Es mag ja literaturaffine Menschen geben, die in Sachen Bücher absolute Monogamie und höchste Disziplin an den Tag legen: Leserinnen und Leser, die sich immer nur einem Buch von der ersten bis zur letzten Seite widmen und erst dann, wenn sie dieses ausgelesen haben, in Buchhandlung oder Bücherei gehen und sich wieder Nachschub in Form eines einzigen Buchs holen. Diese Menschen finden ein Konzept vermutlich absurd, das andere Lesende nur zu gut kennen: das Phänomen des "Stapels ungelesener Bücher", kurz: SUB.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie auf Ihre ungelesenen Bücher blicken?
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Wie ein SUB entsteht – und wie er wächst

Wie der eigene Stapel ungelesener Bücher genau zustande gekommen und womöglich zu beträchtlicher Größe angewachsen ist, kann man meist selbst nicht mehr zur Gänze rekonstruieren. Man neigt vielleicht zum regelmäßigen Großeinkauf in seiner Lieblingsbuchhandlung, besucht mit Leidenschaft Bücherflohmärkte oder stöbert gern in Online-Secondhandshops. Man hat so viele Klassiker noch nicht gelesen, die man sich bei günstiger Gelegenheit in einer schönen Ausgabe gesichert hat, oder man besorgt sich umgehend aktuelle Belletristik, weil man durch überzeugende Rezensionen darauf neugierig geworden ist. Zudem bekommt man im Laufe seines Lebens auch zahlreiche Bücher geschenkt.

Der "Stapel ungelesener Bücher" kann aus wenigen Exemplaren auf dem Nachtkästchen bestehen– oder vielmehr ein ausgewachsenes Regal sein, in dem man längst den Überblick verloren hat. Fest steht nur, dass der SUB und die Zeit, die man tatsächlich dem Lesen widmen kann, indirekt proportional gewachsen sind. Kein neues Phänomen – schon der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860) konstatierte: "Es wäre gut, Bücher zu kaufen, wenn man die Zeit, sie zu lesen, mitkaufen könnte."

Gemischte Gefühle beim Stapel ungelesener Bücher

Spannend auch die emotionale Komponente, die mit dem Stapel ungelesener Bücher einhergeht. Hier kann die pure Freude dominieren, derart viel persönlich kuratierte Lesefreude noch in petto und in Reichweite zu haben. Es kann großen Spaß machen, den eigenen SUB nach individueller Präferenz häufig neu zu sortieren und dabei stolz auf seinen guten literarischen Geschmack zu sein. Doch so mancher Mensch, der sich seiner Endlichkeit bewusst ist, kann dabei auch ein mulmiges Gefühl bekommen und sich fragen, ob man all diese Bände in diesem Leben noch bewältigen wird können. Hat doch der deutsche Schriftsteller Arno Schmidt (1914–1979) einmal so deprimierend vorgerechnet: "Das Leben ist so kurz! Selbst wenn Sie ein Bücherfresser sind, und nur fünf Tage brauchen, um ein Buch zweimal zu lesen, schaffen Sie im Jahr nur siebzig. Und für die fünfundvierzig Jahre, von fünfzehn bis sechzig, die man aufnahmefähig ist, ergibt das 3.150 Bände: Die wollen sorgfältig ausgewählt sein."

Wie geht es Ihnen damit?

Wie groß ist Ihr SUB? Wo lagern und wie organisieren Sie ungelesene Bücher? Erfreuen Sie sich an der großen Auswahl, die Ihr SUB bietet, oder verlässt Sie manchmal der Mut, diesen jemals "weglesen" zu können? Oder fiele Ihnen das Anhäufen von mehr Büchern, als Sie lesen können, im Leben nicht ein? Berichten Sie im Forum! (dahe, 27.7.2022)