Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele.

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Der Bundespräsident befindet sich im Vorwahlkampf und hat eine neue Methode für sich entdeckt: hochpolitische Reden bei Festspieleröffnungen. Vergangene Woche richtete Alexander Van der Bellen dem Bregenzer Publikum aus, dass "nichts mehr so wie früher" werde. Die Politik habe sich von Wladimir Putin täuschen lassen – und so auch er selbst. Nun zahle man den Preis dafür. Der österreichischen Bundesregierung machte das Staatsoberhaupt – mit für seine Verhältnisse ungewöhnlicher Vehemenz – Druck: Sie müsse jetzt, "sorry: arbeiten, arbeiten", erklärte er von der Bühne in Richtung Wien.

Diesen Dienstagmittag legte er nach – diesmal bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele. Vom Trillerpfeifenkonzert von zwei Dutzend Demonstranten zeigte er sich mäßig beeindruckt, auch auf das kulturelle Ereignis selbst ging er kaum ein. Man könne die aktuellen politischen Geschehnisse nicht "an der Garderobe ablegen und in Musik versinken", stellte er lediglich klar. Politisch hatte es die Rede aber in sich: Die Auseinandersetzung "zwischen Despotie und Freiheit" habe gerade erst begonnen, mahnte er. Er wolle da niemandem falsche Hoffnungen machen.

Zusteuern auf "massives Energieproblem"

Das realistischste Szenario ist aus Van der Bellens Sicht, dass es "so weitergeht und sogar noch schlimmer" werde als bisher. "Dass Putin den Krieg fortführt" und Gaslieferungen einstellt, "sobald es ihm gefällt". Die Verantwortung der Politik sei es in dieser Situation nun, klare Worte zu finden und Vorbereitungen zu treffen: "Unser schönes, vielgeliebtes, vielgeprüftes Österreich steuert auf ein massives Energieproblem zu. Wir steuern auf ein massives Teuerungsproblem zu. Wir steuern, wenn jetzt nicht gehandelt wird, auf ein massives Entsolidarisierungsproblem zu", sagte Van der Bellen. Und das bedeute letztlich eine "massive Gefährdung unserer Demokratie".

Es ist eine seltene Klarheit, die der Bundespräsident nach sechs Jahren im Amt nun im Wahlkampf entwickelt. Van der Bellen, inzwischen 78 Jahre alt, hat seine Präsidentschaft damit verbracht, das Image des grünen Linken abzulegen; nicht anzuecken. Klare, scharfe Worte suchte und fand er nur in Ausnahmefällen.

Anlässe gab es genug. In Van der Bellens Amtszeit fielen mit der Ibiza-Affäre und der ÖVP-Inseratencausa zwei Regierungskrisen und zahlreiche Ministerwechsel sowie Skandale. Seit 2016 hat er 69 Angelobungen vorgenommen. Er war Präsident eines Österreich im fast ständigen politischen Krisenzustand. Van der Bellen selbst blieb jedoch stets ruhig, gelassen, abwiegend, oft auch schlichtweg still. Kurz vor seiner wahrscheinlichen Wiederwahl taut er nun offenbar auf; die Präsidentschaftswahl soll am 9. Oktober stattfinden.

Europa sei geschlossen "unüberwindbar"

In seiner Rede bei den Salzburger Festspielen betonte Van der Bellen die Notwendigkeit des europäischen Zusammenhalts: Die Sanktionen gegen Russland zu beenden, stellte er klar, sei keine Option. "Was wir jetzt brauchen, ist Solidarität, Geschlossenheit und Entschlossenheit", sagte er. "Lassen wir uns Europa nicht kleinreden. Gemeinsam sind wir unüberwindbar." Europa habe ein Lebensmodell geschaffen, das "uns einzigartig und unübersehbar macht". Und das sei besser als alles, was "irgendein Despot anbieten" könne. "All jene, die jetzt insgeheim oder ganz ungeniert mit den Interessen Putins sympathisieren oder tatsächlich kollaborieren, gefährden unseren Zusammenhalt."

Das Leben könne und werde nicht so weitergehen wie bisher, ist Van der Bellen überzeugt. "Das ist der Preis der Freiheit. Und wenn wir nicht bereit sind, ihn zu erbringen, werden ihn unsere Kinder und Enkelkinder doppelt und dreifach bezahlen." Deshalb seien nun "alle gefordert", nicht "nur unsere Regierung", wenn auch "die sowieso". Das Festspielpublikum forderte er auf, einen Beitrag zu leisten, Energie zu sparen, Überfluss zu reduzieren.

Van der Bellen wird sich im Herbst seiner letzten Wahl stellen. Denn eine Wiederwahl zum Bundespräsidenten ist nur einmal zulässig. Weder ÖVP noch SPÖ und Neos haben eigene Bewerberinnen oder Bewerber nominiert. Es treten mehrere Außenseiterkandidaten an, die Freiheitlichen schicken das FPÖ-Urgestein Walter Rosenkranz ins Rennen – einen stramm Rechten, der auch ins bürgerliche Lager strahlen soll.

Keine TV-Duelle mit Van der Bellen

Van der Bellens Team möchte ihn als Amtsinhaber in keine Wahlkampfduelle und TV-Konfrontationen schicken. Der Bundespräsident soll offenbar möglichst nur das kommunizieren, was er auch sagen möchte – harte Duelle könnten das Amt beschädigen, so die Argumentation.

Für sein erstes TV-Interview nach der Bekanntgabe seiner Wiederkandidatur musste Van der Bellen Kritik einstecken: Er hatte keine deutlichen Worte für die mutmaßlichen Korruptionsaffären der ÖVP gefunden. Van der Bellen sei zu gefällig, mutlos, lautete damals der Vorwurf. Dem will sein Kampagnenteam nun deutliche Ansagen entgegensetzen. "Festspielrede" war es seine letzte, dafür fehlen bis zur Wahl die weiteren Anlässe, heißt es aus seinem Umfeld. Nun gehe es darum, Unterstützungserklärungen zu sammeln. Die Spiele dürfen als eröffnet gelten. (Katharina Mittelstaedt, 26.7.2022)