Christian Schmidt hatte vor allem mit dem Vorschlag einer Drei-Prozent-Hürde für Kritik gesorgt.

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Der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, Christian Schmidt, nimmt Abstand von seinem umstrittenen Vorhaben: Vergangene Woche hatte er angekündigt, Änderungen des Wahlrechts und der Verfassung des Landesteils Föderation vorzunehmen. Nachdem es zu einem Sturm der Entrüstung gekommen war, kündigte Schmidt am Mittwoch an, nun doch nur kleine Teile seiner Vorschläge umzusetzen: jene unstrittigen, bei denen es um mehr Transparenz der Wahlen und die Verhinderung von Wahlmanipulationen geht.

Schmidt wollte eigentlich eine Drei-Prozent-Hürde einführen, womit nur mehr dann Vertreter einer der drei konstitutiven Gruppen (Bosniaken, Serben, Kroaten) ins Haus der Völker des Landesteils Föderation entsandt werden können, wenn sie laut der Volkszählung mehr als drei Prozent der Bevölkerung in einem Kanton ausmachen. Das hätte dazu geführt, dass aus anderen Kantonen mehr Delegierte entsandt worden wären und daher in der Praxis die Macht der kroatisch-nationalistischen HDZ gestärkt wäre.

Massive Einmischung von Kroatien

Die HDZ verlangt gemeinsam mit ihrer Schwesterpartei im Nachbarstaat Kroatien und mit anderen Lobbyisten oder Politikern aus Kroatien seit langer Zeit eine Wahlrechtsreform in Bosnien-Herzegowina zugunsten der HDZ. Dies wird in Bosnien-Herzegowina von vielen Bürgern und Bürgerinnen als bedrohliche Einmischung des Nachbarstaates gesehen, zumal die damaligen Regierungen in Kroatien und Serbien während des Bosnienkriegs (1992–1995) den Staat Bosnien-Herzegowina auflösen und untereinander aufteilen wollten.

Der Vorschlag Schmidts zur Einführung einer Drei-Prozent-Hürde wurde deshalb von vielen Bürgern und Bürgerinnen als erfolgreiche Erpressungspolitik Kroatiens und als Weg zu einer noch tiefgreifenderen Spaltung des Staates und der Gesellschaft gesehen. Am Montag war es deshalb in Sarajevo zu einer Großdemonstration vor dem Haus des Hohen Repräsentanten gekommen.

Deklaration im Parlament der Föderation

Am Dienstag hat dann das Parlament des Landesteils Föderation eine Deklaration verabschiedet, in der es darum ging, dass die Multinationalität des Staates Bosnien-Herzegowina erhalten bleiben und jede weitere Trennung nach ethnischen Kriterien vermieden werden sollte. Zudem haben die Abgeordneten – offenbar in Anspielung auf die ständigen Einmischungen aus dem Nachbarland Kroatien – gefordert, dass doch Kroatien sein eigenes Wahlgesetz – wie vorgesehen – verändern möge.

In dem Text heißt es konkret: "Das Repräsentantenhaus des Parlaments der Föderation Bosnien und Herzegowina verurteilt die anhaltenden Tendenzen und politischen Vorschläge und Initiativen, unabhängig davon, ob sie von innerhalb oder außerhalb Bosniens und Herzegowinas kommen, die darauf abzielen, ein System der ethno-territorialen Vorherrschaft zu errichten und die Entrechtung von Minderheiten vertretener ethnischer Gruppen in bestimmten Teilen des Staatsgebiets und des Territoriums der Föderation Bosnien und Herzegowina, die langfristig zum Zusammenbruch der verfassungsmäßigen Ordnung des Staates Bosnien und Herzegowina führen."

Schmidt kam nicht ins Parlament

Die Abgeordneten forderten Schmidt dazu auf, keine Entscheidungen zu treffen, die gegen die Verfassung von Bosnien-Herzegowina verstoßen würde – und zuallererst einmal die längst fälligen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Diskriminierung von vielen Bosniern und Bosnierinnen umzusetzen. Weiters luden sie ihn ein, seine eigenen Vorschläge im Parlament der Föderation zu diskutieren, doch Schmidt erteilte der Einladung eine Absage.

Der gesamten politischen Entwicklung waren Spannungen vorangegangen. In den vergangenen Monaten hatte die bosnisch-herzegowinische HDZ immer wieder damit gedroht – wie zuletzt im Bosnien-Krieg –, einen dritten Landesteil für Kroaten schaffen zu wollen, was verfassungswidrig wäre. Gleichzeitig drohen Pro-Kreml-orientierte Nationalisten aus dem Landesteil Republika Srpska immer wieder damit, die Republika Srpska abzuspalten und damit den Staat zu zerstören. Das sorgt seit Monaten für Angst und Sorge unter vielen Bürgern und Bürgerinnen des Staates.

Sechs Wochen auf Eis

Schmidt hatte zahlreiche Gesetzesvorschläge vorgehabt, allerdings waren seine anderen Vorschläge in der Diskussion rund um die Drei-Prozent-Hürde untergegangen. Er kündigte nun an, die "politischen Vorschläge" – also die Drei-Prozent-Hürde – für sechs Wochen auf Eis zu legen, und setzte damit eine Frist für Politiker, zuvor eine Einigung zu finden. Dies ist aber kaum zu erwarten, denn die probosnischen Parteien werden keiner Änderung des Wahlgesetzes oder der Verfassung der Föderation zustimmen, die den Vorstellungen der HDZ entspricht.

Es besteht weiterhin die Befürchtung, Schmidt könnte nach sechs Wochen, also ganz kurz vor der Wahl am 2. Oktober, doch noch die Gesetze im Sinne der HDZ mit seinen Bonner Vollmachten umsetzen. Offensichtlich ist, dass Schmidts Fristsetzung den Wahlkampf stark beeinflussen wird. Die Stimmung ist bereits aufgeheizt, und die Fristsetzung trägt noch zu den Spannungen bei.

Druck von den USA

Schmidt wurde vor allem von den Vereinigten Staaten und Großbritannien unter Druck gesetzt, den kroatischen Forderungen nachzukommen, weil einige Vertreter der USA denken, dass sie damit langfristig eine Endblockierung des Landesteils Föderation erreichen könnten. Bei vielen europäischen Politikern hatten die Vorschläge von Schmidt allerdings Kritik hervorgerufen.

"Zwei Monate vor der Wahl sind Änderungen am Wahlrecht zu unterlassen", meinte etwa der deutsche grüne Bundestagsabgeordnete Boris Mijatović. "Die Internationale Gemeinschaft sollte ihre Anliegen bis nach den Wahlen zurückstellen." Mijatović sprach sich auch dafür aus, Hassreden eine Absage zu erteilen. "Gerade die Hauptakteure der letzten 20 Jahre müssen sich jetzt ihrer Verantwortung stellen. Wenn sie das Land in die EU führen wollen, ist diese Wahl eine wichtige Etappe, dem Land eine Zukunft zu bieten."

Nationalisten in die Hände gespielt

Der österreichische sozialdemokratische EU-Abgeordnete Andreas Schieder sagt zu den Vorschlägen Schmidts: "Die Reform würde nicht zu einer Verbesserung der Situation im Land führen, sondern die ethnische Spaltung im Land einzementieren. Das wäre nicht nur verfassungsrechtlich stark umstritten, sondern würde auch den Forderungen der Nationalisten in die Hände spielen. (...) Bosnien-Herzegowina braucht Politiker und Politikerinnen, die an der notwendigen Reform des Landes arbeiten und die Spaltung überwinden, statt weitere Gräben aufzureißen. Dafür braucht es eine Wahlrechtsreform, die dem Prinzip des gleichen Wahlrechts für alle entspricht." (Adelheid Wölfl, 27.7.2022)