Ein Déjà-vu bei der Europameisterschaft in England: englische Fußballerinnen im Jubel.

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Wer die Europameisterschaft in England mehr oder weniger aufmerksam mitverfolgt hat, kennt das Bild: Schlusspfiff, Englands Kickerinnen reißen die Hände in die Luft, Jubel, Trubel, der Traum vom Triumph im eigenen Land lebt.

So auch am Dienstag nach dem Halbfinale gegen Schweden. Die Elf von Trainerin Sarina Wiegman setzte sich in eindrucksvoller Manier, also 4:0, gegen vielleicht sogar favorisierte Schwedinnen durch. "It’s coming home", schallte es durch die Nacht rund ums Bramall-Lane-Stadion in Sheffield. Seit 1996 beschwört der Hit von Baddiel, Skinner und den Lightning Seeds den ersten englischen Titelgewinn seit dem WM-Triumph der Männer 1966 – bisher vergeblich.

Die Durststrecke

Diesmal sind die Hoffnungen besonders groß: England, das zuletzt dreimal in Folge bei großen Turnieren in der Vorschlussrunde ausgeschieden war, steht zum dritten Mal nach 1984 und 2009 im EM-Finale. Im Endspiel am Sonntag (18 Uhr, ORF 1) wollen die "Lionesses" die Durststrecke beenden und in Wembley Geschichte schreiben.

Die Engländerinnen sind nun seit 19 Spielen ungeschlagen. Im laufenden Turnier hatten sie nur im Eröffnungsmatch gegen Österreich (1:0) und im Viertelfinale gegen Spanien (2:1 nach Verlängerung) zu kämpfen. Besonders eindrucksvoll war der 8:0-Kantersieg im Gruppenspiel gegen Norwegen und das Halbfinale gegen Schweden.

Schwedens Tristesse

Die Schwedinnen, die Zweiten der Weltrangliste, hatten davor in 34 Spielen hintereinander nach 90 Minuten nicht verloren. "In den ersten 25 Minuten ist es für uns gut gelaufen. Danach haben wir eine Lektion bekommen, wie schnell es gehen kann", sagte Schwedens Kapitänin Caroline Seger. "Es ist schwer, Worte zu finden, wenn man so deutlich verliert", sagte Mittelfeldspielerin Sofia Jakobsson.

In England herrscht Euphorie. "Das ganze Land ist so stolz auf alles, was ihr erreicht. Wir glauben an euch und werden euch bis zum Ende unterstützen", schrieb Thronfolger Prinz William. "Erhebend, aufregend, unglaublich", nannte der frühere Starkicker David Beckham den Erfolg. "Es ist keine Übertreibung, diesen Abend als den größten in der Geschichte der englischen Frauen-Nationalteams zu bezeichnen", stand im Telegraph.

Wiegmans Miene

Wiegmans Löwinnen hatten in Sheffield eine halbe Stunde zu kämpfen, wirkten nervös. Ungewohnte Fehlpässe und technische Unzulänglichkeiten waren das Resultat. Gut, Schweden war auch kein Jausengegner, die Skandinavierinnen stellten in der ersten halben Stunde immer wieder ihre Qualitäten unter Beweis. Nach dem sechsten Turniertreffer von Beth Mead fiel der Großteil der Gegenwehr allerdings in sich zusammen.

Wiegmans Miene hellte sich nach der ersten halben Stunde auf, nach 90 Minuten sah man die Startrainerin lächeln und jubeln: "Ich bin so stolz. Das Team hat einen Weg gefunden. Wir hatten ein bisschen Probleme mit ihrem defensiven Spiel, aber wir sind besser und besser geworden."

Englands Trümpfe

Seit die 52-jährige Niederländerin im September des Vorjahres die Löwinnen übernommen hat, eilt England von Erfolg zu Erfolg, elf Siege in Folge stehen zu Buche. Wiegmans Team besticht durch eine solide Defensive rund um Chelsea-Verteidigerin Millie Bright, die gegen Schweden erneut eine brillante Partie ablieferte. Prunkstück ist aber vor allem das Mittelfeld, das mit Mead, Georgia Stanway und Fran Kirby durch Tempo und Kreativität besticht. Und dazu auch noch immens torgefährlich ist.

Gegen Schweden schickte Wiegman zum fünften Mal dieselbe Startelf aufs Feld. Und die zahlte das Vertrauen zum fünften Mal zurück. (Andreas Hagenauer, 27.7.2022)