"Mit hilflos-naiven Beschwörungen der Werte und eines gänzlich undurchdachten Containments wird Wladimir Putin jeden Tag mehr in die Karten gespielt," sagt der frühere SPÖ-Politiker Andreas Mailath-Pokorny im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch die neue Kolumne von Hans Rauscher: "Kanzlerin Rendi-Wagner: Was wäre die Putin-Politik?".
Der Kolumne von Hans Rauscher zur Bregenz-Rede des Bundespräsidenten im STANDARD (23./24. 7. 2022) muss ich in wesentlichen Punkten ebenso widersprechen wie der kommentierten Rede: In der Debatte um den Ukraine-Krieg geht es um eine effektive Antwort auf eine völkerrechtswidrige Aggression durch eine Atommacht, nicht um Wertefragen oder Angst vor "Unterwerfung durch Vasallentum" (Alexander Van der Bellen). Ersteres verlangt Realpolitik, Strategien und Taktik, Letzteres beschwört die Moral.
Von Empörung geleitet
Der Westen wird von Empörung geleitet, verhängt gut gemeinte Sanktionen, die vornehmlich ihm selber schaden, und riskiert durch Inflation, Wirtschaftskrise und absehbare Uneinigkeit genau jene Werte, die er rechtens schützen will. Ein destabilisiertes Europa nützt der Ukraine am allerwenigsten.
Niemand ist da, der ein klares Ziel setzt, benennt, wie dieses erreicht werden soll – und ob die Bevölkerung tatsächlich bereit ist, es mitzutragen. Die unvermeidliche Entsolidarisierung wird deshalb umso kläglicher sein. Mit hilflos-naiven Beschwörungen der Werte und eines gänzlich undurchdachten Containments wird Wladimir Putin jeden Tag mehr in die Karten gespielt.
Wessen es bedarf?
Leadership, einer glasklaren Analyse, was die gemeinsamen Ziele sind, wie wir sie am besten erreichen (Sanktionen haben noch nie die selbstgesteckten Ziele erreicht, Lektion eins in jedem Kurs internationaler Politik!), einer Definition, was wir können und wollen (Waffen? Soldaten? Wie viele, wann, welche?) und was nicht (keine Enttäuschung von Erwartungen!), und vor allem eine realistische, nicht moralisierende Einschätzung des Gegners und seiner Verbündeten und Mitläufer (der bevölkerungsmäßig größere Teil der Welt). Und schließlich: Formulierung der eigenen Interessen, was nicht notwendigerweise heißt, dass solche der USA gleichbedeutend mit jenen der Nato und diese wiederum gleichbedeutend mit jenen der EU sind.
Peter Huemer umschreibt das in der Presse vom 23. 7. 2022 zutreffend damit, dass im Westen Fragen der Moral die der politischen Vernunft ersetzen. "Der Krieg verwirrt das Denken", sagt Ilija Trojanow in der Salzburger Festrede. "Nicht klein beigeben", beschwört der Bundespräsident ebenda. Einverstanden! Aber was dann? Putin besiegen? Und zwar wie (Achtung: Atommacht!)? Mit Durchhalteparolen?
Was nottut, ist, Realpolitik von Profis umsetzen zu lassen und nicht pastorales Einschwören auf Solidarität in der Not. Denn dieses "Jetzt müssen wir aber für die gute Sache zusammenhalten", ohne zu wissen, zu welchem Ende, wird tatsächlich unsere Werte nachhaltig schwächen. I prefer not to! (Andreas Mailath-Pokorny, 27.7.2022)