Der Miederer Bürgermeister Daniel Stern zeigt die Schäden an der Mündung des Mühlbaches in die Ruetz.

Foto: kristen-images.com / Michael Kristen

Der Saxerhof entkam der Katastrophe nur knapp. An dem Baum kann man sehen, wie hoch die Mure war, die am Freitag hier herunterdonnerte.

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Die Infrastruktur hat gröbere Schäden davongetragen.

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Der sonst kleine Bach entwickelte sich binnen Minuten zur Geröll- und Schlammlawine.

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Das Wrack des Autos, das vorm Saxerhof mitgerissen wurde.

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Mieders – Bis ins Blätterdach hinauf ist der Baum vor dem Saxerhof grau. Die Spuren der Geröll- und Schlammmassen, die hier in Mieders im Stubaital am vergangenen Freitag ins Tal donnerten, sind noch unübersehbar. Gesteinsbrocken so groß wie Pkws türmen sich entlang des sonst beschaulichen Mühlbaches. Die Radwegbrücke wurde weggerissen, die der Bundesstraße hat zum Glück standgehalten, erklärt Bürgermeister Daniel Stern beim Lokalaugenschein.

So groß die Schäden sind, so froh ist der Ortsvorsteher, dass es in seiner Gemeinde bei materiellen Verlusten geblieben ist. "Wir hatten Glück. Fast hätte es beim Saxerhof drei Männer erwischt. Es ging um Sekunden, es ist ein Wunder, dass sie sich retten konnten", schildert Stern sichtlich betroffen.

Pfarrer wird vermisst

Er selbst war noch im Urlaub, den er sofort abgebrochen hat, als vergangenen Freitag plötzlich sein Telefon heiß lief. Ein Unwetter traf das Stubaital mit voller Wucht. Besonders die Gemeinden Neustift, Fulpmes und eben Mieders. Die Folgen waren verheerend.

Pfarrer Augustin Kouanvih, der den Seelsorgeraum Stubai betreut, gilt seitdem als vermisst. Vermutlich wurde der 60-Jährige im Auto von den Fluten überrascht. Bisher konnten nur Teile seines zerfetzten Wagens, eine Bibel und persönliche Dokumente in der tosenden Ruetz gefunden werden. Ein junges Paar konnte von den Einsatzkräften gerade noch aus ihrem bereits teilverschütteten Fahrzeug befreit werden.

Knapp entkommen

In Mieders entkamen der Saxerhof-Bauer, der Feuerwehrkommandant und ein Freund des Landwirtes nur knapp einem ähnlichen Schicksal. Die drei stünden noch unter Schock, sagt Bürgermeister Stern: "Sie waren hier vor dem Hof, als eine fünf Meter hohe, schwarze Wand vom Berg herunterkam." Der Pick-up, mit dem einer der Männer gekommen war, um dem Landwirt zu helfen, sich auf ein drohendes Hochwasser vorzubereiten, wurde von den Geröllmassen erfasst.

Der Pkw wurde einen Kilometer flussabwärts an der Ruetz-Mündung gefunden. Das Wrack lässt erahnen, welche Kräfte hier am Werk waren. "Nun steht die Dorfgemeinschaft zusammen, um zu helfen", sagt Stern. Bis Dienstagabend wurde teils händisch, teils mit schwerem Gerät versucht, das Bett des Mühlbaches freizubekommen, damit die Gemeindestraße wieder befahren werden kann. Bürgermeister Stern stand selbst im Rohr unter der Brücke, um das Geröll, das der Bach immer wieder nachschob, herauszuschaufeln.

Land versprach Hilfe

Am Mittwochmorgen konnte die Straße zumindest provisorisch wieder freigegeben werden. Doch von einer Entwarnung kann keine Rede sein. Denn oben an den steilen Bergflanken der Serles, von wo sich der Mühlbach speist, hängen noch bedrohliche Geröllmassen. "Ich durfte bei einem Erkundungsflug mitkommen, und das sieht beängstigend aus", erzählt Stern.

Die Gemeinde, lokale Bauunternehmen sowie die Wildbach- und Lawinenverbauung (WLV) arbeiten zusammen daran, die Situation zu entschärfen. Felsen müssen gesprengt, Geröll abtransportiert werden. Auf rund eine Million Euro wird der Schaden in Mieders beziffert. Im ganzen Stubaital rechnet man seitens des Landes Tirol mit gut sechs Millionen Euro, die für den Wiederaufbau nötig sein werden. Gemeinden und Privathaushalten wurden bereits Beihilfen in der Höhe von 50 Prozent des jeweils anerkannten Schadens zugesagt.

Leben mit der Naturgefahr

Das Unwetter allein auf den Klimawandel zurückzuführen hält Ivo Schreiner von der WLV für "tollkühn". Naturereignisse dieser Größenordnung habe es in Tirol schon immer gegeben. In Mieders zuletzt 1983, an fast derselben Stelle und an fast demselben Tag. Ob diese Ereignisse häufiger werden, sei jedoch die große Frage, sagt Schreiner.

Dass man grundsätzlich darauf vorbereitet ist, davon zeugen die Gefahrenzonenpläne, die jene Bereiche ausweisen, die von Naturgefahren betroffen sind. Allein 2300 Wildbäche mit direktem Einfluss auf Siedlungsbereiche zählt die WLV in Tirol. Für Mieders wurde dieser Plan erst heuer überarbeitet, er soll am Donnerstag vorgestellt werden. Er stelle die Realität "sehr exakt" dar, sagt Schreiner angesichts der jüngsten Ereignisse.

Vor dem Saxerhof wurden am Mittwoch noch die Spuren des Unwetters beseitigt. Das Gebäude selbst blieb unversehrt. Daneben schaufelte der Bagger den Mühlbach weiter frei. Denn das nächste Unwetter kommt bestimmt. (Steffen Arora, 27. 8. 2022)