Die Renaturierung beim Kraftwerk Rosenheim in Bayern zeigt erste Wirkung. Sand- und Schotterinseln entstehen auf natürliche Weise, Pflanzen und Bäume siedeln sich am Ufer an.

Foto: WWF / Elisabeth Sötz

Walter Michaeler, Mitarbeiter der Umweltschutzabteilung des Landes Tirol, steht bei einer Exkursion in Völs am Ufer des Inns und hält zwei Luftbilder in die Höhe. Auf dem einen aus dem Jahr 2007 ist der Inn ein schmaler Kanal. Auf dem anderen aus dem Jahr 2009 ist er nahezu doppelt so breit, das Ufer hat Ausbuchtungen und Schotterbänke.

An der Mündung von Völser Gießen und Axamer Bach gibt es eine Insel. Während Michaeler die Veränderungen aufzählt, ist im Hintergrund ein hoher warnender Ruf zu hören: ein Flussuferläufer. Zumindest ein Paar dieser stark gefährdeten Vogelart hat die neue Schotterinsel bereits erobert und brütet dort.

Diese Veränderung des Inns ist die Folge einer glücklichen Fügung: Als der Innsbrucker Flughafen aus Sicherheitsgründen mehr Platz vor dem Rollfeld benötigte, wofür eine Verlegung des Flusslaufes nötig war, nützte die Wasserbauverwaltung die Chance für eine Renaturierung.

Grenzüberschreitend

Die Renaturierungsmaßnahme bei Völs zeigt, wie ein stark veränderter Fluss wieder zu einem Lebensraum für flusstypische Arten werden kann. Doch viele Jahre gab es am Inn nur Einzelmaßnahmen, die nicht aufeinander abgestimmt waren.

Durch die Renaturierung kann sich der Fluss neue Bahnen suchen. Tümpel und Pfützen entstehen.
Foto: WWF/Lisa Reggentin

Deshalb haben sich Naturschutzorganisationen wie der WWF Österreich, die Universität Innsbruck sowie Behörden und Kraftwerksbetreiber aus der Schweiz, Österreich und Deutschland zusammengetan und das Projekt Innsieme gegründet. Gefördert wird es über das EU-Programm Interreg.

517 Kilometer langer Fluss

Gemeinsam haben die Projektverantwortlichen in den vergangenen drei Jahren Strategien für einen lebendigeren Inn entwickelt. Grundlage dafür bildet der Aktionsplan Artenschutz, der von Leopold Füreder, Barbara Grüner und Anna Schöpfer vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck im Zeitraum von zwei Jahren erarbeitet wurde. Von der Quelle am Lunghinsee im Engadin bis zur Mündung in die Donau in Passau wurde dafür der Ist-Zustand des Inns erhoben.

Auf seiner 517 Kilometer langen Strecke verändert der mächtige Alpenfluss vielfach seine Gestalt. Das Forschungsteam hat sechs morphologische Abschnitte definiert und jeweils eine passende Referenz für den Naturzustand gesucht. Für jeden Flussabschnitt wurde unter anderem festgelegt, welche Lebensräume sich einst für Fauna und Flora boten. "Das sind oft sehr lange Strecken, und man muss zahlreiche Abschnitte intensiv untersuchen", erklärt Füreder.

Hilfe aus dem Archiv

"Hilfreich ist aber, dass wir historische Befunde haben." Denn Landschaftsmalereien, Aufzeichnungen und detaillierte Karten aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zeigen, wie die Flusslandschaft ausgesehen hat, bevor im 19. Jahrhundert große Eingriffe zur Gewinnung von Land, für Siedlungen, Straßen und Schienen, die Stromgewinnung und zur Hochwasserregulierung erfolgten. Davor beanspruchte der Inn teilweise das ganze Tal, bildete Mäander und Nebenarme, Auen, Schotterbänke, strukturierte Ufer und Inseln und lagerte mitgeführtes Gestein bei jedem Hochwasser um.

Basierend auf dem ursprünglichen Naturzustand des Inns wurden ein visionäres Leitbild definiert und Leitarten festgelegt. Dazu zählen Bachforelle, Äsche, Flussuferläufer, Eisvogel, Kiesbank-Grashüpfer, Deutsche Tamariske und etwa Zwerg-Rohrkolben.

Eingebundene Altarme sind wichtige Rückzugsorte für Tiere und Pflanzen.
Foto: WWF/Gebhard Tschavoll

Klar ist, dass der Urzustand nicht wiederherstellbar ist, weil das Inntal zu intensiv genutzt wird. So sind nur mehr 13 Prozent der ursprünglichen Auwaldfläche vorhanden, 24 Wasserkraftwerke bilden teils unüberwindbare Barrieren. An den befestigten Ufern gibt es kaum bis keinen Lebensraum für Fische, Insekten oder Vögel. Rasche Wasserstandsschwankungen, verursacht durch den Abfluss von Speicherkraftwerken, töten Fischlarven und Jungfische.

Vor allem die Inn-Äsche sei dadurch stark gefährdet, sagt Füreder. An zahlreichen Stellen des Inns sind trotz aller Schwierigkeiten aber dennoch Verbesserungen möglich: Im Aktionsplan für den Inn wurden 259 Maßnahmen identifiziert, von denen ein Drittel bereits umgesetzt wurde.

Wichtige Maßnahmen

Um die Renaturierung des Inns voranzutreiben, werden einige essenzielle Maßnahmen empfohlen. So sollen wichtige Referenzstrecken besonders geschützt werden, wie etwa die 150 Kilometer lange freie Fließstrecke zwischen Imst und Kirchbichl in Tirol. Großflächige Aufweitungen mit naturnahen Uferstrukturen und Inseln sollen dem Fluss mehr Platz geben, was sich nicht nur positiv auf die Biodiversität auswirken, sondern auch die zerstörerische Kraft von Hochwasserwellen abmildern soll.

Bei Kraftwerken kann die Durchgängigkeit durch großzügige Umgehungsgerinne wiederhergestellt werden. Darüber hinaus sollen Seitenbäche und Zubringer revitalisiert, Feuchtwiesen und Moore erhalten und nicht zuletzt die Bewusstseinsbildung für eine naturnahe Umwelt gefördert werden.

Die Unterstützung der Bevölkerung ist den Verantwortlichen zufolge gegeben: 93 Prozent der Befragten aus allen drei Ländern wünschen laut einer Umfrage im Rahmen des Projekts, dass der Inn besser geschützt werden soll. Das Projekt Innsieme endet mit Juni 2022, die Zusammenarbeit der drei Länder und der verschiedenen Institutionen und Interessenvertreter soll darüber hinaus jedoch weitergehen. (Sonja Bettel, 30.7.2022)