Bei beruflichen Terminen ist Joe Biden derzeit nur via Videoschaltung dabei.

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Jen Psaki fuhr gerade auf den Parkplatz einer Buchhandelskette, als der Fernsehsender MSNBC sie auf ihrem Smartphone anrief. Kurz darauf war die Ex-Sprecherin von US-Präsident Joe Biden telefonisch live zur Sonderberichterstattung zugeschaltet. "Das Weiße Haus hat sich darauf seit Monaten vorbereitet", kommentierte sie vergangenen Donnerstag die Covid-Infektion ihres einstigen Chefs: "Sie müssen jetzt in den nächsten Tagen demonstrieren, dass er arbeitet und weiter als Präsident handelt."

Rückblickend wirkt es, als habe Psaki das Drehbuch des Weißen Hauses ausgeplaudert. Seit Bidens Leibarzt Kevin O'Connor vor knapp einer Woche die Infektion des Präsidenten "mit sehr milden Symptomen" bekanntgab, scheint der Präsident in der Öffentlichkeit präsenter als normalerweise. "Leute, mir geht es gut. Danke für eure Anteilnahme", hatte er sich schon eine Stunde nach der Hiobsbotschaft bei Twitter zu Wort gemeldet. Zwei Stunden später postete er ein Video von sich im Anzug mit offenem Hemdkragen auf dem Südbalkon des Weißen Hauses. "Ich bekomme viel Arbeit erledigt", verkündete er da.

Der Hund als Wecker

So geht das nun jeden Tag. Zwar hat sich der Präsident im privaten Teil des Weißen Hauses isoliert und die physische Teilnahme an allen Terminen abgesagt. Doch an eine Pause zur Gesundung scheint er nicht zu denken. "Ich habe zwei ganze Nächte durchgeschlafen", berichtete er am Montag stolz: "Mein Hund musste mich heute Morgen sogar wecken."

Später postete er ein Foto von sich mit seinem Schäferhund Commander auf dem Balkon. Darauf trägt Biden Anzug, Krawatte und Sonnenbrille und hält einen Telefonhörer ans Ohr. "Heute Morgen habe ich einige Telefonate erledigt – gemeinsam mit dem besten Arbeitskollegen des Menschen", schrieb er dazu.

"Schwierige Balance"

Tierfotos kommen in Onlinemedien immer gut an. Trotzdem hinterfragen einige Twitter-Nutzer, ob Biden es mit seiner Hyperaktivität nicht etwas übertreibe und die fatale Botschaft aussende, dass eine Erkrankung mit der Omikron-Variante harmlos sei. Auch der renommierte Epidemiologe Michael Osterholm mahnt, die Amerikaner müssten das Virus, das täglich hunderte Menschen im Land töte, weiter ernst nehmen: "Das ist eine schwierige Balance. Der Präsident der Vereinigten Staaten wird das gut überstehen. Aber viele andere nicht."

Tatsächlich ist Biden im Gegensatz zu vielen Amerikanern zweifach geimpft und zweifach geboostert. Zur Behandlung bekommt er seit dem ersten Tag das Medikament Paxlovid, das für die breite Öffentlichkeit kaum zugänglich und bezahlbar ist.

Doppelte Herausforderung

Für das Weiße Haus stellt die Erkrankung des Präsidenten eine doppelte Herausforderung dar: Zum einen hat Biden die Bekämpfung der Pandemie zu seinem Markenzeichen gemacht, weshalb er nun peinlich genau auf die Einhaltung der Schutzvorschriften achten muss. "Er wird isoliert arbeiten, bis er negativ getestet wird", ließ seine Sprecherin Karine Jean-Pierre verkünden.

Das geht über die Vorschriften der staatlichen Gesundheitsbehörde CDC hinaus, die eine Rückkehr in die Öffentlichkeit bei Symptomfreiheit nach fünf Tagen erlaubt. Gleichzeitig aber muss Biden angesichts miserabler Umfragewerte und immer massiverer Zweifel an seiner Fitness unbedingt demonstrieren, dass er trotz seiner 79 Jahre voll leistungsfähig ist.

So war der Präsident am Montag eine Stunde lang per Videoschaltung zu einer Besprechung über den Chip-Notstand und sein geplantes Gesetz mit milliardenschweren Subventionen für die heimische Speicherfertigung zugeschaltet. Später hielt er noch eine virtuelle Rede vor afroamerikanischen Polizisten, in der er seinen Vorgänger Donald Trump wegen dessen Rolle beim Sturm auf das Kapitol scharf anging. "Mir geht es jeden Tag besser", versicherte er bei Journalistenfragen. Nur sein Hals sei noch etwas kratzig.

Weitere Kopfschmerzen erwartet

Am Donnerstag könnten noch ein paar politische Kopfschmerzen dazukommen. Da werden nämlich neue Konjunkturzahlen veröffentlicht, und viele erwarten, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal in Folge geschrumpft ist – ein Alarmsignal für eine Rezession. "Aus meiner Sicht werden wir nicht in eine Rezession rutschen", hielt Biden am Montag mit Verweis auf die sehr niedrigen Arbeitslosenzahlen schon einmal dagegen.

Zudem will er die Negativschlagzeilen mit einer guten Nachricht kontern: Ende der Woche plant Biden, wieder physisch ins Oval Office zurückzukehren. (Karl Doemens aus Washington, 26.7.2022)