Laut Katharina Reich, Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit, käme die Absonderung schon jetzt "zu spät".

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Wien – Das geplante Aus der Quarantäne für Corona-Infizierte stößt bei großen Teilen der Opposition auf breite Kritik. Auch in einer vergangene Woche durchgeführten Umfrage zeigt sich ein Großteil der Befragten skeptisch, was die nun am Dienstag offiziell präsentierte Maßnahme betrifft.

Am Mittwoch rückte dann Katharina Reich, Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit, aus, um die neuen Regeln zu verteidigen. Sie betonte im Ö1-"Morgenjournal", dass die Absonderung von Infizierten schon jetzt "zu spät" komme, da bereits vor dem positiven Test eine Ansteckbarkeit bestehe. Die Maske sei der "unmittelbare Schutz", mit Medikamenten und der Impfung habe man weitere gute Möglichkeiten.

Dass alle Infizierten die Verkehrsbeschränkungen befolgen werden, glaubt Reich nicht: Es werden sich "die daran halten, die Mitmenschen schützen wollen"; man habe "immer welche, die das nicht getan haben". Auf Arbeitsplätzen sei es schon jetzt so, dass manche Masken tragen und andere nicht. Eine Stigmatisierung von Maskenträgern, die als Corona-Positive gesehen würden, erwartet sie nicht.

Nehammer beruft sich auf Datenlage

Am Mittwochnachmittag äußerte sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zur Maßnahme. Er rechtfertigt das Vorgehen mit einer "neuen Datenlage", wie er in einer Pressekonferenz nach dem Sommerministerrat sagte. Laut Nehammer sind Spitalspatienten zu 50 Prozent mit Corona – also nicht aufgrund einer Infektion – und zu 50 Prozent wegen Corona hospitalisiert. "Das ist eine Datenlage, die es nicht rechtfertigt, Menschen unverhältnismäßig einzusperren", sagte Nehammer.

Omikron sei "ein Paradigmenwechsel", und zwar was die Auswirkung der Krankheit betrifft. Nehammer: "Wir müssen zweckmäßig vorgehen. Die kritische Infrastruktur ist nicht gefährdet. Das Wichtige ist: Wenn man Symptome hat, bleibt man zu Hause."

Entscheidung für Rauch "vertretbar"

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hatte schon am Dienstag in der "ZiB 2" die Entscheidung für das Ende der Corona-Quarantäne ab August verteidigt – auch gegen die Kritik seiner Frau, der Vorarlberger SPÖ-Vorsitzenden Gabriele Sprickler-Falschlunger. Auf Details der praktischen Umsetzung der Verordnung etwa in Großraumbüros wollte er sich nicht einlassen. Auch für die Frage der Betreuung symptomfreier positiv getesteter Kindergartenkinder fühlte er sich nicht zuständig.

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Angesichts der neuen Varianten, der nun verfügbaren Medikamente und der Impfung halte er die Entscheidung, symptomfreie positiv Getestete mit Maske aus dem Haus zu lassen, für "vertretbar". Dass dies von manchen – etwa Wien – kritisch gesehen wird, nimmt Rauch zur Kenntnis. Auch, dass seine Frau in einer Aussendung erklärt hatte, dies sei "mit Sicherheit die falsche Entscheidung von Gesundheitsminister Rauch". "Ich liebe meine Frau, sie hat eine andere Meinung, das ist auch gut so", sagte Rauch dazu – und verwies darauf, dass Sprickler-Falschlunger hier "in ihrer Rolle als SPÖ-Vorsitzende spricht". Druck auf ihn, etwa seitens der Wirtschaftskammer, habe es nicht gegeben, versicherte er.

Als Gesundheitsminister nicht zuständig fühlt sich Rauch für Fragen wie jene, wie positiv getestete Mitarbeiter acht Stunden in einem Großraumbüro arbeiten sollen – wenn sie die Maske nicht abnehmen und somit etwa auch nichts essen oder trinken können. Die Unternehmen und die Arbeitnehmervertreter hätten schon viele Lösungen gefunden in der Pandemie, merkte er an. Nicht zulässig wäre es, dass Mitarbeiter aus Angst vor Ansteckung durch Corona-positive Kollegen dem Arbeitsplatz fernbleiben, betonte Rauch – und verwies darauf, dass es mittlerweile Medikamente gebe, die vor schweren Verläufen schützen.

Rauch revidiert Aussage zu Kindergärten

Zunächst hieß es noch, an der Stadt Wien liege es zu entscheiden, was Eltern positiv getesteter, aber symptomfreier Kindergartenkinder tun sollen – wenn etwa in Wien oder anderen Städten der Kindergartenbesuch mit Infektionskrankheiten untersagt ist und es auch keine Sonderbetreuungszeit mehr gibt.

Wenn ein Kind keine Symptome habe, könne man es mit Maske in der Kinderbetreuung abgeben, meinte Rauch – nachdem er erklärt hatte, dass Eltern verantwortungsbewusst seien und "kein Mensch auf die Idee kommt, Kinder mit Windpocken irgendwohin zu schicken".

Der Sprecher des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker wies allerdings auf Twitter daraufhin, dass in der rechtlichen Begründung für die neuen Regeln festgeschrieben ist, dass für infizierte Kindergartenkinder ein Betretungsverbot gilt. Es dürfte also gar nicht möglich sein, ein infiziertes Kind mit Maske in Betreuung zu geben. Rauch revidierte seine Aussage später auf Twitter und entschuldigte sich für die Falschmeldung. Laut eines weiteren Tweets des Gesundheitsministers werde die Bundesregierung rasch nach einer Lösung suchen, "damit Eltern ohne Einkommensnachteile während der Infektion ihres Kindes zu Hause bleiben können".

Handhabung in Schulen "völlig unklar"

Auch wie es an Schulen weitergeht, ist laut dem obersten Lehrervertreter Paul Kimberger noch "völlig unklar". Man habe noch keine schriftlichen Informationen, weder die Pressekonferenz noch der Auftritt von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) in der "ZiB2" hätten Klarheit geschaffen, wie es an Schulen weitergehen soll.

Dass künftig wissentlich infizierte und potenziell ansteckende Menschen in Schulen zugelassen werden würden, sieht er im APA-Gespräch kritisch: "Es ist nur schwer vorstellbar, dass infizierte Kinder neben ihren Schulkollegen sitzen und dass infizierte Lehrer unterrichten", sagte Kimberger.

Änderung bei Einreisebeschränkungen aus Risikoländern

Die Verordnung zu den Corona-Einreisebeschränkungen nach Österreich ist am Dienstag per Novelle überarbeitet worden und tritt mit 1. August in Kraft. Demnach werden Impfzertifikate von unter 18-Jährigen kein Ablaufdatum mehr haben.

Für Erwachsene ändert sich in der Gesetzesnovelle nichts, die Gültigkeit der vollständigen Immunisierung verfällt weiterhin nach 270 Tagen.

SPÖ-Chefin sieht gesamte Regierung "rücktrittsreif"

Die größte Oppositionspartei SPÖ kritisierte die Maßnahmen auf ganzer Linie. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner äußerte sich strikt gegen das Ende der Corona-Quarantäne. Die Regierung habe hier eine "rein politische Entscheidung, ohne Fakten und Evidenz" getroffen. Das sei ein "verantwortungsloses Vorgehen", befand Rendi-Wagner im Vorfeld des Sommerministerrats.

Die Grünen hätten auf ganzer Linie enttäuscht und der ÖVP wieder einmal nachgegeben. Deshalb ist für die SPÖ-Chefin "die gesamte Regierung rücktrittsreif". "Das Theater für Herbst und Winter ist vorprogrammiert", sagte der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ), spätestens im September würden "uns die Zahlen um die Ohren fliegen".

Bevölkerung laut Umfrage gegen Quarantäne-Aus

Laut einer Gallup-Umfrage, die vergangene Woche durchgeführt wurde, hat auch die Bevölkerung das Vertrauen in die Corona-Politik der Regierung verloren: 49 Prozent der 1.000 Befragten vertrauen ihr "wenig" oder "gar nicht", nur fünf Prozent "sehr", 17 Prozent "eher".

Bemerkenswert ist, dass im Juli 2022 weniger Befragte als im Mai 2022 denken, dass die Pandemie unter Kontrolle sei. Gegen das Aus für die Quarantäne sprachen sich bei der Befragung vergangene Woche 55 Prozent aus; nur ein Drittel begrüßte die Maßnahme.

Handelsverband warnt vor "Trojanischem Pferd"

Zu den Befürwortern zählen prinzipiell Wirtschaftstreibende, die in den vergangenen Monaten auch politisch Druck für ein Ende der Quarantäne gemacht haben sollen. Allerdings warnt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands, vor einem "Trojanischen Pferd" in der künftigen Verordnung.

Dadurch, dass nicht mehr zwischen symptomatischen und symptomfreien Infizierten unterschieden und kein Absonderungsbescheid mehr ausgestellt werde, fielen Unternehmen um Entschädigungen für Verdienstentgang um. "Im Namen der österreichischen Händler fordern wir die Regierung auf, dies zu überdenken und anzupassen", sagte Will.

Wirtschaftskammer befürchtet hohe Mehrkosten

Die Wirtschaftskammer Wien (WKW) warnt dabei vor hohen Mehrkosten durch künftige Corona-Krankenstände. "Für die Wiener Unternehmen wird der Entfall der Quarantäne richtig teuer. Aus Sicht der Wirtschaft ist diese Maßnahme nicht wirklich zu Ende gedacht", so WKW-Präsident Walter Ruck. Der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband Österreich kritisiert, dass die Regierung Kosten und Verantwortung auf die Unternehmen abwälzt.

Nachdem fast alle Gesundheitsexperten von einer weiteren Corona-Welle im Herbst ausgingen, würden die Wiener Unternehmen mit zusätzlichen Kosten von fast 100 Millionen Euro durch coronabedingte Krankenstände im Herbstquartal konfrontiert sein – zusätzlich zu den Belastungen durch die Teuerung, die Energieproblematik und den Fachkräftemangel. Zudem müssten die Unternehmen auch die entfallene Arbeitsleistung kompensieren. "Die Auswirkungen sind ähnlich einer permanenten Grippewelle", so Ruck. Er erwartet von den politisch Verantwortlichen rasch eine Lösung. "Dass Betriebe hier auf Pandemiekosten sitzenbleiben, kann es nicht sein."

Von Laer: FFP2-Maske nur gewissen Schutz

Die Virologin Dorothea von Laer hält den – mit dem Quarantäne-Ende möglichen – Einsatz Corona-infizierter Krankenschwestern in der Pflege vulnerabler Menschen "aus medizinischer Sicht nicht für verantwortbar". Die für positiv Getestete im Umgang mit anderen vorgeschriebenen FFP2-Masken würden nur einen "gewissen Schutz" bieten, betonte sie Mittwoch in der "ZiB2". Und hob hervor, dass Corona-Inifzierte zwei bis drei Tage bevor Symptome ausbrechen besonders ansteckend sind.

"Medizinisch nicht viel Sinn" macht aus von Laers Sicht, dass infizierte Pädagogen und Pädagoginnen in Kindergärten (mit FFP2-Maske) arbeiten dürfen, für positiv getestete Kinder aber ein Betretungsverbot besteht. Aber in die Gesetzgebung würden halt auch "andere Überlegungen einfließen", merkte sie an. Recht guten Schutz biete etwa im Kassenbereich des Handels die Kombination von FFP2-Maske und Plexiglaswänden – wenn die Kunden diszipliniert hinter den Wänden bleiben.

Arbeitsjuristin Katharina Körber-Risak hat in der "ZiB2" von Dienstag über die rechtliche Lage angesichts des Quarantäne-Aus gesprochen. Eine einfache FFP2-Maskenpflicht reicht nach Ansicht der Juristin als Maßnahme des Arbeitsgebers nicht aus. Stattdessen müssten diese ein umfassendes Schutzkonzept ausarbeiten. Arbeitgeber stünden in der Pflicht ständig zu kontrollieren, ob positiv getestete Angestellte Masken tragen und sich an die Sicherheitsvorkehrungen halten. Kunden müsste man aufgrund der Haftungsvermeidung auch informieren, ob jemand der sie bedient positiv getestet ist. In der Praxis wird sich das aber laut der Juristin schwer kontrollieren lassen.

Wiener Spitäler müssen Operationen verschieben

In Wien müssen in der aktuellen Corona-Welle wieder Operationen verschieben, berichtete das Ö1-"Frühjournal" – auch, weil viele Spitalsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter krank sind. Dazu kommt die Urlaubszeit, was die angespannte Personalsituation nochmal verstärkt. Die Folge davon: Überbelag auf vielen Stationen.

Das Corona-Prognosekonsortium rechnet mit einem weiteren leichten Anstieg der Corona-Patientinnen und -Patienten in den Spitälern. Das Quarantäne-Aus am kommenden Montag wird das Testverhalten in der Prognoseperiode zusätzlich beeinflussen. "Wir gehen daher weiterhin davon aus, dass derzeit die gemeldeten Fallzahlen die Infektionsdynamik nicht akkurat widerspiegeln", schreiben die Expertinnen und Experten in ihrem Bericht. (APA, red, luza, 27.7.2022)