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Ein gehyptes Unternehmen aus dem Bereich neuer Zahlungstechnologie macht horrende Verluste. Um sie zu kaschieren, werden Umsätze und Gewinne erfunden, angeblich in Asien, was schwer zu überprüfen ist. Nebenher treiben die vorgeblich exzellenten Geschäftszahlen auch noch den Aktienkurs in immer lichtere Höhe und machen die Gründer des Unternehmens zu Milliardären.

Willkommen in der Causa Wirecard, einem der größten Wirtschaftsskandale der vergangenen Jahre. Im Jahr 2020 flog der Schwindel auf; das Unternehmen mit Sitz in Aschheim bei München ging insolvent. Seine beiden dominierenden Akteure sind beide Österreicher, Markus Braun und Jan Marsalek, mit besten Verbindungen in die österreichische Politik. Braun sitzt heute in U-Haft, Marsalek ist abgetaucht und hält sich angeblich in Moskau auf.

Hypes und Herdendenken

Ohne den britischen Investigativjournalisten Dan McCrum von der "Financial Times", der jahrelang und hartnäckig an der Causa Wirecard recherchierte, wäre der Schwindel vielleicht niemals aufgeflogen. Nun hat McCrum "die ganze Geschichte", wie es im Untertitel heißt, in Buchform vorgelegt. Es ist ein hochspannender, 500-seitiger Wälzer geworden, der viel über die moderne Wirtschaftswelt und deren Hypes und Herdendenken erzählt, gegen die kritische Stimmen kaum ankommen. "Der Markt braucht mehr Skeptiker", kommentierte das Magazin "Economist" kürzlich im Zusammenhang mit Wirecard – wie wahr.

McCrum beschreibt anschaulich – und durchaus persönlich – die Risiken, die mit seinen Wirecard-Recherchen verbunden waren. Wirecard investierte Millionen, um die Financial Times ruhigzustellen. McCrum wurde beschattet, seine Familie und er selbst angefeindet. Die Zeitung sah sich mit Klagen konfrontiert, weil sie angeblich mit Shortsellern unter einer Decke stecke – also Anlegern, die auf fallende Kurs bei Wirecard gewettet hatten. Selbst die deutsche Finanzaufsicht Bafin erstattete 2019 auf Betreiben Wirecards Anzeige gegen die Journalisten. Deutsche Behörden – und ein Gutteil der Wirtschaftsmedien – waren sich offenbar einig, dass man das Münchener Star-Unternehmen gegen die Angriffe aus Großbritannien verteidigen müsse.

All das schildert McCrum durchaus mitreißend. Was dabei zu kurz kommt, ist der Überblick: Bei den vielen Wendungen in der Causa droht die Einordnung verlorenzugehen, wie das jeweilige Ereignis in den Gesamtkomplex des Falls passt. Trotzdem: ein Buch, das Wirtschaftsinteressierte gelesen haben sollten. (Joseph Gepp, 27.7.2022)