Wendie Renard ist das Um und Auf in Frankreichs Defensive.

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Wendie Renard ragt heraus. Das liegt einerseits an den 187 Zentimetern Körpergröße der 32-Jährigen, andererseits aber vor allem an ihren Fähigkeiten: Die Französin gilt seit Jahren als eine der besten Abwehrspielerinnen der Welt. Mit ihrem Klub Lyon gewann sie 15 Meistertitel, die Champions League holte sie schon acht Mal. Einzig mit den Nationalteam blieb ihr ein großer Titel verwehrt. Das soll sich bei der Euro in England ändern. Am Mittwoch (21 Uhr, ORF 1) trifft sie in Milton Keynes mit Frankreich im Halbfinale auf Deutschland.

Renard, eine Institution im französischen Team, wird ob ihrer Größe und Spielweise auch der "Kontrollturm" genannt. Die Innenverteidigerin ist eine ungemein physische Spielerin, ihre Gegnerinnen scheitern an der Präsenz und dem Stellungsspiel, an der Übersicht und am Zweikampfverhalten der 135-fachen Internationalen. Hinzu kommt eine Kopfballstärke, die in diesem Ausmaß ein Alleinstellungsmerkmal ist. Für Frankreich hat Renard bereits 33 Tore erzielt. Auch das ist eine Ansage.

Flugbegleiterin oder Fußballerin

Sie kommt ursprünglich von Martinique, genauer aus Le Prêcheur, einem kleinen Dorf an der Nordküste der Insel. Im Onlinemagazin The Players Tribune erinnerte sie sich an ihre Kindheit: "Wo ich herkomme, nennen wir es das Ende der Welt. Wenn man am Strand steht und vor sich nur das Karibische Meer hat und hinter einem der Mount Pelée in den Himmel ragt, fühlt es sich genau so an: das Ende der Welt."

Renard, die jüngste von vier Schwestern, entdeckte früh ihre Leidenschaft für den Fußball, kickte immer nach der Schule mit den Buben – und das, obwohl Fußball im Übersee-Département nicht wahnsinnig populär ist: "Einmal musste ich meine Berufswünsche während des Unterrichts angeben. Ich schrieb: professionelle Fußballerin oder Flugbegleiterin. Meine Lehrerin sagte mir, dass Fußballerin kein Beruf sei." Im Alter von acht Jahren starb Renards Vater an Lungenkrebs, mit 15 flog sie nach Frankreich zum Probetraining. Lyon wollte sie.

Es krachte

Auf Klubebene lief Renards Karriere herausragend, mit dem Nationalteam fehlt bislang der große Wurf: Jahrelang kämpft sie mit ihren Teamkolleginnen gegen einen Viertelfinalfluch an. Ob bei Olympia, Welt- oder Europameisterschaften – seit einem Jahrzehnt war immer wieder in der Runde der letzten acht Schluss. In England sollte es anders kommen: Der 1:0-Sieg nach Verlängerung gegen Titelverteidiger Niederlande am Samstag war wie eine Befreiung für die Auswahl von Trainerin Corinne Diacre.

Apropos Diacre: Zwischen der Nationaltrainerin und ihrer Kapitänin krachte es ausgerechnet vor der WM 2019 in Frankreich, Renard wurde als Teamführerin abgesetzt. Inzwischen soll sich das Verhältnis gebessert haben: "Wir kommen gut miteinander aus", sagte Renard ganz diplomatisch.

Elferpatzer

Die Endrunde in England begann für Frankreich, das als Nummer drei der Welt zum engsten Favoritinnenkreis gehört, mit einem furiosen 5:1 gegen Italien. Gegen Belgien hatte die Équipe féminine mehr Probleme. Immer wieder offenbarten sich Abstimmungsprobleme in der Defensive, zu allem Überdruss verschoss Renard auch noch einen Elfer. Frankreich gewann am Ende mit 2:1, sicherte sich den Aufstieg aus der Gruppenphase.

Gegen Deutschland, das Österreich im Viertelfinale rauswarf, wird es wieder eine Renard in Bestform brauchen. (Andreas Hagenauer, 27.7.2022)