Javier Bardem spielt Blanco, den Patron des Familienunternehmens Basculas Blanco, einer Fabrik für Industriewagen.
Foto: Alamode Film

Fabrikfilme gibt es nicht gerade wie Sand am Meer, sieht man mal von den 1970er-Jahren ab: Norma Rae, Tout Va Bien, Silkwood, La classe operaia va in paradiso usw. In all diesen Filmen stehen meist Arbeiterinnen im Zentrum, die gegen Arbeitsbedingungen und ihre Vorgesetzten aufbegehren. Im vielfach ausgezeichneten spanischen Oscar-Kandidaten Der perfekte Chef verrückt Regisseur Fernando León de Aranoas nun mit bissigem Witz diese marxistische Perspektivierung vom Arbeiter auf den Chef.

Nach Der beste Film aller Zeiten mit der großartigen Penélope Cruz ist das in diesem Jahr bereits die zweite starke Sozialsatire aus Spanien. Diesmal ist Ehemann Javier Bardem an der Reihe. Er spielt Blanco, den Patron des Familienunternehmens Basculas Blanco, einer Fabrik für Industriewaagen. Seinen Vorzeigequalitäten als Chef verleiht er eingangs in einer Motivationsrede vor versammelter Belegschaft Ausdruck: Er versteht sich als Vater und seine Angestellten als seine Kinder, um die er sich kümmert. Doch Kinder sind beizeiten unartig, weshalb man sie auch mal schweren Herzens des Hauses verweisen muss, fügt er mit leicht erhobener Stimme hinzu, als am Ende der Fabrikhalle ein Tumult ausbricht, weil der soeben gefeuerte Angestellte José lautstark protestiert.

Die freundliche Masche des Patriarchen: Bardem setzt auf das Motto "Fleiß, Balance, Loyalität".
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Die golden ausgeleuchtete, musikalisch sanft umspielte Ansprache, die Blancos schmeichelnde Redegewandtheit voll zur Geltung bringt und einen starken Kontrast zu den testosterongeschwängerten Reden aus Finanzsatiren markiert, hat einen besonderen Anlass: Basculas Blanco steht auf der Favoritenliste eines wichtigen Preises für Industriewaagen. Der leere Platz an der Wohnungswand der Blancos, an dem die Auszeichnung hängen soll, ist bereits ausgeleuchtet, doch zuerst wird im Laufe der Folgewoche die Auswahlkommission unangemeldet das Unternehmen prüfen. Deshalb befreit sich Blanco noch schnell von Störfaktoren in der Belegschaft, deshalb geht er mit der erprobten Masche des freundlichen Patriarchen noch einmal auf Charme-Offensive.

Prügelnder Fascho-Sohn

Die Prüfungswoche rückt nun das Verhalten des "perfekten Chefs" von Tag zu Tag unter das Brennglas. Am Sonntag hilft Blanco dem prügelnden Fascho-Sohn eines alten Angestellten aus der Klemme, am Montag kommen schon die neuen Praktikantinnen, die Blanco monateweise verschleißt. Eine davon, Liliana (Almudena Amor), gefällt ihm auf Anhieb, noch dazu erwidert sie seine Blicke auffallend ungeniert.

Der Protest des entlassenen José (Oscar de la Fuente) nimmt gerade erst Fahrt auf, und Blancos Produktionsleiter Miralles (Manolo Solo) macht wegen Eheproblemen zu viele Fehler. Ein glücklicher Ehemann ist ein guter Angestellter, denkt sich da der Chef und mischt sich beherzt ins Privatleben Miralles’ ein, wohingegen er bei José hart bleibt. So hat Blanco im Verlauf der Woche zunehmend Schwierigkeiten, sein Image aufrechtzuerhalten und all seine Schäfchen beisammenzuhalten. Je länger die Prüfungskommission auf sich warten lässt, desto mehr gerät das Motto der Firma "Fleiß, Balance, Loyalität" in die Schieflage. In letzter Not greift er schließlich auf eine bewährte Methode seines Vaters zurück, denn "manchmal muss man eine Waage anstupsen, damit sie das richtige Gewicht anzeigt".

KinoCheck

Der perfekte Chef hat alles, was man sich von einer Sozialsatire wünscht: fantastische Darsteller, allen voran Bardems ätzend-charmanter Patriarch Blanco, eine packende Dramaturgie voll komischer Höhepunkte, eine Klimax, die die Tragweite der Sozialkritik transportiert, und nicht zuletzt eine Bildsprache, die immer wieder das Machtgefälle zwischen Chef und Belegschaft aufzeigt und so Blancos nahbare Vatermasche beständig konterkariert. Schließlich ist es, gerade weil sich das Kino lange nicht mit Fabriken beschäftigt hat, ein kluger Zug Aranoas, das geerbte Familienunternehmen, das gerade in ehemals faschistischen Ländern wie Spanien noch mehr an Schärfe gewinnt, wie man am Fabriktor erkennt, ins Zentrum seiner überaus sehenswerten Satire zu rücken. (Valerie Dirk, 28.7.2022)