Es besteht eine nicht geringe Chance, dass Pamela Rendi-Wagner in absehbarer Zeit Kanzlerin ist. Die Regierung unter der Führung der ÖVP und des Kanzlers Karl Nehammer fährt einen klaren Murks-Kurs. Eine Ampelkoalition Rot-Grün-Pink (Neos) rückt näher. Auch in der Bevölkerung scheint sich eine Wendestimmung abzuzeichnen.

Rendi-Wagner ist dann die Kanzlerposition kaum zu nehmen. Damit stellt sich die Frage, wie sie mit der größten politischen Herausforderung unserer Zeit, nämlich der Bedrohung durch Wladimir Putin, umgehen würde. Denn darüber muss man sich im Klaren sein – "Putin strebt eine großangelegte Revision der europäischen Ordnung an" (der Historiker Herfried Münkler in der Zeit). Was würde Rendi-Wagner also als Kanzlerin gegenüber Putin tun? Was wäre ihre Politik?

Die jüngste Äußerung von Rendi-Wagner dazu ist typisch für ein bestimmtes Denken: Man muss mit ihm verhandeln. Im Sommergespräch von Puls 24 Anfang Juli sagte sie auf die Frage, ob sie auch zu Putin fahren würde: "Wenn wir Friedensverhandlungen ernst nehmen, muss man sich mit beiden Seiten ernsthaft auseinandersetzen. Ja." Sie würde es nur geschickter angehen als Nehammer.

Rendi-Wagner will mit Putin verhandeln.
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Das passt in die Argumentation des "friedensbewegten" Lagers, das keineswegs nur Linke umfasst: irgendwie auf Putin zugehen, ihn fragen, was er denn wirklich will – und gleichzeitig den Ukrainern bedeuten, dass sie nicht so stur sein sollen.

Das findet sich auch in dem Gastbeitrag von Andreas Mailath-Pokorny (siehe "Realpolitik statt Wunschkonzert"): Es habe keinen Sinn, zu moralisieren, Sanktionen haben noch nie was gebracht und kratzen Putin nicht; gefragt sei "Realpolitik".

Nun, Sanktionen haben z. B. das südafrikanische Apartheidregime zum Einsturz gebracht. Und gegenüber einem Kriegsverbrecher ist "Moralisieren" in dem Sinn angebracht, dass man sich klarmacht, mit wem man es zu tun hat. Denn nur dann kann man "Realpolitik" betreiben.

Wie die aussehen könnte, darüber sagt Mailath-Pokorny nichts, sagen all die Unterzeichner von offenen Briefen nichts, sagt auch Rendi-Wagner nichts. Das wäre auch, ohne Ironie, viel verlangt. Putin will das alte großrussische Reich zurück. Darüber lässt sich schwer verhandeln. "Verhandeln" mit Putin hat bisher in der Substanz null gebracht und wird so lange null bringen, solange er sich in einer starken Position wähnt. Der Bruch von Vereinbarungen ist sein Stilmittel – siehe Raketen auf Odessa einen Tag nach dem Getreideabkommen. "Realpolitik" ihm gegenüber kann nur Eindämmungspolitik sein. "Putin besiegen?", fragt Mailath-Pokorny ungläubig. Kommt darauf an, was besiegen heißt. Wenn Putin sieht, dass er nicht weiterkommt, wird er einschwenken, schreibt der Historiker Timothy Snyder in seinem Blog Thinking about ... "Alles, was wir zu tun haben, ist, einige Geduld zu zeigen und die Demokratie zu verteidigen, mit der richtigen Haltung und den richtigen Waffen."

Es wäre beruhigender, hätte man den Eindruck, dass Rendi-Wagner sich dessen bewusst ist –oder über ein Konzept verfügt, das über "Man muss miteinander reden" hinausgeht. (Hans Rauscher, 27.7.2022)