Die Steiermark stößt bei der Unterbringung von Kindern in Krisen an ihre Grenzen. Oft landen laut einer Sozialarbeiterin junge Kinder in WGs.

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Die Plätze für Kinder und Jugendliche in Not sind in der Steiermark rar. Während eine von zwei verbliebenen Kriseneinrichtungen händeringend nach Personal sucht und einen Aufnahmestopp verhängt hat, bleibt noch eines in Graz für das Ein-Millionen-Einwohner-Bundesland übrig. Diese fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten und massive Fallzahlen bringen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zusehends an ihre Grenzen, wie eine von ihnen im STANDARD schilderte.

Das Land zeigte sich daraufhin einsichtig: Der Fachkräftemangel sei im Sozialbereich angekommen, es müsse wieder "in" werden, in diesem Berufsfeld zu arbeiten. Man wolle daran arbeiten und Mitarbeiter besser ausstatten. Mit Blick auf den Platzmangel wurde allerdings die Schließung einer Kriseneinrichtung im Jahr 2016 in Fürstenfeld gerechtfertigt: Diese sei nicht ausgelastet gewesen.

Bezirkshauptmannschaft erzürnt

Das will der Leiter des Sozialreferats der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld, Bernd Holzer, so nicht stehen lassen: Im Gespräch mit dem STANDARD erhebt dieser schwere Vorwürfe. Das Land hätte demnach die Einrichtung einfach nicht weiterfinanziert und dabei mahnende Stimmen von Organisationen ignoriert. Die prekäre Lage scheint teils hausgemacht.

Keine Datenbank, keine Ressourcen, zu viele Fälle pro Sozialarbeiterin: Bedrückende Schilderungen einer Mitarbeiterin der Kinder- und Jugendhilfe Steiermark ließen vergangene Woche tief in das Innenleben jenes Bereichs blicken, der für Kinder eigentlich ein sicherer Hafen sein sollte, wenn es das Elternhaus nicht mehr sein kann. Das ist er aber aktuell nicht, sagt die Sozialarbeiterin. Denn trotz der Vorgabe von 25 Fällen seien "50 Fälle und mehr", die eine einzige betreuen muss, längst keine Seltenheit mehr.

Das führe dazu, dass man priorisieren müsse und gewisse Kinder nur mehr "irgendwie durchbringt". Skandalfälle seien ihr zufolge vorprogrammiert.

Zehrende Platzsuche

Dreh- und Angelpunkt in der Krisenintervention sind jedenfalls die Einrichtungen: Muss ein Kind oder ein Jugendlicher akut, etwa wegen Gewalt in der Familie, aus dieser raus, gibt es keine Datenbank, in der freie Plätze vermerkt sind. Sozialarbeiter müssten sich durchtelefonieren. In der Steiermark oft jedoch ohne Erfolg: Denn hier gebe es einfach keine Plätze mehr, kritisiert Holzer. Mitunter ein Grund: Die Kriseneinrichtung "Burg" in Fürstenfeld, die ab dem Jahr 2012 eine Zufluchtsstelle für acht Kinder und Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren war, wurde 2016 geschlossen.

Warum es so weit kommen musste, hat laut Land Steiermark einen einfachen Grund: "Das Leistungsangebot wurde aufgrund mangelnder Inanspruchnahme durch den Leistungsanbieter (Anm. Hilfswerk) selber eingestellt, heißt es auf Nachfrage. Selbst eine ehemalige Mitarbeiterin, die anonym bleiben wollte, bestätigt dem STANDARD diesen Befund: Im letzten Jahr sei die Auslastung tatsächlich nicht stark gewesen, aber das komme in dem Bereich immer wieder vor. Sie und ihr neunköpfiges Team seien einen Monat vor Schließung vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

Keine Vollfinanzierung

Aber warum muss eine Einrichtung für ihr Weiterbestehen überhaupt voll ausgelastet sein? "Das Problem ist, dass diese Einrichtung tagsatzfinanziert war", sagt Holzer. Das bedeutet, dass die acht Plätze nur dann vom Land finanziert wurden, wenn sie auch belegt waren. Gleiches gilt für die anderen zwei Kriseneinrichtungen in der Steiermark. "Doch eine solche Einrichtung lässt sich nicht betreiben, wenn man sie nicht auch durchgehend finanziert", kritisiert Holzer. Eine Vollfinanzierung sei vom Land stets abgelehnt worden.

Daran konnte auch der Betreiber, das Hilfswerk, nichts ändern. Beim betreuten Wohnen oder in Pflegeheimen sei diese Finanzierungsform freilich geeignet, nicht aber bei Kriseneinrichtungen, sagt der steirische Chef Gerald Mussnig. "Wir wollen und können Krisen nicht über Auslastung finanzieren". Darum mussten sie aufhören.

Die Folgen für den Bezirk Hartberg-Fürstenfeld: Zwei Drittel der Kinder müssen laut Holzer nun im Burgenland untergebracht werden. Warum das sein muss und das Land in diesem so sensiblen Bereich nicht auf eine sichere Finanzierung setze, wollte das Büro von Barbara Pitner, Leiterin der Abteilung Soziales, auf Nachfrage nicht beantworten. (Elisa Tomaselli, 26.7.2022)