Beleuchtung im öffentlichen Raum und im Gewerbe zu reduzieren könnte gegen die Lichtverschmutzung in Wien helfen.

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Viele Gebäude wie Sehenswürdigkeiten oder Kirchtürme werden nachts mit Fassadenbeleuchtung beschienen – obwohl das vielerorts gar nicht notwendig ist und Energie verbraucht. Anlässlich der hohen Strompreise haben nun viele Städte und Regionen Maßnahmen beschlossen, wie sie ihren Stromverbrauch senken könnten. In Linz sollen Bauwerke und Brücken abends nur mehr bis 23 Uhr und morgens überhaupt nicht mehr beleuchtet werden. Salzburg reduziert bei 32 Bauwerken, die sich zum Großteil in der Altstadt befinden, die nächtliche Anstrahlzeit um eine Stunde. In Niederösterreich denkt man ebenfalls über eine "Energiesperrstunde" nach.

Auch in Wien besteht prinzipiell die Möglichkeit, den nächtlichen Stromverbrauch zu senken und dadurch Energie zu sparen. Immerhin verbraucht die Hauptstadt laut den Wiener Netzen jede Nacht zwischen sieben und acht Gigawattstunden. Ein Teil dieses Stroms wird verbraucht, um Licht zu erzeugen – nicht nur in den privaten Haushalten: Von künstlichem Licht beschienen strahlt der Stephansdom in die Nacht hinein. In den Parks leuchten die Denkmäler und Statuen golden. Die Mariahilfer Straße ist orange gefleckt von den Lichtkegeln der Straßenlaternen, flankiert von den Schaufenstern und Leuchtreklamen der Geschäfte.

Wenige Sterne über Wien

Eine "Energiesperrstunde" würde nicht nur einen Teil dieser Energie sparen, sondern auch der Umwelt zugutekommen. Wie in den meisten Großstädten ist die Lichtverschmutzung auch in Wien ein großes Problem – also die Aufhellung des Nachthimmels durch künstliches Licht. Über der Hauptstadt liegt nachts eine riesige Lichtkuppel, die unter manchen Bedingungen über 200 Kilometer weit sichtbar ist. Laut einer Studie der Kuffner-Sternwarte verbraucht diese Kuppel jährlich 500 Gigawattstunden Energie und verursacht 100.000 Tonnen CO2.

Astronominnen, Astronomen und anderen Menschen, die gerne Sterne schauen, ist die Kuppel schon lange ein Dorn im Auge. "An einem Himmel, der nicht lichtverschmutzt ist, sehe ich auf der Nordhalbkugel über das ganze Jahr etwa 6.000 Sterne", sagt Stefan Wallner vom Institut für Astrophysik der Universität Wien. "Bei mir auf der Universitätssternwarte im 18. Bezirk, die etwas abgelegen ist, habe ich davon noch ungefähr 300 bis 400 übrig. Am Stephansplatz sind es nur noch rund 60 bis 70 Sterne."

In Städten kaum zu bewundern: Der Sternenhimmel zeigt sich in der Region Attersee-Traunsee in vollem Glanz.
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Krankheiten begünstigt

Das Problem beschränkt sich jedoch nicht auf das Sterneschauen. Für Menschen stellt die Lichtverschmutzung ein enormes Gesundheitsrisiko dar. Künstliches Licht, sei es von draußen oder drinnen vom Smartphone-Bildschirm, unterdrückt das Schlafhormon Melatonin. Gut produziert werden kann das Hormon nur in der Dunkelheit. Passiert das zu wenig, führt das zu Schlafstörungen. Diese wiederum begünstigen Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht. Studien zeigen außerdem, dass Menschen in lichtverschmutzten Städten eher an Brust- oder Prostatakrebs erkranken.

Nicht zuletzt leidet die Umwelt unter dem künstlichen Nachtlicht. Betroffen sind so gut wie alle Arten. Außenbeleuchtung oder Licht, das aus Gebäuden scheint, zieht etwa Insekten an. Das führt dazu, dass sie ihre Funktion im Ökosystem nicht mehr erfüllen können – sei es als Bestäuber von Pflanzen oder als Nahrungsgrundlage für Vögel und Amphibien. Viele Insekten sterben durch das ständige Umkreisen der Lichtquellen oder verbrennen an den heißen Leuchtröhren. Lichtverschmutzung gilt neben Pestiziden als Grund, warum die Insektenbiomasse stark rückläufig ist, erklärt Wilfried Doppler von der Wiener Umweltanwaltschaft. Das künstliche Licht irritiert zudem Vögel in ihrem Zugverhalten, die Lichtglocke über Wien lenkt sie von ihren Flugrouten ab.

Viele Geschäfte in Wien sind nachts durchgehend beleuchtet.
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Gewerbe mit hohem Anteil an der Lichtverschmutzung

Bei der Lichtverschmutzung in Wien gerät häufig die öffentliche Beleuchtung in den Fokus. Dabei verursacht sie nur ein Drittel der Lichtverschmutzung. "Die öffentliche Beleuchtung ist gerade durch die Umrüstung auf einem guten Weg", sagt Doppler. Alleine zwischen 2017 und 2020 ersetzte die MA 33, die in Wien für die öffentliche Beleuchtung zuständig ist, knapp 50.000 Straßenleuchten durch effizientere LED-Seilhängeleuchten, die ihr Licht nach unten streuen. Durch die Modernisierung sinkt der Anteil öffentlicher Beleuchtung an der Lichtverschmutzung laufend. Zudem ziehen die LEDs weniger Insekten an.

Problematisch für die Lichtverschmutzung sind in Wien stattdessen andere Lichtquellen wie etwa Gewerbe- und Effektbeleuchtungen. Eine Untersuchung im Jahr 2011 zeigte etwa, dass Schaufenster zu den hellsten Lichtquellen in Wien gehörten. Hinzu kommen LED-Bildschirme, angeleuchtete Fassaden und Leuchtreklamen, die zu einem hohen Anteil zur Lichtverschmutzung beitragen.

Privater Bereich: Beleuchtung nimmt zu

In vielen Fällen sind diese Beleuchtungen nicht notwendig, sondern dienen lediglich der Außenwirkung oder werden aus Gewohnheit eingeschaltet. Das gilt auch für Sehenswürdigkeiten. "Der Stephansdom wird die ganze Nacht über angestrahlt, weil es eben immer so war. Niemand traut sich, das irgendwie anzugreifen", sagt Doppler. "Was nützt es, die Kirche um zwei Uhr früh anzustrahlen, wenn niemand mehr unterwegs ist?"

Doch auch im privaten Bereich ist die Beleuchtung ein Problem. Mehr und mehr Haushalte beleuchten nachts ihre Fassaden. Im Garten beleuchten sie teilweise die Bäume, die Lebensraum für Insekten, Kleinsäuger und Vögel bieten. "Uns rufen dann die Nachbarn an und fragen, wie man den Wahnsinn abstellen kann", sagt Doppler. "Wir haben jetzt noch einen Wettbewerb. Wenn mein Nachbar hell ist, dann muss ich heller sein, um neben dem noch aufzufallen. Aus dieser Spirale müssen wir herauskommen." Es brauche daher dringend rechtliche Regelungen für die Lichtverschmutzung.

Bisher lassen diese aber auf sich warten. Es gibt in Österreich zwar Normen, die Mindeststandards für Beleuchtung festlegen, aber noch kein Lichtverschmutzungsgesetz. Ein solches gibt es in Slowenien schon seit 2007. In Frankreich müssen Geschäfte nach Ladenschluss seit 2013 etwa ihre Beleuchtung abschalten. Theoretisch wäre es laut Doppler für Österreich denkbar, in der Betriebsbewilligung auch Richtlinien zur Beleuchtung zu verankern. In manchen Fällen könne es außerdem Sinn machen, Betriebszeiten generell einzuschränken. Bis dahin haben Betreiber bei der Beleuchtung jedoch weitestgehend freie Hand.

Licht bedeutet nicht unbedingt Sicherheit

Als Argument für die nächtliche Beleuchtung wird meist die Sicherheit angeführt. Schließlich macht die Straßenbeleuchtung Fußgänger für Autofahrende sichtbar. Licht kann Fußgängerinnen und Fußgängern ein sicheres Gefühl geben und die Angst vor Kriminalität nehmen. Doch Studien zeigen, dass mehr Licht nicht zwangsläufig geringere Kriminalität bedeutet. "Das Sicherheitsgefühl ist etwas anderes als die objektive Sicherheit", sagt Doppler.

Vor allem in Städten dient die Beleuchtung von Gebäudefassaden oft dazu, Einbrüche zu verhindern – was meist jedoch keine Wirkung zeigt. "Aus Studien heraus haben wir gesehen: Ob beleuchtet wird oder nicht, ist für die Einbruchsrate völlig irrelevant", sagt Wallner. "Es fällt sogar eher auf, wenn ich nicht beleuchte und Einbrecher zur Orientierung zusätzliches Licht brauchen." Andere Untersuchungen legen nahe, dass gute Beleuchtung zwar die Kriminalitätsrate verringern, bei bestimmten Arten der Kriminalität jedoch die gegenteilige Wirkung erzielen kann. Schlagschatten, die durch sehr helle Beleuchtung entstehen, können Kriminellen etwa eine hilfreiche Tarnung bieten.

Neben Einbrüchen und Diebstählen betrifft die Sicherheit jedoch auch sexuelle Übergriffe oder Belästigung. Eine Studie in London zeigte, dass sich das Sicherheitsempfinden von Frauen, die nach Einbruch der Dunkelheit in beleuchteten Gebieten spazieren gehen, verbessert. Die Einführung neuer Straßenbeleuchtung führte in der genannten Studie zwar nicht zu einem signifikanten Rückgang der gemeldeten Kriminalität. Jedoch lassen sich die Ergebnisse nicht für jede Stadt übertragen. Wichtig ist es laut der Stadt Wien, dass nachts keine Angsträume entstehen, die ein Gefühl der Unsicherheit schaffen und die Bewegungsfreiheit von Personen mit erhöhtem Sicherheitsbedürfnis einschränken.

"Win-win-Situation"

Die Beleuchtung in Wien nachts zu reduzieren muss laut den Experten ohnehin nicht auf Kosten der Sicherheit geschehen. Sie plädieren dafür, Beleuchtung gezielt und effektiv einzusetzen – statt die Dunkelheit einfach gänzlich auszuleuchten. "Es geht auch nicht darum, dass ich das Licht überall komplett ausschalten muss", erklärt Wallner. "Es geht darum, das Licht dorthin zu bringen, wo man es braucht."

Beide Experten halten es in Wien für sinnvoll, nächtliche Beleuchtung zu reduzieren – sofern sie nicht der öffentlichen Sicherheit oder Orientierung dient. Denn in vielen Fällen sei eine Beleuchtung einfach nicht notwendig, wodurch sich Energie sparen lasse. Zudem wäre es ein Beitrag zum Klimaschutz. "Nicht nur für uns und die Energie, sondern auch für die Umwelt wäre es eine Win-win-Situation."

Ob eine Energiesperrstunde für Wien wirklich kommt, bleibt noch abzuwarten. Die MA 33 sagte ein Interview mit dem STANDARD kurzfristig ab. Bei den Wiener Netzen heißt es, man erarbeite gemeinsam mit der Stadt Maßnahmen. Details liegen bisher keine vor. (Florian Koch, 2.8.22)