierte Fördertöpfe für Venues. Es sollen nicht große Gratis-Events abgedreht werden, sondern darauf geschaut werden, dass die anderen mehr Geld bekommen. Das Problem ist auch, dass österreichweit Clubkultur noch immer nicht als Kultur anerkannt wird. Es wird viel Geld in die E-Musik gesteckt, aber nichts in die Gegenwart und zukünftige U-Musik. Clubkultur ist Kultur und muss genauso gefördert werden.

STANDARD: Der Karlsplatz wurde während der Pandemie zum Hotspot der Jugendlichen, der wahnsinnig viele Leute aus den Clubs abgezogen hat. Somit ist das Popfest ideal in dieser Gegend. Die jungen Leute sind sowieso dort.

Ahmed: Das ist ein Plädoyer für konsumfreie Zonen, wo Kids einfach hingehen können. Leider fehlt noch immer die Infrastruktur. Es gibt zu wenig WCs, es braucht bessere Beleuchtung. (Christian Schachinger, 26.7.2022)