Russlands Außenminister Sergej Lawrow weiß auf zynische Art auszunutzen, wo Frankreichs Präsident Macron nicht punkten kann. (Archivbild aus dem Jahr 2020 in Berlin)

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Auch wenn es ein zeitlicher Zufall ist, sagt er viel aus über das Ringen um den Einfluss in einer diplomatisch sonst gerne vergessenen Region – Afrika. Am Samstag startete Sergej Lawrow zu einer ausgedehnten Afrikatournee von Ägypten über Äthiopien und Uganda bis nach Kongo. Zwei Tage später verließ Emmanuel Macron Paris Richtung Kamerun, Benin und Guinea-Bissau.

Diese Reisediplomatie hat nichts Diplomatisches: Franzosen und Russen liefern sich einen Kampf mit allen Mitteln, russischerseits auch schmutzigen – vom Propagandakrieg bis zum brutalen Einsatz von Privatmilizen. In Kairo machte Lawrow die westlichen Sanktionen verantwortlich für die Lieferengpässe für Getreide. Moskau sei hingegen mit der Türkei übereingekommen, auch Afrika mit ukrainischem Weizen zu versorgen. Dass die russische Armee gleichentags den Hafen von Odessa bombardierte, unterschlug der russische Außenminister geflissentlich.

Macron hat leichtes Spiel, diese Verdrehungen zu entlarven. In der kamerunischen Hauptstadt Yaunde warf er Russland vor, die Nahrungsmittelknappheit als "Kriegswaffe" einzusetzen und die sozialen Medien Afrikas mit Fake News zu überziehen. Mit den Falschmeldungen meinte er Angriffe der russischen Privatarmee Wagner auf Jihad-versehrte Dörfer in Mali. Diese Angriffe unterstellte Moskau später dem französischen Armeeeinsatz.

Moralpredigten oder nicht?

Macron stellt seine Afrikareise unter das Vorzeichen der Terrorbekämpfung. Das kommt in Kamerun gut an, wo die islamistische Miliz Boko Haram immer wieder aus Nigeria eindringt. Zugleich befürchtet die anglophone Minderheit im Westen Kameruns aber, dass sich Staatschef Paul Biya, der das Land seit 40 Jahren mit eiserner Hand führt, damit auch französische Rückendeckung sichert.

Die russische Propaganda prangert deshalb die "Kolonialmentalität" Frankreichs an. Genau diesen Ausdruck benützte im Mai auch Malis Außenminister Abdoulaye Diop bei einem Besuch in Moskau. Seine Militärjunta spielt offen mit antifranzösischen Ressentiments. Diese kommen in der malischen Hauptstadt Bamako regelmäßig bei Anti-Frankreich-Demos zum Ausdruck und erhalten durch die auslaufende Barkhane-Mission Nahrung.

Widersprüchliches Verhalten

Macron gelingt es kaum, den tiefsitzenden Aversionen der malischen Jugend etwas entgegenzusetzen. Während Lawrow das afrikanische Schweigen zum Ukraine-Krieg als "wohlüberlegt" lobt, macht der französische Präsident den Afrikanern in Yaunde Vorhaltungen: Sie verhielten sich "scheinheilig", da sie die – russischen – Urheber des Angriffs auf die Ukraine nicht beim Namen nennen würden. Das hilft nicht, die afrikanische Jugend für sich einzunehmen. Sie wirft den Franzosen seit langem widersprüchliches Verhalten vor: Einerseits spiele sich Paris – in bewusster Abgrenzung zu den Russen und ihren Wagner-Brutalos – als Verfechter von Menschenrechten und Demokratie auf. Zugleich verfolge aber Macron in Westafrika selber eine klare Realpolitik; das äußere sich in der Unterstützung von Autokraten wie Biya oder dem – nicht gewählten – tschadischen Interimspräsidenten Mahamat Déby.

Die russische Seite hätschelt den afrikanischen Potentaten noch stärker: In der Hauptstadt Kongos, Brazzaville, traf Lawrow am Montag Staatschef Denis Sassou Nguesso, der schon 1979 erstmals an die Macht gekommen war. Heute wechselt er wieder einmal die Seite, nachdem er schon mit den Franzosen und den US-Amerikanern kooperiert hatte.

Antifranzösische Gefühle

Dass die Russen mit Autokraten wie Sassou Nguesso paktieren, wird ihnen in Afrika allerdings kaum vorgehalten: Im Unterschied zu den Franzosen machen die Putin-Diplomaten gar nicht erst moralische Ansprüche geltend. In Mali oder der Zentralafrikanischen Republik kennt man auch die schiere Brutalität der Wagner-Milizionäre. Dass sie den französischen Fremdenlegionären vorgezogen werden, spricht nicht für sie, sondern zeigt in erster Linie, wie tief die antifranzösischen Gefühle im frankophonen Afrika gehen.

Lawrow nützt diesen Umstand zynisch, aber geschickt aus: Auf seiner laufenden Charmeoffensive durch Afrika erwähnt der russische Außenminister gerne, dass es die Sowjetunion gewesen sei, die Länder wie Mali in den sechziger Jahren unterstützt hätten, als sie die Unabhängigkeit von der Kolonialfrankreich errungen hätten. (Stefan Brändle, 27.7.2022)